Bertelsmann-Studie prognostiziert

GKV-Defizit steigt bis 2040 auf 50 Milliarden Euro

pr/pm
Der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) droht laut einer aktuellen Prognose der Bertelsmann Stiftung ein Defizit von fast 50 Milliarden Euro bis zum Jahr 2040. Um die Ausgabensteigerung aufzufangen, müsste der Beitragssatz von derzeit 14,6 schrittweise auf 16,9 Prozent steigen.

Die Jahre der Rekordüberschüsse sind ab Mitte der 2020er für die GKV vorbei: Dann droht die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen wieder auseinanderzugehen, prognostiziert die Studie „Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung“ des IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die jetzt veröffentlicht wurde.

„Die Zeiten eines gleichlaufenden Zuwachses von Einnahmen und Ausgaben sind vorbei“, stellt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, fest. „Die Debatte über den gesundheitspolitisch sinnvollen Instrumentenmix muss heute beginnen, damit die beschlossenen Maßnahmen wirken, wenn es darauf ankommt.“

Die Wissenschaftler des IGES Instituts haben analysiert, welche Faktoren die Finanzsituation der GKV beeinflussen. Sollte sich etwa die Einkommensentwicklung in Deutschland zukünftig an den relativ hohen Lohnsteigerungen der jüngsten Zeit orientieren, müsste der Beitragssatz bis 2040 nur auf 15,4 Prozent steigen. Im Unterschied dazu würde ein überdurchschnittlicher Anstieg der Preise im Gesundheitswesen die Schere weiter auseinandertreiben. Der Beitragssatz könnte dann 2040 sogar bei 18,7 Prozent liegen.

Kostentreiber sind Mengen und Preise der Leistungen

„Die für die Finanzierung des Gesundheitswesens einflussreichsten Faktoren kommen von außen und lassen sich durch Gesundheitspolitik nicht direkt beeinflussen“, erläutert Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung, ein wesentliches Ergebnis der Studie. „Trotzdem sind die gesundheitspolitischen Instrumente, die die Kostenreduzieren und die Einnahmen verbessern, nicht wirkungslos.“ Die Studie zeigt außerdem, dass für die steigenden Ausgaben weniger die Alterung der Bevölkerung als vielmehr die Entwicklung von Menge und Preis bei den medizinischen Leistungen verantwortlich ist.

Krankenkassenstatistik

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte im September seine aktuellen Krankenkassenstatistik (1. Halbjahr 2019) veröffentlicht. Die Zahlen zeigen, dass die gesetzlichen Krankenkassen, um ihre Rücklagen abzubauen, im ersten Halbjahr 2019 mehr ausgegeben haben, als sie durch Beitragszahlungen eingenommen haben. Trotzdem liegen ihre Finanzreserven immer noch bei rund 20,8 Milliarden Euro. Im Durchschnitt entspricht dies etwa einer Monatsausgabe und damit etwa dem Vierfachen der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve.

Insgesamt haben die gesetzlichen Krankenkassen bei einem Ausgabenvolumen von 125 Milliarden Euro im 1. Halbjahr 2019 ein leichtes Defizit von rund 544 Millionen Euro verbucht. Die Einnahmen sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,6 Prozent und die Ausgaben um 4,7 Prozent gestiegen.

 

„Eine kluge Kostendämpfungspolitik, die die Versorgungsstrukturen im stationären Bereich konsequent konsolidiert, kann dem Defizit in der GKV wirksam entgegensteuern“, bilanziert Etgeton. Auf der Einnahmeseite könnte wiederum der Bundeszuschuss schrittweise erhöht werden und so die Beitragserhöhung bremsen. Damit würden auch die Arbeitskosten weniger stark belastet. Wollte man den Beitragssatz dauerhaft auf 15 Prozent stabil halten, müsste der Steuerzuschuss von derzeit 14,5 Milliarden Euro pro Jahr – das entspricht 7 Prozent der Beitragseinahmen – bis 2040 auf 70 Milliarden Euro, und somit auf etwa ein Fünftel der Beitragseinnahmen, ansteigen. Die Studienautoren empfehlen der Gesundheitspolitik, der sich abzeichnenden finanziellen Entwicklung in der GKV frühzeitig und ohne Scheuklappen zu begegnen. Kostendämpfungspolitik habe sich in der Vergangenheit als wirksam erwiesen. Heute müssten vor allem ineffiziente Strukturen im stationären Bereich abgebaut werden. Zugleich müssten steigende Beitragssätze dadurch abgemildert werden, dass der Bundeszuschuss schrittweise angehoben wird.

Finanzierungsdruck in der GKV

Trotz der Überschüsse der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten Jahren bestehen laut IGES-Studie aufgrund der demografischen Entwicklung Zweifel, dass die Finanzierung nachhaltig gesichert ist. Es zeichnet sich ab, dass einer steigenden Zahl an Leistungsempfängern im Rentenbezug eine abnehmende Zahl an Beitragszahlern im Erwerbsalter gegenüberstehen wird. Daher sei davon auszugehen, dass diese strukturellen Herausforderungen in absehbarer Zeit deutlich stärker spürbar werden.

Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 60er Jahre werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen und dann wohl sowohl geringere Krankenversicherungsbeiträge zahlen als auch höhere Leistungsausgaben verursachen. Auf der Einnahmenseite sei damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit konjunkturelle Eintrübungen in Deutschland durchschlagen. Während sich von 2014 bis 2018 noch Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (jeweils preisbereinigt) zwischen 1,4 und 2,2 Prozent pro Jahr positiv auf die GKV-Einnahmen auswirkten, geht die Bunderegierung nach Angaben der IGES-Wissenschaftler gegenwärtig nur noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent im laufenden Jahr 2019 und zwischen 1,2 und 1,5 Prozent pro Jahr für die kommenden vier Jahre aus.

Der Finanzierungsdruck steigt aber auch auf der Ausgabenseite: Die Studie führt an, dass die umfangreichen politischen Reformen der vergangenen Jahre sich bereits jetzt in Ausgabensteigerungen niederschlagen. Da derzeit keine Kostendämpfungsgesetzte geplant sind, sei nicht davon auszugehen, dass die diese Ausgabenzuwächse zurückgehen.

Für die Studie wurde ein Simulationsmodell entwickelt, mit dem die künftige Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der GKV in unterschiedlichen Szenarien analysiert werden kann. Auf der Einnahmeseite berücksichtigt das Modell die Beitragseinnahmen, weitere Einnahmen der Krankenkassen und den Bundeszuschuss. Auf der Ausgabenseite stehen die Entwicklung der Leistungsausgaben (exklusive Krankengeld), der Krankengeldausgaben sowie der Nettoverwaltungskosten und der sonstigen Ausgaben. Als äußerer, übergeordneter Faktor wurde die demografische Entwicklung abgebildet. Basisjahr für weitere Berechnungen ist 2017. Sofern bereits Daten von 2018 vorlagen, wurden diese berücksichtigt. Zieljahr der Fortschreibungen ist 2040.

pr/pm

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.