Arzneimittelversorgung

Hinter jeder fehlenden Packung steht ein Patient

Berichte über Arzneimittelfälschungen, Qualitätsprobleme bei Medikamenten und Versorgungsengpässe etwa beim Schmerzmittel Ibuprofen machten in jüngster Zeit die Runde. Ist die Arzneimittelversorgung der Patienten noch sicher? Diese Frage stellte die Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen e. V. (GRPG) am 12. Juni in Berlin.

Schmerzmittel, Antibiotika, Blutdrucksenker – in Deutschlands Apotheken fehlen immer öfter wichtige Medikamente. Magdalene Linz, Moderatorin der Veranstaltung und Präsidentin der niedersächsischen Apothekerkammer, berichtete von 170 Arzneimitteln, die derzeit nicht lieferbar seien. Das Bundesamt für Arzneimittelsicherheit (BfArM) nannte noch höhere Zahlen: 226 Meldungen zu Arzneien liegen demzufolge dort vor, bei denen eine eingeschränkte Verfügbarkeit oder ein Lieferengpass besteht.

Für diese Versorgungslage machen Kritiker auch die Rabattverträge verantwortlich. Seit 2007 können Krankenkassen derlei Verträge mit Arzneimittelherstellern abschließen – und damit Milliardenbeträge einsparen; allein im vergangenen Jahr laut Berechnungen des Deutschen Apothekerverbands (DAV) mehr als vier Milliarden Euro.

Welche Folgen die Monopolstellung einzelner Hersteller auf die Medikamentenversorgung hat, führte Dr. Michael Horn, Leiter der Abteilung Zulassung im BfArM in Bonn, aus. „Konzentrationsprozesse führen dazu, dass Produktionsausfälle einzelner Hersteller immer häufiger unmittelbare Auswirkungen auf die Patientenversorgung haben.“

Verantwortlich für die Lieferengpässe seien zu 80 Prozent Produktionsausfälle, hinzu kämen Qualitätsmängel und steigende Bedarfe, etwa beim Schmerzmittel Ibuprofen. Als Beispiel nannte Horn die Lieferschwierigkeiten bei Valsartan. Der Wirkstoff des blutdrucksenkenden Mittels wurde in Deutschland vorwiegend von einem chinesischen Hersteller bezogen. Im Juli 2018 wurde die Verunreinigung bestimmter Chargen mit einer als krebserregend geltenden Substanz aufgedeckt. Die Folge: Die betroffenen Fertigarzneimittel wurden in Europa und Nordamerika vom Markt genommen. Hierzulande waren Horn zufolge über 40 Prozent des Marktes betroffen.

Auch bei Ibuprofen bestehen aktuell Lieferengpässe, konkret bei den Filmtabletten 400, 600 und 800 des Herstellers AL. Der Wirkstoff des Schmerzmittels wird weltweit nur von sechs Herstellern produziert. Horn: „Angesichts dieser Beispiele kann man nur vor den Risiken der Konzentrationsprozesse bei der Arzneimittelherstellung warnen.“ Er forderte, die Abhängigkeit von Wirkstoffherstellern aufzulösen. „Natürlich geht das nicht von jetzt auf gleich, aber in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Wir müssen der Monopolisierung der Produktion von Arzneimitteln in Indien oder China etwas entgegensetzen.“

Beobachtbar sei zudem ein massiver Anstieg der gemeldeten Lieferengpässe über die vergangenen fünf Jahre: Gab es 2013 noch 40 gemeldete Lieferengpässe, sind es 2018 schon über 264 Meldungen, davon betrafen allein 118 Meldungen Valsartan. Horn zufolge gehen die gestiegenen Meldezahlen auch auf verschärfte Meldekriterien und ein verbessertes Meldeverhalten zurück.

Arzneimittelknappheit ist mittlerweile Tagesgeschäft

Dass man sich von Wirkstoffherstellern mit Monopolmacht abkoppeln sollte, bekräftigte Prof. Frank Dörje, Präsident des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker e. V. (ADKA). Arzneimittelknappheit sei mittlerweile Tagesgeschäft. „In den 90ern gab es das Thema gar nicht. Aber mittlerweile berichten schon Publikumsmedien darüber“, sagte Dörje. „Die Situation im Krankenhausbereich ist dramatisch.“

Die Ursachen von Lieferschwierigkeiten seien allerdings multikausal und nicht ausschließlich in der Konzentration von Produktionsstätten – vornehmlich in Fernost – zu sehen. Ein global agierender Handel unter starkem Kostendruck spiele ebenso eine Rolle wie stetig steigende Qualitätsmängel bei den Medikamentenherstellern.

