MKG-Chirurgie

Ein tenosynovialer Riesenzelltumor im Kiefergelenk

Ein 59-jähriger Patient klagte seit Wochen über wiederkehrende Schmerzen im Kiefergelenk und eine langsam progrediente Einschränkung der Mundöffnung. Zunächst wurde eine Diskusdislokation als Ursache der Einschränkung angenommen. Nach bildgebender Diagnostik und operativer Befundsicherung ergab sich die seltene Diagnose eines tenosynovialen Riesenzelltumors vom diffusen Typ (TSRZT) des Kiefergelenks.

Der Patient wurde auf Überweisung von seinem Hauszahnarzt in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Charité – Universitätsmedizin Berlin vorstellig. Die Schmerzen bestünden bereits seit längerer Zeit mit nun zunehmend eingeschränkter Mundöffnung. Neben einer mit Amlodipin und Ramipril suffizient behandelten arteriellen Hypertonie und einer mit Levothyroxin therapierten Hypothyreose zeigte sich die Allgemeinanamnese unauffällig. Allergien wurden verneint. Der Allgemeinzustand des Patienten war nicht eingeschränkt. 

In der klinischen Untersuchung zeigten sich keine akuten Infektionszeichen außer einer palpatorisch gering ausgeprägten Schwellung präaurikulär rechts. Die Funktionen der Nn. facialis und trigeminus waren ohne Einschränkungen. Die Mundöffnung war auf 30 mm Schneidekantendistanz limitiert ohne zusätzliche Deviation oder Deflexion.

In der Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1) zeigte sich jedoch eine glatt begrenzte Aufhellung des rechten Capitulums. Zur weiteren Abklärung wurde eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Gesichtsschädels veranlasst (Abbildung 2). Hier konnte eine Raumforderung im rechten Kiefergelenk nachgewiesen werden. Ergänzend wurde daraufhin eine CT-Untersuchung (Abbildung 3) durchgeführt, die einen im Durchmesser 31 mm großen Tumor mit Destruktion des rechten Capitulums zeigte.

Konsekutiv erfolgte eine Biopsie der Raumforderung über einen präaurikulären Zugang in Intubationsnarkose (ITN) (Abbildung 4). In der histopathologischen Beurteilung ergab sich die Diagnose eines tenosynovialen Riesenzelltumors vom diffusen Typ (TSRZT) (Abbildung 5).

Nach interdisziplinärer Diskussion erfolgte im Rahmen einer zweiten Operation die Tumorresektion mit Synovektomie, Resektion des Diskus articularis und Capitulum mandibulae rechts in ITN (Abbildung 6). In der postoperativen Bildgebung mittels digitaler Volumentomografie (DVT) zeigte sich eine vollständige Resektion des befallenen Bereichs.

Postoperativ wurde der Patient mittels intraoraler Elastics über IMF-Schrauben für 3,5 Monate nachbehandelt, wodurch sich die initiale Okklusionsbeeinträchtigung besserte.

Diskussion

Der tenosynoviale Riesenzelltumor (TSRZT) ist eine meist gutartige tumorähnliche Läsion, die ihren Ausgang in der Synovialmembran von großen und kleinen Gelenken, Schleimbeuteln oder Sehnen nimmt und sich durch eine proliferative Veränderung auszeichnet [Jendrissek et al., 2016; Verspoor et al., 2018]. Die erste histologische Beschreibung der TSRZT wird Jaffé und seinem Team zugeordnet, die 1941 aufgrund der makroskopischen Erscheinung den insbesondere im deutschsprachigen Raum gängigen Begriff der „pigmentierten villonodulären Synovialitis“ (PVNS) prägten [Jendrissek et al., 2016; Wang et al., 2020]. Die aktuelle Bezeichnung des tenosynovialen Riesenzelltumors unterscheidet zwischen einem diffusen und einem lokalisierten Typ [Verspoor et al., 2018; WHO, 2002].

In der Mehrheit der Fälle manifestiert sich diese Erkrankung am Knie (> 80 Prozent), in selteneren Fällen im Hüft- oder Schultergelenk. Seit der Erstbeschreibung des Befunds im Kiefergelenk 1973 durch Lapayowker et al. wurden weltweite mehr als 100 Fälle am Temporomandibulargelenk beschrieben [Wang et al., 2020; Lapayowker et al., 1973]. Das Durchschnittsalter dieser Patienten lag bei 45 Jahren mit einer Tendenz zu einer höheren Inzidenz bei Männern. Aufgrund der Seltenheit der Manifestation im Kiefergelenk variieren die Geschlechterverhältnisse in den verschiedenen Untersuchungen, so dass sich bisher keine klare Geschlechtertendenz für die Manifestation am Kiefergelenk erkennen lässt [Jendrissek et al., 2016; Wang et al., 2020; Wang et al., 2019].

Während der lokalisierte Typ nur einen Teil der Synovia befällt und sich durch einen gut umschriebenen Knoten kennzeichnet, umfasst der diffuse Typ einen großen Teil oder die gesamte Synovialmembran des betroffenen Gelenks und häufig umliegende Strukturen. Circa 90 Prozent der Tumore werden dem diffusen Typ zugeordnet.

Da die histopathologische Unterscheidung der beiden Typen nur eingeschränkt möglich ist, erlangt die radiologische Differenzierung aufgrund höherer Rezidivraten des diffusen Typs eine besondere Relevanz [Verspoor et al., 2018]. Während in größeren Gelenken Rezidivraten von über 50 Prozent beschrieben werden, liegt die Rate im Kiefergelenk bei circa 15 Prozent. Einzelne Fallserien berichten jedoch über Rezidivraten bis zu 30 Prozent [Safaee et al., 2015].

