Können Arztbewertungsportale neutral sein?
Zwar mag das „Arztempfehlungsportal“ jameda derzeit noch eines der meistgenutzten Bewertungsportale sein und aufgrund des Umstands, dass im Prinzip jeder Patient ein potenzieller Nutzer ist, breites Interesse genießen. Doch sind mittlerweile auch andere Branchen damit beschäftigt, sich mit diesem Thema zu befassen.
In der Gastronomie und in der Hotellerie gibt es offenbar sogar das Phänomen, dass Gäste mit der Ankündigung einer schlechten Online-Bewertung versuchen, kostenlose Zusatzleistungen zu erzwingen. Dass sich ein solches Unwesen auch irgendwann auf ärztliche Leistungen ausweiten könnte, erscheint nicht völlig undenkbar.
Aber schon die jetzige Situation, die durch die freie Bewertungsmöglichkeit auf erzwungenen Profilen von Medizinern herbeigeführt wird, ist für viele Ärzte und Zahnärzte zu einer Quelle steten Ärgers geworden. Und der Anteil derjenigen, die sich die Bewertungen gar nicht erst anschauen, dürfte stetig kleiner werden – der Unmut über ungerechtfertigte, beleidigende oder auch gekaufte Bewertungen dagegen immer größer.
Jetzt kommt Bewegung in die Sache
Die neueste Entscheidung des BGH (aus dem Februar) zu der Frage, ob eine Kölner Hautärztin einen Anspruch auf Löschung des gesamten „Profils“ gegen jameda durchsetzen könne, hat jedenfalls Bewegung in die Sache gebracht. Erstmalig – und im Unterschied zu einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 – musste der BGH berücksichtigen, welches Geschäftsmodell der Bewertungsplattform zugrunde liegt und wie sich dieses auf die Darstellung der jeweiligen Arztprofile auswirkt.
Waren in der Entscheidung aus 2014 noch die Interessen des Portalbetreibers als überwiegend anerkannt worden, hat der BGH nun entschieden, dass die Interessen der betroffenen Ärztin überwiegen, weil das Portal seine behauptete Stellung als „neutraler Informationsmittler“ zugunsten seines eigenen Werbeangebots verlassen habe.
In einem solchen Fall könne die auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit gestützte Rechtsposition nur mit geringerem Gewicht geltend gemacht werden. Die Plattform verschaffe einzelnen Ärzten durch die Art der Werbung, die sie ihren Kunden auf ihrem an potenzielle Patienten gerichteten Bewertungsportal anbiete, verdeckte Vorteile.
Dazu gehörte die – nach dem Urteil durch jameda alsbald eingestellte – direkte Werbung für die zahlende Konkurrenz auf den sogenannten Basis-Profilen, also den ungefragt angelegten Profilen nicht zahlender Mediziner und Angehöriger anderer Heilberufe. Unter Verweis auf die Überlegungen des ehemaligen Vorsitzenden des I. Zivilsenats des BGH, Wolfgang Büscher [Büscher, 2017], erkennt der BGH nun an, dass durch
„die Art der Werbung, die sie [jameda] Ärzten auf ihrem an potentielle Patienten gerichteten Bewertungsportal anbietet, einzelnen Ärzten verdeckte Vorteile“ [BGH, 2018]
verschafft werden und dass damit Druck auf die Ärzte ausgeübt wird, die sich nicht für diese Art der kostenpflichtigen Internetwerbung erwärmen konnten. Ausdrücklich heißt es in der Entscheidung:
„Durch ihr Geschäftsmodell sucht die Beklagte die ohne ihren Willen und nur mit ihren Basisdaten aufgenommenen Ärzte gezielt dazu zu bewegen, sich der Gruppe zahlender Ärzte anzuschließen, um nicht durch eine weniger vorteilhafte Darstellung und Werbeeinblendungen benachteiligt zu werden.“ [BGH, 2018]
Dieser Effekt führt nach Auffassung des BGH dazu, dass jameda nicht als „neutraler Informationsmittler“ angesehen werden kann. Damit wird aber in dem Urteil deutlich: Es kommt eben nicht nur konkret auf die – inzwischen abgestellte – Praxis der direkten Werbung für Konkurrenten auf dem Profil von Nicht-Zahlern an, sondern – gleichrangig (!) – auf die „weniger vorteilhafte Darstellung“. Und die hat jameda bis heute eben nicht verändert.
