50 Jahre Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung in der DGZMK

Weniger Prothetik, mehr Biofilm

Ralf J. Radlanski
Die moderne Medizin gründet sich auf die Naturwissenschaften. Vor diesem Hintergrund wurde im Januar 1968 – vor 50 Jahren – die Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung (AfG) in der DGZMK gegründet. Wirft man einen Blick in die Programme ihrer Jahrestagungen, erfährt man, wann welche Themen der Zahnmedizin besonders intensiv erforscht wurden.

Im Zentrum der Arbeit der AfG steht die Ausrichtung der Jahrestagungen, auf denen das Neueste aus der Grundlagenforschung präsentiert wird. Leider gibt es kein Archiv mit allen Programmheften der Jahrestagungen – so konnte ich nur auf meine eigenen Exemplare seit 1985 zurückgreifen. Für die Zeit davor habe ich hilfsweise die Beiträge erfasst, die in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift von 1968 bis 1984 erschienen sind. Die meisten Themen, die in Deutschland (West) bearbeitet wurden, wurden damals dort publiziert. Es war ein sehr spannendes Vergnügen, all die Beiträge zur zahnmedizinischen Grundlagenforschung der vergangenen 50 Jahre durchzuarbeiten!

Die Diversität der Forschung zeigt sich allein darin, dass es nicht weniger als 75 Themengebiete gibt, denen die Publikationen und Beiträge zu den Tagungen zugeordnet wurden. Deshalb nehmen so wichtige Themen wie „Karies“ oder „Fluorid“ nur einen Anteil von maximal 3 Prozent der gesamten Forschung ein. Der Übersicht wegen habe ich hier einige Gebiete zu Gruppen zusammengefasst (Tabelle), das Maximum lag dann bei 10 Prozent, das auch von einigen Themen alleine erreicht wurde.

Nicht weniger als 75 Themengebiete 

Manche Forschungsthemen blieben über die Jahrzehnte hinweg konstant aktuell, andere wurden unnötig und landeten vorerst in einer Sackgasse, wieder andere konnten sich erst in neuerer Zeit zu einer Blüte entwickeln. So wurde über Karies in den vergangenen fünf Jahrzehnten kontinuierlich geforscht, wobei ein Höhepunkt mit einem Anteil von 3 Prozent in den Jahren zwischen 1988 bis 2007 erkennbar war. Zucker und Zuckeraustauschstoffe waren von Anfang an – also seit 1968 – ein Thema. Bis 1987 lag der Anteil bei 1,75 Prozent, heute noch bei 0,5 Prozent. Fluoride wurden bis 2007 intensiv beforscht, danach nicht mehr. Jetzt scheint es einen Konsens über deren Wirksamkeit zu geben, wobei aktuelle (kontrovers diskutierte) Studien neurologisch-kognitive Nebenwirkungen anführen. Dagegen hat die Forschung zu „Plaque und Biofilm“ seit 1968 kontinuierlich zugenommen – von 2008 bis heute auf den bisherigen Maximalwert von 5,75 Prozent. Die Forschungsaktivitäten zur Bakteriologie erreichten sogar den Maximalanteil von 10 Prozent, und zwar in der Zeit zwischen 1988 und 2007. Ende der 1960er hatte das Thema nur einen Anteil an der Forschung von 1,5 Prozent, heute sind es noch 6 Prozent. Über Prophylaxebemühungen wurde kontinuierlich geforscht, maximal (1,75 Prozent) im Zeitraum von 1978 bis 1997. Einen erkennbar höheren Anteil erreichten die Fragestellungen zur Epidemiologie mit 2,25 Prozent zwischen 1978 bis 1987. Noch deutlich stärker, mit ziemlich kontinuierlich 7,75 Prozent, ist die Parodontologie vertreten.


Ebenfalls erkennbar sind eindeutige Trends, wie sich die Forschungsinteressen im Laufe der fünf Jahrzehnte verändert haben: So hatten die Artikulationslehre, die Gnathologie und die Artikulatortechnik seit 1968 einen Boom mit einem Anteil von bis zu 7,75 Prozent. Bis 2007 sank dieser Wert auf 0,5 Prozent und konnte bis heute nur noch leicht ansteigen. Das Problem der Craniomandibulären Dysfunktion war zwischen 1978 und 1987 mit maximal 2 Prozent vertreten. Obwohl es heute klinisch immer noch von großem Interesse ist, gab es seit 1988 in der AfG keinen Beitrag mehr zu diesem Thema.


Ein sehr deutlicher Rückgang ist in der Forschung zu den Themen „Total- und Teilprothetik, Kronen und Brücken“ zu verzeichnen: Gegenüber 8,5 Prozent seit 1968 sind heute nur noch 0,5 Prozent der Beiträge diesem Themengebiet gewidmet. In diesem Zusammenhang hatten auch die Forschungsbemühungen, Metall und Keramik zum Zweck der Verblendung miteinander zu verbinden, einen Boom in der Zeit von 1978 bis 1987 mit 2,25 Prozent. Dies ist sicherlich den Erfolgen der Prophylaxe zuzuschreiben – wobei die Alterszahnmedizin in der Grundlagenforschung nicht so intensiv vertreten ist.