Die Ätiologie der Erkrankung ist bis heute ungeklärt. Teilweise berichten Patienten von einem Trauma des entsprechenden Gelenks. Neben Frakturen kommen als Traumamechanismen auch Diskusverlagerungen (mit oder ohne Reposition) oder Kieferluxationen infrage. Manche Autoren sehen einen Zusammenhang mit chronischen Entzündungen und diskutieren toxisch allergische Genesen [Jendrissek et al., 2016; Wang et al., 2019]. Andere Autoren betrachten den TSRZT als tumorartige Erkrankung mit geringem Metastasierungspotenzial. Bösartige Formen mit Metastasen sind eine absolute Seltenheit. Lediglich einer der 30 weltweit beschriebenen Fälle einer malignen TSRZT betraf das Kiefergelenk. In diesem Fall zeigten sich Lungenmetastasen [Yoon et al., 2011].

Typischerweise zeigt sich bei allen Entitäten des TSRZT klinisch am betroffenen Gelenk eine druckdolente Schwellung. Insbesondere bei Befall des Kiefergelenks manifestiert sich diese nicht selten präaurikulär, wie im vorliegenden Fall. Zudem ist die auch bei diesem Patienten beschriebene Mundöffnungseinschränkung nicht untypisch und ein häufiges Symptom im Fall eines TSRZT des Kiefergelenks [Verspoor et al., 2018]. Häufig finden sich weitere Symptome wie Schwerhörigkeit oder Tinnitus.

Diese unspezifischen Symptome machen die Diagnose oft herausfordernd. Auch die zahnärztliche Bildgebung zeigt meist, wie in diesem Fall, nur unspezifische und keine wegweisenden Veränderungen. Die weiterführende Diagnostik sollte eine MRT und/oder CT umfassen. Hier zeigen sich häufig degenerative Veränderungen oder zystische Läsionen im angrenzenden Knochen, wobei aufgrund der Seltenheit der Erkrankung eine klassische bildmorphologische Charakteristik bisher nicht beschrieben wurde [Wang et al., 2019]. In der MRT, die als Goldstandard gilt, findet sich typischerweise sowohl in der T1- als auch in der T2-Wichtung eine niedrige Signalintensität. Folglich ist es radiologisch schwierig, einen TSRZT von anderen Riesenzelltumoren abzugrenzen, zumal manche Autoren den TSRZT als Tumorentität innerhalb eines Spektrums verschiedener Erkrankungen sehen [Wang et al., 2019].

Die Diagnosesicherung erfolgt auf Basis der histopathologischen Beurteilung. Bereits makroskopisch präsentiert sich der Tumor mit einer gelb-braunen bis braunen Synovialproliferation (Abbildung 6). Diese charakteristische Färbung geht auf Hämosiderinablagerungen innerhalb des Tumors zurück, die sich im Zytoplasma der mononukleären Zellen wiederfinden (Abbildung 5). Neben der Hämatoxylin-Eosin-Färbung (HE-Färbung) empfehlen manche Autoren zur Darstellung der Hämosiderinverteilung auch eine Diagnostik mittels Berliner-Blau-Färbung [Jendrissek et al., 2016]. Bis zur histologischen Sicherung kommen differenzialdiagnostisch grundsätzlich neben anderen Riesenzelltumoren auch maligne Tumore in Betracht, wovon Parotistumore aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes und der Lokalisation am ehesten infrage kommen [Cai et al., 2011].

Aufgrund der (initial beschriebenen) hohen Rezidivrate besteht die Therapie der Wahl in der vollständigen chirurgischen Resektion, die im Fall einer Schädelbasisinfiltration herausfordernd sein kann [Cai et al., 2011; Yang et al., 2019]. Aufgrund des häufig diffusen Wachstums wird eine großzügige Resektion empfohlen, sowie nachfolgend die Evaluation einer adjuvanten Radiotherapie in Fällen einer hohen Rezidivwahrscheinlichkeit beziehungsweise unzureichender Resektion [Yang et al., 2019]. Neben der chirurgischen Therapie wurden auch eine alleinige Bestrahlung und eine monoklonale Antikörpertherapie als Behandlungsoptionen beschrieben, allerdings nur in kleinen Fallgruppen [Stephan et al., 2016].

In der Literatur finden sich nur wenige Fallberichte eines TSRZT mit Manifestation im Temporomandibulargelenk mit langen Follow-up-Zeiträumen. Eine klare Empfehlung bezüglich Frequenz und Art der Verlaufsuntersuchungen besteht nicht. Eine regelmäßige Nachsorge inklusive dreidimensionaler Bildgebung sollte in jedem Fall angestrebt werden.

Dr. Med. Dr. Med. Dent. Claudius Steffen

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Campus Virchow-Klinikum, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

Dr. Med. Dr. Med. Dent. Jan Voß

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,

Campus Virchow-Klinikum, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

und

Berlin Institute of Health (BIH), Anna-Louisa-Karsch-Str. 2, 10178 Berlin

Dr. Med. Dr. Med. Dent. Felix Fröhlich

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,

Campus Virchow-Klinikum, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

felix-aslan.froehlich@charite.de

Dr. Med. Armin Jarosch

Charité Universitätsmedizin Berlin, Charitéplatz 1, 10117 Berlin

Prof. Dr. Med. Dr. Med. Dent. Max Heiland

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin and Berlin Institute of Health, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

Dr. Med. Felix Fröhlich

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Dr. Med. Jan Voß

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