Vielmehr gibt es weiterhin zahlreiche – offene und verdeckte – Ungleichbehandlungen zwischen zahlenden und nicht zahlenden Kunden. Die muss es aus Sicht von jameda natürlich auch geben, sonst könnte das Portal seine vermutlich lukrativen „Gold“- und „Premium“-Pakete schwerlich an den Mann bringen.
jameda hat nur kosmetisch nachgebessert
Die Frage, die sich aber nun stellt ist, ob die aktuell vorhandenen Unterschiede in der Darstellung, die sich aus dem Geschäftsmodell der Plattform ergeben, die Stellung von jameda als „neutralem Informationsmittler“ wiederherstellen können. Die Antwort lautet: nein. Die Veränderungen, die jameda nach dem Urteil vorgenommen hat, haben allenfalls einen kosmetischen Effekt. Sie ändern nichts daran, dass jameda die ohne Mittun des Arztes angelegten „Basisprofile“ weiter als Werbefläche für die zahlende Kundschaft benutzt.
Außerdem werden auch zahlreiche weitere Vorteile, zum Beispiel eine ausführliche Leistungsbeschreibung oder eben ein schönes Profilbild, nur für die sogenannten Premium-Kunden vorgehalten. Und da diese Vorteile für den Nutzer eben nicht offensichtlich als bezahlte Werbung zu erkennen sind, handelt es sich dabei um verdeckte Vorteile. Und das ist genau der Anknüpfungspunkt, um den es nach der BGH-Entscheidung geht. Somit ist auch weiterhin – entgegen der von jameda gehandhabten Praxis – eine Nutzung der Daten der Ärzte nicht ohne deren Einwilligung zulässig.
Auch die DSGVO stärkt die Mediziner
Der Wechsel des Datenschutzregimes durch die Ablösung des alten Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) könnte insoweit sogar noch zu einer Verschiebung der Interessengewichtung im Sinne der Ärzte führen. Denn nach der gesetzlichen Konzeption stellt die Unzulässigkeit der Speicherung den Regelfall, die Zulässigkeit dagegen den Ausnahmefall dar. Das Vorhalten des ungefragt angelegten Profils ist insbesondere nicht durch Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gedeckt, weil der betroffene Arzt ein über‧wiegendes schutzwürdiges Interesse daran hat, nicht ohne seine Einwilligung auf dem Portal verzeichnet zu werden.
Dieses Interesse ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich bei dem Portal eben nicht um ein dem Gemeinwohl verpflichtetes neutrales Bewertungsportal zur Steigerung der Transparenz im Gesundheitswesen handelt.
Vielmehr ist die Bewertungsmöglichkeit auf den Profilen auch der nicht-zahlenden Ärzte ein reines Vehikel zum Aufbau einer Werbeplattform für die Kunden von jameda. Es ist nicht ersichtlich, wie jameda die eigenen kommerziellen Interessen mit den angeblich dem Gemeinwohl dienenden Interessen vereinen will. Die Zwangslistung von Ärzten dient allein dazu, möglichst viele Ärzte dazu zu veranlassen, sich von dem nichtssagenden „Basisprofil“ durch den Erwerb von „Premium-Paketen“ freizukaufen.
Je mehr Ärzte und Zahnärzte sich dazu veranlasst sehen, umso größer wird der Druck auf die verbleibenden Mediziner, ihrerseits die offerierten Verbesserungsleistungen in Anspruch zu nehmen, um nicht als negativer Anker zur Bewerbung der Konkurrenz herhalten zu müssen. Die Kosten für ein solches Premium-Paket belasten zusätzlich das Marketingbudget einer Praxis, für die aufgrund der Erwartungshaltung des Publikums in der Regel eine eigene – ansprechende – Homepage vorgehalten wird.
Umso ärgerlicher ist es dann übrigens für Nicht-Zahler, wenn deren jameda-Profile in den Suchmaschinen noch vor der eigenen Homepage aufgeführt werden, was nicht selten der Fall ist.
In datenschutzrechtlicher Hinsicht ist auch zu berücksichtigen, dass mit der Online-Verwertung von Daten ein erhöhtes Gefahrenpotenzial verbunden ist und eine erhöhte Missbrauchsgefahr besteht. Durch die dauerhafte, weltweite Abrufbarkeit der Daten unterscheidet sich diese Form der Nutzung von der in der Offline-Welt. Die Informationen, die über die Ärzte verbreitet werden, verlieren im Prinzip nie an Aktualität.
