Beleuchtungskonzepte in der Praxis

1.000 Lux von der Decke

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Die künstliche Beleuchtung in Innenräumen kann mittlerweile in ihrer Intensität die Sonne imitieren. Dabei ist Licht natürlich primär für das Sehen da, hat aber auch eine riesige Wirkung auf den gesamten Organismus und das Wohlbefinden: Gutes Licht erhöht den Sehkomfort und macht müde Geister wieder munter. Das gilt besonders für die Arbeit in der Zahnarztpraxis.

Diese sogenannte zirkadiane Beleuchtung unterstützt den menschlichen Biorhythmus, statt ihn durcheinanderzubringen. Das bestätigt Bogdan Novizky. Als er seine Praxis nach der Übernahme umbaute, entschied sich der Zahnarzt aus Itzehoe bewusst für ein neues Lichtkonzept mit leistungsfähigen, speziellen LEDs, die mit dem Tagesverlauf abgestimmt sind. „Ich wollte besseres Licht und gleichzeitig etwas Anderes, Moderneres. Und zugegeben, schon auch etwas, mit dem wir uns als neu eröffnete Praxis vielleicht von anderen abheben können.“

Novizky ließ zunächst die Tageslichtleuchten in den Behandlungsräumen anbringen. Im Rahmen der arbeitsrechtlichen Vorgaben sollte das Licht wärmer werden und das Arbeiten optimieren. Kombiniert wurde die neue Beleuchtung dann mit hinterleuchteten Deckenbildern mit Naturmotiven. „Daran können sich die Patienten erfreuen und sind während der Behandlung im Idealfall abgelenkt“, erklärt der Zahnarzt. Damit das Konzept auch außerhalb der Behandlungsräume stimmig ist, wurde in den anderen Praxisräumen auch wärmeres Licht installiert. Ziel war, insgesamt eine entspannende Atmosphäre zu schaffen.

„Ich fühle mich wacher und fitter!“

Bemerkenswert findet Novizky jedoch die Wirkung auf den eigenen Körper. Denn mit dem speziellen, tageslichtähnlichen Licht mit einer Helligkeit von 1.000 Lux fühlt sich der Praxisinhaber am Ende des Tages tatsächlich nicht mehr so erschöpft. „Es macht etwas mit mir: Ich fühle mich wacher und fitter. Gerade in den grauen und düsteren Winterwochen habe ich das gespürt.“ Und auch das Team ist von der neuen Beleuchtung angetan.

Doch nicht jede Praxis braucht gleich eine komplette Lichtplanung. Oftmals reicht es, die vorhandenen Leuchtmittel gegen die richtigen auszutauschen, betont Lichtexperte Wulf Reise. Er hat sich auf die Herstellung von Leuchten für Praxen spezialisiert. „Die Helligkeit wird in Lux gemessen und mit entsprechenden Messgeräten am jeweiligen Arbeitsplatz auf einer gegebenen Arbeitshöhe ermittelt“, führt er aus. „Der Lux-Wert darf laut den vorgeschriebenen Normen bestimmte Werte nicht unterschreiten. Wichtig ist vor allem, das Licht überall in den Räumen in Einklang zu bringen. Befinden sich im Arbeitsumfeld viele Leuchten mit verschiedenen Farbtemperaturen und Helligkeiten, müssen die Augen dies  ständig ausgleichen. Das ist Arbeit, die unser Gehirn verrichten muss. Es fällt uns nicht auf, da das unterbewusst abläuft. Aber wenn man sich abends fragt, warum man so kaputt ist, ist das mindestens eine Mitursache.“

Für ein hinterleuchtetes Deckenbild im Behandlungszimmer muss man mit 1.000 Euro, für ein Deckenbild mit integrierter Behandlungsleuchte mit etwa 3.000 Euro rechnen. Diese Form der „Lichtrenovierung“ plus ein neuer Anstrich machen die Komplettrenovierung mit neuen Möbeln und neuen Behandlungseinheiten oft überflüssig, sagt Reise. „Wechselt man die Leuchtmittel der weiteren Räume sukzessive im Rahmen der Wartung oder des Ausfalls aus, so ist bald eine homogen ausgeleuchtete Praxis erreicht.“

„Wow! Fangen Sie an, ich gucke nur nach oben!“

Für ihre neuen Räumlichkeiten mussten auch Antonia und Markus Kammerlander aus Biberach in Baden-Württemberg die Beleuchtung austauschen. Vorher war der Ort eine Gaststätte. Als sie auf die Leuchtbilder mit der Tageslichtumrandung stießen, orderten sie diese für ihre drei Behandlungszimmer und den Eingangsbereich. „Wir hatten keine Ahnung, wie das in echt aussehen würde, aber wir sind begeistert“, erzählt Markus Kammerlander. „Die Leuchten geben sehr gutes Licht zum Arbeiten – ohne Schattenwurf, sobald man den Kopf über den Patienten reckt. Das hat uns als praktischen Aspekt direkt nach der Installation überzeugt.“ Besonders bei den zahntechnischen Arbeiten und schwierigen Füllungen im Frontzahnbereich schätzt er das neue Licht. „Bei der Farbauswahl hilft es ungemein, dass das Licht wie echtes Tageslicht draußen vor der Haustür wirkt. Die Ergebnisse werden so natürlich und sehr zufriedenstellend für den Patienten – und somit auch für uns.“

