Ist das Fremdkapitalverbot der Freien Berufe in Gefahr?
Wer die Diskussion um die Stärkung der Pflege verfolgt, kann das gespaltene Verhältnis der Politik zu privaten Investitionen im Gesundheitswesen begutachten. Das Geld der privaten Kapitalgeber ist hochwillkommen, wenn es darum geht, in neue Infrastrukturen, moderne Gerätschaften, Technologien zu investieren. Neue Pflegeeinrichtungen, Digitalisierung, technischer Fortschritt in der Versorgung einer wachsenden Zahl von Pflegebedürftigen – das könne ohne das Engagement der Privaten gar nicht geleistet werden. Obendrein lasse sich der Wettbewerb um die wirtschaftlichste und beste Dienstleistung ankurbeln – heißt es unisono im Bundesgesundheitsministerium. Die politische Stimmung kann jedoch schnell umschlagen, wenn das Geld geflossen ist und die Investitionen getätigt sind. Dann nämlich, wenn die Kapitalgeber einen Gegenwert für ihre Investition sehen wollen, gibt man sich vom Renditebegehren plötzlich ganz überrascht.
Aktuell macht sich der Bundesgesundheitsminister in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt Gedanken darüber, „ob ein kapitalmarktgetriebenes Fokussieren auf zweistellige (!) Renditeerwartungen angemessen wäre“ und findet, dass das „eher nicht“ der Fall sei. Jens Spahn stellt fest, dass bei den Pflegeanbietern „hohe Gewinne“ auflaufen und mutmaßt, dass diese „fast nur durch vorsätzliches Absenken der Versorgungsqualität zustande kommen können“. Wie auch immer die Renditen entstanden sein mögen: Es verwundert zunächst einmal schon, dass es überhaupt zu hohen Gewinnen und schlechter Qualität kommen konnte. Eigentlich sollte das ja der Wettbewerb richten: Mit dem Investorenkapital sollte alles billiger und besser werden. Das Ergebnis allerdings sieht anscheinend vollkommen anders aus. Der Wettbewerb hat – unter den spezifischen Bedingungen des Gesundheitswesens – wieder einmal nicht funktioniert.
Es ist beileibe nicht die erste Erfahrung dieser Art, was aber das BMG in seinem Glauben an die heilsame Wirkung des (vornehmlich wirtschaftlich verstandenen) Wettbewerbs nicht erschüttern kann. Die drohende Gefahr des rein renditeorientierten Hineinströmens von Investorenkapital aus Private-Equity-Gesellschaften in zahnärztliche MVZ-Strukturen und Praxisketten scheint hier förmlich abzuperlen. Man zeigt sich sehr zugeknöpft, wenn Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) bei der Ausgestaltung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) darauf dringen, weitergehende Einschränkungen bei den Gründungsmöglichkeiten von MVZ vorzunehmen.
Nun könnte man einwenden, die Situation in der Pflege sei ganz und gar nicht mit der in der Zahnmedizin vergleichbar. Das ist zweifellos richtig. In der Pflege gab es in den vergangenen Dekaden die Herausforderung, möglichst schnell die Kapazitäten für Dienstleistungen auszuweiten – es musste im Eiltempo eine komplette Infrastruktur aus dem Boden gestampft werden. Das wäre ohne privates Kapital so sicher nicht zu schaffen gewesen. In der Zahnmedizin gibt es jedoch keine solchen Herausforderungen. Es ist weit und breit kein Bedarf an Fremdkapital zu sehen: kein Investitionsstau, kein Bedarf an schnellen Kapazitätsausweitungen, keine technologischen Umbrüche, die große Investitionen erfordern würden. Die Zahnmedizin funktioniert – auch aus der politischen Optik – hervorragend: unterdurchschnittliche Kostenentwicklungen in der GKV, gute und flächendeckende Versorgung, sinnvolle Weiterentwicklungen wie die verbesserte Betreuung von Pflegebedürftigen und die Bekämpfung frühkindlicher Karies. Nie war Deutschland so mundgesund wie heute. Warum nur – das ist die Frage an die Politik – überlässt man sehenden Auges ein in sich stimmig funktionierendes Versorgungssystem dem – um den Minister zu zitieren – „kapitalmarktgetriebenen Fokussieren“ auf Rendite? Welches Problem soll damit gelöst werden? Die Antwort darauf bleibt uns die Politik schuldig.
