Ein Zeichen gegen die zunehmende Ökonomisierung
Das Gesundheitswesen in Deutschland zählt zu den besten der Welt. Warum? „Weil es auf dem nahezu uneingeschränkten Vertrauen der Menschen basiert, dass Zahnärzte und Ärzte sie nach bestem Wissen und Gewissen, nach dem Stand medizinischer Erkenntnisse, weisungsunabhängig und frei von wirtschaftlichen Interessen Dritter behandeln“, so Dr. Wolfang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). „Doch“, warnte Eßer seine Gäste auf dem diesjährigen Frühjahrsfest, „geht dieses Vertrauen verloren, wird ein Grundpfeiler gesellschaftlicher Daseinsvorsorge unwiederbringlich zerstört.“
Vordringliche Aufgabe der KZBV sei dementsprechend „die Niederlassung junger Zahnärzte in freiberuflicher Selbstständigkeit zu fördern“. Die Sicherstellung der flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung sei durch in- und ausländische Fremdinvestoren, die massiv in den deutschen Dentalmarkt investieren, trotz dem nun in Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetz, weiterhin gefährdet. „Wir beobachten sehr genau, wie sich die MVZ-Regelung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes in der Praxis auf die Investitionsbestrebungen von Private-Equity-Fonds auswirken wird“, kündigte Eßer an. Sollte es nicht gelingen, die „Marktbeherrschungspläne der Investoren“ dauerhaft einzudämmen, stehe viel auf Spiel – „die Sicherstellung der Versorgung sowie auch die freiberufliche zahnärztliche Berufsausübung“.
Ein weiteres Beispiel für die fortschreitende Vergewerblichung: Ein Zahnarzt muss sich in seiner Praxis pro Jahr rund 100 Tage ausschließlich mit Dokumentations- und Informationspflichten beschäftigen – „Zeit, die in die Patientenversorgung wesentlich sinnvoller investiert wäre“, so der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Prof. Dietmar Oesterreich.
Das Versprechen der Ärzte
Dass Zahnärzte und Ärzte die fortschreitende Vergewerblichung der Medizin beklagen, ist nicht neu. Bereits 2017 hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) mit ihrem selbst verfassten Kodex „Medizin vor Ökonomie“ (siehe Kasten) ein deutliches Zeichen gegen die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens gesetzt. „Er ist ein pragmatischer Ansatz zur Unterstützung aller Ärztinnen und Ärzte, die sich verpflichten, ihr ärztliches Handeln stets am Wohl des Patienten auszurichten – mit absolutem Vorrang gegenüber ökonomischen Überlegungen“, zitierte das Deutsche Ärzteblatt die wesentliche Initiatorin des Kodex, Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger, bei dessen Vorstellung im September 2017 in Berlin. Der Kodex soll laut DGIM Medizinern dabei helfen, die Auswirkungen von Ökonomisierung in ihrem persönlichen Arbeitsgebiet „kritisch zu reflektieren“. Gleichzeitig sollen sich Ärzte im beruflichen Alltag und insbesondere bei Konflikten durch primär ökonomisch ausgerichtete Handlungsvorgaben auf das Konsenspapier berufen können. Ziel ist zudem, mit dem Kodex das Vertrauen von Patienten und Bevölkerung in eine wertorientierte Medizin und Ärzteschaft zu stärken.
Nicht nur Klinikärzte geraten unter Druck
Schon lange sind es nicht mehr nur die Klinikärzte, die von Kostendruck und Zielvorgaben massiv in ihrer Handlungsfreiheit als Mediziner eingeschränkt werden – auch die niedergelassenen Ärzte geraten zunehmend unter Druck: So führten die wirtschaftlichen Fehlanreize vor allem zu einer Überversorgung in gut bezahlten Domänen wie der Gerätemedizin mit MRT, CT oder Röntgen – bei gleichzeitiger Unterversorgung in der nicht ausreichend vergüteten sprechenden Medizin. Stark betroffen hiervon ist beispielsweise die Behandlung betreuungsintensiver Volkskrankheiten wie Diabetes oder Rheuma. Vertrauensverlust im Arzt-Patienten-Verhältnis und Personalmangel im Gesundheitswesen sind dann laut DGIM weitere Folgen. Wegen des zunehmenden ökonomischen Drucks im ambulanten Bereich wurde der bis dahin offiziell genannte „Klinik Codex: Medizin vor Ökonomie“ auf Grundlage der Empfehlung des Deutschen Ärztetages in Erfurt 2018 und im Einvernehmen mit dem Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) sowie der DGIM ohne inhaltliche Änderungen der ursprünglichen Version in „Ärzte Codex: Medizin vor Ökonomie“ umbenannt.
Ziel der DGIM ist es seitdem, diesen Codex nicht nur als berufsethische Basis für Internisten zu etablieren, sondern auch anderen medizinischen Fächern und Berufsgruppen die Möglichkeit zu geben, sich dieser Selbstverpflichtung anzuschließen. „Je mehr Ärzte sich dem Inhalt des Codex anschließen, umso mehr wird der Berufsstand Sicherheit, Selbstbewusstsein und Mut zurückgewinnen und umso stärker wird seine Wirkung sein“, so die Hoffnung der DGIM.