Auch die Mitarbeiter fühlen sich nun wohler in der Praxis. Niemand konnte sich vorstellen, wie deutlich sie die Effekte hier spüren würden, berichtet das Paar. Die beiden sind überzeugt: „Fühlt sich das Team gut, beeinflusst das die Atmosphäre und das wiederum nehmen die Patienten wahr!“ Und die Deckenbilder lenken auch die kleinen Patienten gut ab. „Es ist also vielleicht nicht das Licht allein, aber es ist auf jeden Fall ein wichtiger Faktor. Seine Strahlkraft quasi.“

Der zirkadianische Zyklus

Wie Licht den menschlichen Organismus steuert

Besonders an trüben, kurzen Tagen im Winter wird deutlich, wie groß der Einfluss von Tageslicht auf das Aktivitätslevel ist. Dann ist es kaum stark genug, um die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden stimulierend zu unterstützen. Das Tageslicht taktet die innere Uhr – ein kompliziertes Steuersystem, das sämtliche Körperfunktionen im 24-Stunden-Rhythmus koordiniert und aufeinander abstimmt. Dieses System – der zirkadianische Zyklus (circa = ungefähr, dies = Tag), das ist der Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen – muss täglich neu durch das Tageslicht synchronisiert werden. Fehlen Lichtreize als wichtiger Zeitindikator, kommt die innere Uhr aus dem Takt. In der Folge können sich Menschen müde und antriebslos fühlen.

Einen wesentlichen Einfluss auf den zirkadianen Rhythmus nimmt das Hormon Melatonin. Es wird in der Zirbeldrüse des Zentralgehirns gebildet und reguliert durch seine Konzentration im Blutserum viele organische Vorgänge. So ist die Aktionsfähigkeit direkt mit der Höhe des Melatoninspiegels verbunden (Grafik). Liegt Melatonin in höherer Konzentration im Blut vor, stellt sich ein Müdigkeitsgefühl ein. Umgekehrt ist ein hoher Cortisolspiegel für die Wachphasen mitverantwortlich. Durch die direkt auf die Netzhaut auftreffende Lichtenergie wird die Melatonin- und die Cortisolproduktion gesteuert – unabhängig vom eigentlichen Sehvorgang. Viel Licht, besonders der kurzwellige Spektralanteil, lässt den Cortisolspiegel ansteigen und unterdrückt die Produktion von Melatonin. Entsprechend wird der Mensch wach, wenn es hell wird, und müde, wenn es dunkel wird.

„Die Wirkung hat uns enorm erstaunt!“

 „Die Wirkung hat uns enorm erstaunt: Die Angstpatienten kommen oft angespannt und schwitzend ins Behandlungszimmer, wenn sie sich dann hingesetzt haben, richten sie den Blick auf das bunte Leuchtbild zwischen der Arbeitsbeleuchtung – und werden in den Bann gezogen“, erzählt Antonia Kammerlander. „Ich denke, es ist genau diese Kombination: das Blau des Himmels, das Naturmotiv und die Farbe der Leuchte – man kann zugucken, wie die Anspannung weicht.“ Und auch ein Patient, der kein Geheimnis daraus macht, dass er nicht gerne zum Zahnarzt kommt, sagte mit Blick auf die Deckenbeleuchtung: „Wow! Fangt an, ich gucke einfach nur nach oben!“

Verschiedene Studien haben die Lichtwirkung jenseits der visuellen Effekte untersucht. So konnte eine aktuelle Untersuchung der Oregon State University [Hauser et al., 2020] bestätigen, wie Licht und Beleuchtung nicht-visuelle Reaktionen beim Menschen und damit den zirkadianen Rhythmus des Menschen beeinflussen. Und eine Studie der Technischen Universität von Košice in der Slowakei [Cupkova et al., 2019] hat herausgefunden, wie durch smarte Technologien angepasste Beleuchtungskonzepte das psychische Wohlbefinden beeinflussen können. So wurde künstliche Intelligenz eingesetzt, um die Emotionen des Benutzers zu erkennen und daraufhin die passende Lichtfarbe und Helligkeit einzustellen. Hier spielte besonders die Lichtfarbe eine tragende Rolle. Das Hauptziel war, mit einer angepassten Beleuchtung die Stimmung der Menschen zu verbessern, wobei Farbpsychologie und Tageszeit berücksichtigt wurden.

Das Bewusstsein für die Wirkung von Licht ist in den vergangenen Jahren in der Forschung und in der Praxis jedenfalls gestiegen, bestätigt der Lichtexperte Reise. „Vielleicht sind wir in zehn Jahren an dem Punkt, wo in allen Räumen die Innenbeleuchtung der Tageszeit draußen angepasst ist.“

Quellen:

Houser, K. et al.: „Human-centric lighting: Myth, magic or metaphor?“, veröffentlicht am 6. Oktober 2020 in Lighting Reseach & Technology DOI: doi.org/10.1177/1477153520958448

Cupkova, D. et al.: „Intelligent human-centric lighting for mental wellbeing improvement“, veröffentlicht am 14. September 2019 in International Journal of Distributed Sensor Networks DOI: doi.org/10.1177/1550147719875878

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