Auf die Konsequenzen einer Politik des Laufenlassens in Sachen MVZ und der Fremdkapitalbeteiligung machen die Vertreter der zahnärztlichen Standesorganisationen unermüdlich aufmerksam. In einer gemeinsamen Stellungsnahme haben KZBV und BZÄK die im TSVG-Referentenentwurf enthaltenen Regelungen als unzureichend bezeichnet. In der Anhörung zum TSVG am 22. August forderten sie, die rasant fortschreitende Übernahme zahnärztlicher Versorgung durch Großinvestoren und Private-Equity-Fonds zu stoppen
Dass diese Warnungen kein falscher Alarmismus sind zeigt auch ein Blick in die gesetzlichen Grundlagen der Berufsausübung der Freien Berufe. Dort finden sich zuhauf Regelungen, die eine Fremdkapitalbeteiligung verhindern sollen. So regeln die Paragrafen 59e/f der Bundesrechtsanwaltsordnung detailliert, wer Gesellschafter und Geschäftsführer einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein darf. „Anteile an der Rechtsanwaltsgesellschaft dürfen nicht für Rechnung Dritter gehalten und Dritte nicht am Gewinn der Rechtsanwaltsgesellschaft beteiligt werden“, heißt es dort. Paragraf 8 des Apothekengesetzes legt fest, dass mehrere Personen „eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben“ dürfen. GmbHs sind ausgeschlossen, ebenso sind stille Beteiligungen unzulässig, die auf Umsatz und Gewinn ausgerichtet sind. Paragraf 50a des Steuerberatergesetzes beschäftigt sich mit der Kapitalbindung und setzt Hürden für die Beteiligung von Fremdinvestoren. Ähnliche Regelungen finden sich in Paragraf 28 der Wirtschaftsprüferordnung. Auch Ländergesetze enthalten Regelungen zum Ausschluss von Fremdkapitalinvestoren: So fordert Paragraf 8 des Bayerischen Baukammergesetzes, dass bei einer Architektengesellschaft „die Mehrheit des Kapitals und der Stimmanteile in Händen von Mitgliedern der jeweiligen Kammer“ gehalten werden muss.
Das Verbot von Fremdkapitalbeteiligungen in Form von Private-Equity-Gesellschaften zählt zu den Grundpfeilern der Berufsausübung der Freien Berufe. So stellt der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) in seinem Positionspapier „Regelungen zur Kapitalbindung in den Freien Berufen“ vom 9. November 2012 fest: „Das Fremdkapitalverbot, mithin der Ausschluss einer Beteiligung von Dritten an dem Geschäftsbetrieb eines Freiberuflers unter (allein) kommerzieller Zielsetzung besteht aus guten Gründen.“ Es gewährleiste die Unabhängigkeit der Berufsausübung „frei von den wirtschaftlichen Interessen Dritter“, lasse „einen Interessenskonflikt zwischen den Gewinnerwartungen der Kapitalgeber und den sachlichen Interessen der Kunden gar nicht erst entstehen“ und diene „dem Verbraucherschutz, indem [es] verhindert, dass berufsfremde Kapitalgeber Einfluss auf die Geschäftstätigkeit, die strategische Ausrichtung und vor allem die besonderen Berufspflichten unterliegende Leistungserfüllung eines Freiberuflers nehmen könnten“. Das Fremdkapitalverbot schaffe ein auf Dauer angelegtes, gesundes Wachstum und verhindere „gleichzeitig die ungebremste Ökonomisierung eines Bereiches unserer Wirtschaft, der wie kein anderer für die Vereinbarkeit von Wachstum und Gemeinwohlorientierung steht“.
Im Gegensatz zu anderen freien Berufen fehlen bei Ärzten und Zahnärzten bislang Regelungen zum Schutz vor Fremdkapital, weil Zahnheilkundegesellschaften bis vor wenigen Jahren keine Rolle spielten. Die Entwicklung um das MVZ zeigt, dass es Zeit ist, auch hier nachzusteuern. Kapitalanlagegesellschaften haben ausschließlich die Rendite im Blick und nicht das Wohl von Patienten und Angestellten. Es wäre vollkommen unverständlich, wenn man ausgerechnet im Gesundheitswesen die Einfallstore für das Fremdkapital nicht schließen würde. Wettbewerbliche Elemente sind zweifellos ein unverzichtbares Werkzeug im Instrumentenkasten einer guten Gesundheitspolitik. Dazu haben sich auch die zahnärztlichen Standesorganisationen bekannt. Sie müssen aber – wie jedes Element eines gesetzlichen Rahmens – sinnvoll an den sachlichen Erfordernissen bemessen und eng evaluiert werden. Was für das gestaltende Tun der Gesundheitspolitik zutrifft, gilt natürlich auch für das Unterlassen. Wenn das Versorgungssystem für 82 Millionen Zahnpatienten ganz offensichtlich von Noxen bedroht ist, muss gehandelt werden. Das wäre jedenfalls eine Gesundheitspolitik lege artis.