Verwaltungsgerichtshof Hessen

Darf ein HIV-Infizierter von Praxiskursen ausgeschlossen werden?

Die Universität Marburg hat einen mit dem HI-Virus infizierten Zahnmedizinstudenten komplett von den Praxiskursen ausgeschlossen. Zu Recht, wie der Verwaltungsgerichtshof Hessen in einer umstrittenen Begründung urteilt.

In dem Fall hatte die Universität Marburg einem mit dem HI-Virus infizierten Zahnmedizinstudenten mitgeteilt, dass er von den auf den theoretischen Teil folgenden Praxiskursen ausgeschlossen sei. Aufgrund des Virus dürfe er nicht an Kursen mit Patientenkontakt und an Übungen der Studierenden im kommenden Semester teilnehmen, wie die Rechtsanwälte um Michael Lennartz auf lennmed.de ausführen.

Nach diesem auszusitzenden Semester sollte der Student monatlich auf eigene Kosten einen Labornachweis erbringen. Bei einer Viruslast unterhalb einer Nachweisgrenze werde dann eine Expertenkommission eingesetzt, die sich mit der Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Studiums befasst. Dagegen legte der Student nach kurzer Zeit Widerspruch ein. Dabei bestätigten ihm zwei von ihm beauftragte Gutachter, dass von ihm keine derart hohe Gefahr ausgehe, die eine monatliche Testung rechtfertigen würde.

Ausschluss von allen Lehrveranstaltungen!

Als dieser Widerspruch seitens der Uni unbeantwortet blieb und ihm die Betriebsärztin obendrein aufgrund fehlender monatlicher Testungen den Unbedenklichkeitsnachweis verweigerte, zog der Student vor Gericht. Er beantragte eine einstweilige Verfügung, um wieder an den Kursen teilnehmen zu dürfen, und klagte gegen die Anweisung der Universität zur monatlichen Testung. Die Uni reagierte lennmed.de zufolge darauf mit dem Ausschluss von sämtlichen Lehrveranstaltungen.

Der VGH Zur Testung

Der VGH wies noch darauf hin, dass eine Teilnahme komplett ohne Testung sehr bedenklich sei. Das Gericht bezog sich dabei auf eines der vom Studenten eingereichten Gutachten, das eine regelmäßige Kontrolle für notwendig erachtet hatte. Danach reicht allerdings eine vierteljährliche Kontrolle aus und bereits eine Virenlast von nicht mehr als 200 Kopien pro Milliliter sei unbedenklich, sofern Therapieadhärenz besteht. Demzufolge sei das von der Universität geforderte monatlich einzureichende Ergebnis mit einer Viruslast von unter 50 Kopien laut Gutachter „absolut unverhältnismäßig“. Dem widersprach das Gericht nicht. Es sah in der vierteljährlichen Kontrolle nur eine Mindestanforderung, der der Zahnmedizinstudent nicht einmal nachgekommen sei.

Das Verwaltungsgericht Gießen gab dem Zahnmedizinstudenten recht: Ihm müsse sofort Zugang zu den Lehrveranstaltungen gewährt werden. Nur bei risikoträchtigen Veranstaltungen müsse er einen Nachweis über eine geringe Viruslast erbringen. Den gänzlichen Ausschluss hielten die Richter für unverhältnismäßig.

Der VGH hebt die Gießener Entscheidung auf

Dagegen ging nun wieder die Universität Marburg vor und erhob Beschwerde vor dem VGH Hessen. Dort hoben die Richter die Entscheidung des VG Gießen auf: Neue Erkenntnisse seien aufgetaucht, die eine Neubewertung des Falles erforderten. Demnach falle der Student aufgrund seiner HIV-Infektion unter die Generalklausel zur Gefahrenabwehr des Hessischen Hochschulgesetzes. So hätten die eidestattlichen Versicherungen der Universität eine Gefahr zweifelsfrei nachgewiesen.

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts finde der Phantomkurs Parodontalpropädeutik nämlich nicht an einem Phantomkopf statt. Vielmehr würden in beiden Lehrveranstaltungen die Studierenden untereinander Übungen durchführen, die mit der Benutzung medizinischer Instrumente verbunden seien, wobei auch scharfe Instrumente zum Einsatz kämen, so dass Verletzungen entstehen können – und auch regelmäßig entstehen.

Die Gutachter sind keine Zahnärzte!

Außerdem seien die Sachverständigen des Antragstellers Humanmediziner und könnten deshalb die zahnmedizinische Seite wohl kaum beurteilen: „Bei Prof. Dr. X [...], der nach eigenen Angaben [...] Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Bonn ist, handelt es sich offenbar um einen Humanmediziner, der die Praxis in den fraglichen zahnmedizinischen Lehrveranstaltungen nicht aus eigenem Erleben kennen dürfte, weder als (ehemaliger) Studierender noch als Lehrperson. [...] Damit hat die Antragsgegnerin eine wesentliche Grundlage des Beschlusses des Verwaltungsgerichts durchgreifend erschüttert.“

So gaben die Richter der Universität recht, wonach dem Zahnmedizinstudenten keine wesentlichen Nachteile entstünden, wenn er die Veranstaltungen in einem späteren Semester nachholt, wenn seine Viruslast einen „unbedenklichen Wert“ erreicht habe.

Verwaltungsgerichtshof Hessen

Az.: 10 B 2508/21

Beschluss vom 1. Februar 2022

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