Die Umstellung der Medikation von Patienten in Kliniken aufgrund der Lieferengpässe kosteten pro Woche hierzulande fast sechs Stunden, rechnete Dörje vor. Generell betreffe der Engpass in den Krankenhäusern zu 50 Prozent Injektionen und Infusionen, gefolgt von Tropfen und Tabletten. Um Lieferschwierigkeiten zu begegnen, forderte Dörje eine Lagerhaltungspflicht – für Kliniken, Apotheken und Pharmaunternehmen.

Zudem müsse man die Pharmahersteller dazu bewegen, wieder mehr in der EU zu produzieren. Auch müsse der Gesetzgeber regulatorisch dafür sorgen, dass es nicht zu Lieferengpässen komme. Dörje: „Hinter jeder fehlenden Packung steht ein Patient.“ Auch die Gesundheitsversorger seien gefordert, sich aus den selbst geschaffenen Abhängigkeiten zu lösen. Beispielhaft nannte Dörje drei private Kliniken in den USA, die sich zusammengeschlossen hatten und nun autark Klinikarzneimittel für ihre Häuser herstellen.

Der Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss, Tino Sorge (CDU), betonte, dass mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) diese Probleme angegangen worden seien. Um die Arzneimittelsicherheit zu stärken, solle etwa die Zusammenarbeit zwischen den Behörden von Bund und Ländern verbessert werden, unter anderem durch eine Informationspflicht über Rückrufe. Zugleich würden die Rückrufkompetenzen der Bundesoberbehörden bei Qualitätsmängeln oder dem Verdacht einer Arzneimittelfälschung erweitert. Zudem soll es laut Sorge häufiger unangemeldete Kontrollen geben, etwa in Apotheken, die Krebsmittel (Zytostatika) selbst herstellen.

Außerdem bekommen die Krankenkassen bei Produktmängeln, etwa bei einem Rückruf, einen Regressanspruch gegenüber den verantwortlichen Pharmafirmen. Bei Rabattverträgen der Krankenkassen mit Arzneimittelherstellern soll künftig auch eine bedarfsgerechte Lieferfähigkeit berücksichtigt werden, um Liefer- und Versorgungsengpässen vorzubeugen. Sorge plädierte für einen offenen, offensiven, aber auch angemessenen Umgang mit dem Thema Medikamentenversorgung. Nicht jeder Lieferengpass sei versorgungsrelevant. Trotz aller Vorkommnisse und Widrigkeiten sei die flächendeckende Versorgung mit Arzneien hierzulande weitestgehend gewährleistet, ist er überzeugt.

„Früher wären Lieferengpässe meist nicht aufgefallen“

...weil der Apotheker statt eines nicht lieferbaren Generikums das Mittel eines anderen Herstellers ausgegeben hätte“, konstatierte Dr. Siegfried Throm vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). Aus seiner Sicht sind Engpässe extrem selten, gemessen an den mehr als 40.000 verschiedenen Medikamenten im Apothekensortiment.

Als Ursachen benannte er Ausfälle von Produktionsanlagen oder der IT, Umrüstungen durch die Anpassung an geänderte behördliche Anforderungen, Sanierungsmaßnahmen und die Sperrung von Produktionschargen wegen Mängeln oder Rückruf. Um Lieferengpässe zu vermeiden, investierten die Unternehmen hohe Summen in ihre Produktionsanlagen und arbeiteten eng mit den Zulassungs- und Überwachungsbehörden zusammen. Die Politik müsse für die Arzneimittelversorgung adäquate Rahmenbedingungen schaffen, die Krankenkassen ihre Einkaufspolitik und Erstattungsregelungen ändern.

„Zur Kontrolle fehlt Personal“

Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende vom Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), führte aus, was die Krankenkassen bei verschiedenen Vorkommnissen in der Arzneimittelversorgung der letzten Zeit unternommen hätten. So hätten diese etwa Alternativregelungen bei Lieferausfällen in Verträgen festgelegt und waren an Aufklärung und Information der Geschehnisse aktiv beteiligt.Ausdrücklich begrüßte Elsner die Neuregelungen im Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), besonders

  • die Verstärkung der Kommunikation und Koordination zwischen Bundesoberbehörden und Landesaufsichten,

  • die Erweiterung von Kontrollpflichten der Behörden,

  • die Erweiterung von Meldepflichten der Beteiligten,

  • die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen

  • sowie die gesetzliche Regelung für Ersatzansprüche gegen den Verursacher.

Allerdings äußerte die vdek-Chefin auch Skepsis bezüglich der praktischen Umsetzung, dies vor allem wegen des fehlenden Personals.

sg

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