Während ein online veröffentlichter Presseartikel irgendwann aufgrund abnehmender aktueller Relevanz in der Wahrnehmung (und in Suchmaschinenergebnissen) nach hinten „rutscht“, bleiben die Bewertungen eines Arztes bei jameda permanent abrufbar. Eine ältere Bewertung dürfte auch für die Entscheidung eines Nutzers über die Arztauswahl nicht weniger relevant sein als jüngere Bewertungen, zumal es in der Regel um persönliche Einschätzungen der Person und nicht etwa um aktuelle Ereignisse geht.
Kein Profil, kein Interesse?
Die „Basis“-Profile werden von jameda nur mit Namen, Fachrichtung, Anschrift und Telefonnummer des Arztes befüllt. Statt eines hübschen Profil-Bildes erscheint bei einem Nicht-Zahler an der entsprechenden Stelle nur ein Schattenriss mit dem scheinheiligen Hinweis
„Dieser Arzt hat leider noch kein Porträt hinterlegt“.
Dass dies nur kostenpflichtig möglich wäre, wird tunlichst verschwiegen. Also entsteht bei dem Nutzer der Eindruck, der Arzt habe einfach kein Interesse an einer aussagekräftigen Darstellung seiner Person und seiner Leistungen. Wer würde da nicht auf eine ansprechende Seite eines „Premium“-Kunden wechseln?
So wie bei dem Profilbild geht es weiter: Zahlende Kunden können die Adresse ihrer Praxiswebseite angeben und darauf verlinken, sie können Angaben zu ihrem Lebenslauf, ihren Behandlungsschwerpunkten und dem Leistungsspektrum ihrer Praxis machen und Bilder von ihrer Praxis oder sogar Fachartikel hochladen. All diese Felder bleiben auf dem „Basis“-Profil – wohlgemerkt auch insoweit ohne Hinweis auf die Kostenpflichtigkeit entsprechender Angaben – leer.
Des Weiteren werden die „Basis“-Profile weiterhin als Werbefläche für zahlende Kunden verwendet. Dies erfolgt nach dem BGH-Urteil zwar nicht mehr ganz so offensichtlich, sondern wird verbrämt durch die Veröffentlichung angeblicher „Fachartikel“ von zahlenden Kunden, die auf dem „Basis“-Profil eingeblendet werden und dann – siehe da – mit dem Profil eines zahlenden Arztes verlinkt sind.
Zahlenden Kunden werden außer‧dem verschiedene Dienstleistungen angeboten, so zum Beispiel die Hervorhebung bei Suchanfragen oder die Veröffentlichung von „Fachbeträgen“ auf anderen Unterseiten des Portals. Darüber hinaus bietet jameda seinen Kunden Hilfestellungen bei der Selbstdarstellung an und eine direkte Hotline mit Ansprechpartner.
Eine Höherbewertung des Interesses am Betrieb des Portals für den Betreiber und die Nutzer ist aber – wie Wolfgang Büscher in seinem Vortrag [Büscher, 2017] überzeugend dargelegt hat – nicht mehr gerechtfertigt, wenn
„die Daten des bewerteten Unternehmers nicht mehr allein zur Information der Nutzer verwendet werden, sondern auch dazu, entgeltlich geschaltete Werbung dritter Unternehmer zu platzieren oder den Unternehmer in eine Rangliste mit Konkurrenten zu bringen, die entgeltliche Verträge mit dem Bewertungsportal über die Präsentation abgeschlossen haben“.
Insofern ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Ärzte auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen an der Abwehr von wirtschaftlichen Nachteilen, die aufgrund der Veröffentlichung personenbezogener Daten zu besorgen ist, höher zu bewerten als das Interesse von jameda an der Nutzung der Daten in erster Linie zu wirtschaftlichen Zwecken.
Nur wenn jameda den Weg zu einem „neutralen“ Portal finden würde, wird es sich künftigen Profillöschungsbegehren erfolgreich stellen und nebenbei auch dem erheblichen Glaubwürdigkeitsdefizit durch „gefakte“ und rechtswidrige Bewertungen etwas entgegensetzen können. Dieser Weg mag für einen kommerziellen Anbieter steinig sein, möglich erscheint ein entsprechendes Konzept nichtsdestotrotz. Ein Umdenken wäre aber in vielerlei Hinsicht erforderlich und würde jameda zwingen, sich des selbst postulierten Transparenzgedankens anzunehmen.
Höcker Rechtsanwälte vertreten aktuell Ärzte, die sich aus den jameda-Listen löschen lassen wollen, in Klageverfahren gegen das Bewertungsportal.
Literatur:
1. [BGH, 2018]: Urteil des BGH vom 20.2.2018, IV ZR 30/17, veröffentlicht u.a. in GRUR 2018, S. 636 ff.
2. [Büscher, 2017]: GRUR 2017, S. 433