Amalgam als Forschungsobjekt hatte einen maximalen Anteil von 1,5 Prozent zwischen 1978 und 1987 und war noch bis 2007 mit 0,25 Prozent ein Thema – heute nicht mehr. Komposite hatten einen Boom mit 8 Prozent in der Zeit von 1988 bis 2007, jetzt scheinen sie sich bewährt und überall durchgesetzt zu haben. Die Forschung zum Thema Laser hatte ihre Hoch-Zeit zwischen 1988 und 2007 mit einem Anteil von 1,75 Prozent. Entgegen manch hochfliegender Erwartung hat es sich gezeigt, dass der Laser das Winkelstück mit den rotierend-abtragenden Instrumenten nicht verdrängen konnte. Die Werkstoffprüfung hatte einen kontinuierlichen Anteil zwischen 3,25 und 5 Prozent.


Sehr gut im modernen Trend liegt die Biokompatibilitätsforschung mit einem aktuellen Anteil von 2,75 Prozent. Die Voraussetzungen hierzu wurden durch die Zellkulturtechniken geschaffen, die von anfangs 0,1 Prozent auf bis heute 5 Prozent zugenommen haben. Damit hängt die Forschung zur Stammzell- und Regenerationsforschung zusammen, die von 0 Prozent seit 1987 auf aktuell 6,5 Prozent wuchs. Einen ähnlich ansteigenden Trend haben auch die Themen „Genexpression“ und „Signaling“ zu verzeichnen: 0 Prozent bis 1987 und dann ein steiler Anstieg bis zu einem Plateau von 8,75 Prozent. Davon profitierte unter anderem die Knochenforschung, zu der auch alles rund um die Knochenersatzmaterialen gezählt wurde – der Anteil liegt heute bei 4,25 Prozent. Aktuell rückt die Innere Medizin im Bereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in den Fokus: Seit 2008 hält sie mit 4,5 Prozent einen beträchtlichen und wichtigen Anteil an der Grundlagenforschung. Auch strukturbiologische Grundlagenforschung, dazu zählen die „Morphologie“ und „Morphogenese“, haben sich von 3,25 Prozent zu Beginn bis 2007 auf 8,75 Prozent mehr als verdoppelt. Heute beträgt der Anteil noch 6 Prozent.

Ausblick: Gefördert wird nicht mehr die Neugier

Ein Zahn aus der Retorte, der aus Stammzellen heranwächst, konnte auch auf der 50. Tagung der AfG noch nicht präsentiert werden. Dennoch zeigen sich spannende Entwicklungen – die Anzahl der Vorträge und Posterbeiträge hat sich gegenüber den Vorjahren fast verdreifacht. Die Einblicke in das Kommunikationsverhalten der Zellen werden deutlicher und der Weg hin zu einer molekularen Medizin wird am Horizont erkennbar. Bis dorthin sind aber noch intensive Bemühungen sowohl auf makroskopischer wie auf mikroskopischer, zellulärer und molekularer Größenordnung notwendig.

Die Medizin alleine kann dies nicht leisten, der Dialog mit den Disziplinen der Grundlagenforschung ist hierzu zwingend nötig. Aus diesem Grund wurde die AfG vor 50 Jahren gegründet: Sie ist ein Forum für Naturwissenschaftler und Zahnmediziner. Es gibt noch viel zu tun und für eine fruchtbare Forschung müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein: Zuvorderst muss die Neugier als intrinsisches Motiv für den Wissenschaftler und als Antriebskraft der Forschung erhalten bleiben. Bei der heute steigenden Komplexität der Fragestellungen muss die Möglichkeit zur Kooperation über Fakultäten und Standorte hinweg gefördert werden. Auch die Finanzmittel müssen der wachsenden Komplexität in der Forschung angepasst werden. Und es müssen vor allem zeitliche und gedankliche Freiräume beibehalten werden, in denen Ideen reifen können.

Der gegenwärtige hochschulpolitische Trend steht dem bedrohlich gegenüber: Gefördert wird nicht die Neugier, sondern es wird eine friktionsarme, schnelle Publikation in „impact“-gerankten Publikationsorganen als „Leistung“ und Qualitätskriterium für Forschungsbemühungen belohnt. Oft orientieren sich die Stellenvergaben daran. Die Etats für Forschung sind dramatisch gesunken, stellenweise gibt es nicht einmal mehr eine sinnvolle Grundausstattung. Einige Standorte stellen die Erzielung von „Erlösen“ aus der Patientenversorgung über die Finanzierung von Forschungsprojekten. Den notwendigen Kooperationen zwischen verschiedenen Universitäten steht der Wunsch nach „Rankings“ gegenüber, die ja nur in „Konkurrenz“ anstelle von Kooperationen möglich sind. Und schließlich bleibt für das Lesen, Nachdenken und Diskutieren immer weniger Zeit, weil die Ökonomen, die an der Universität die Herrschaft übernommen haben, das nicht quantifizieren können. Es ist Aufgabe der Wissenschaftler an Universitätskliniken, an denen geforscht, geheilt und gelehrt wird, dies zu fordern und zu erhalten. Angesprochen ist da auch die Bildungs- und Wissenschaftspolitik im Bund und in den Ländern. Viel ist in diesen politisch bewegten Tagen von Innovations- und Forschungsförderung die Rede – zu hoffen bleibt, dass davon tatsächlich etwas in der Wissenschaft ankommt.

Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung (AfG)Universitätsmedizin Berlin, Orale Struktur- und Entwicklungsbiologie, CharitéAssmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlinralfj.radlanski@charite.de

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