Hier arbeite ich gerne!
Die einen bezeichnen sie als „Perlen“, ohne die sie ihre Praxis schlicht zumachen können. Andere finden den Hype um ihre Angestellten fast schon übertrieben. Doch den Fachkräftemangel spüren viele Praxen. Recruiting und Mitarbeiterbindung stehen daher weit oben auf der Agenda.
Eine aktuelle Umfrage des PKV-Instituts zur Zufriedenheit im Beruf unter 200 Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten ergab, dass 45 Prozent unzufrieden mit ihrem Job sind. Ein Großteil bemängelte, dass Gehalt und Wertschätzung nicht im Verhältnis zu ihrem Arbeitseinsatz stünden. Diese Mitarbeiterinnen sind auf dem Sprung.
„In einem Jahr sehe ich dich in dieser Position“
Zahnärztin Michaela Sehnert hat 2016 eine Praxis in Halle übernommen und zwei Mitarbeiterinnen mitgebracht. Die beiden sind heute immer noch an ihrer Seite, plus acht weitere. Die Praxis „gesundesweiss“ ist über die Jahre größer geworden. Inzwischen hat die Chefin auch eine Kollegin und eine Assistenzzahnärztin eingestellt. Sehnert investiert in ihre Mitarbeiterinnen, um die Praxis gemeinsam weiterzuentwickeln. Dabei ist sie überzeugt, dass Geld bei Weitem nicht alles ist: „Für sehr wichtig halte ich die Definition der persönlichen Perspektive der Mitarbeiterinnen. Wir legen von Anfang an gemeinsam fest, wie sich die Stelle in welchem Zeitraum entwickeln kann. Das gibt ihnen auch Sicherheit.“ Dafür macht sie klar, wie die Erfolge aussehen könnten und dass diese auch gesehen werden, wenn sie sich einstellen. „Ich sage zum Beispiel: „In einem Jahr kannst du das selbstständig und ich sehe dich in dieser oder jenen Position. Gleichzeitig habe ich für mich im Hinterkopf, Aufgaben ab dann delegieren zu können.“ Bei ihr sind einige Angestellte zum Beispiel „Behandlungskoordinatoren“. Sehnert: „Sie wachsen an ihren Aufgaben enorm und das motiviert!“
Selbstverständlich spielt das Gehalt eine Rolle. Sehnert fragt ihre Mitarbeiterinnen direkt, wie viel sie verdienen wollen und stimmt dem in aller Regel zu. Gebunden ist diese Zusage allerdings an die Forderung, ihr durch vollen Einsatz und ständiges Lernen zu beweisen, dass sie diese Leistungen wert sind. Das Motto „Zeig´ mir, was Du kannst!“ funktioniere sehr gut, erzählt sie. Außerdem gebe es zehn Prozent Umsatzbeteiligung als weiteren monetären Anreiz.
„Ein Firmenwagen ist eine starke Bindung“
Die Praxischefin fährt darüber hinaus eine Vielzahl an sogenannten Incentives auf, also geldwerten Vorteilen und Anreizen – und kalkuliert dabei mit einer langfristigen Zusammenarbeit. Ihre Mitarbeiterinnen bekommen einen Firmenwagen inklusive Tankkarte. Sie können fahren und müssen sich um nichts kümmern: keine Versicherung, kein Sprit, keine Unterlagen, keine Organisation. Sehnert ist überzeugt: „Auch wenn es mal nicht so gut läuft – und solch eine Phase kennt jeder –, ist das Auto eine Annehmlichkeit, auf die nicht so gerne wieder verzichtet wird.“ Zusatzbenefit: Durch diese Mobilität kommen ihre Angestellten auch von weiter her als nur aus Halle, zum Beispiel aus Dessau oder Merseburg. Alternativ gibt es die BahnCard auf Praxiskosten. Alle Mitarbeiterinnen arbeiten vier Tage die Woche und haben somit einen Werktag frei. Auch das komme der Arbeitsmotivation zugute. Wenn sich mal ein längerer Arbeitstag anbahnt, gebe es wenig Murren.
Als kleine aber sehr geschätzte Geste stellt die Praxischefin zudem eine „Haushaltskasse“ zur Verfügung, wie sie es nennt. „Für Kaffee, Tee, Snacks oder die Zutaten fürs Mittagessen, das eine im Team abwechselnd für alle kocht“, zählt Sehnert auf. Ihr sei bewusst, dass die Mitarbeiterinnen auch mal unter sich sein wollen. Sie könnten trotzdem jederzeit kommen und ihre Anliegen besprechen. Um mehr über die Stimmung im Team in Erfahrung zu bringen und zu den Wünschen und Nöten, führt sie regelmäßig eine Umfrage durch – schriftlich und anonym.
Verwöhnt sie ihr Team? „Mir ist bewusst: Je mehr man gibt, desto mehr steigen wahrscheinlich auch nach und nach die Ansprüche. Aber durch die festgelegten Ziele bei jedem Einzelnen wissen wir alle, wo wir hinsteuern. Wenn man sich gesehen und wertgeschätzt fühlt, bleibt man doch eher.“ Sie gibt zu: Wenn man so viel tut für seine Mitarbeiterinnen, muss man durchaus mit Neid im Team rechnen und damit umgehen können. „Wenn ich Unmut bemerke, spreche ich das direkt und unter vier Augen an. Das ist wichtig. Ich investiere schließlich Geld in die Mitarbeiterinnen und schaffe einen Arbeitsplatz. Es wäre kurzsichtig, sich nicht um seine Probleme zu kümmern. Denn dann geht diese Investition nicht auf. Wir ziehen am Ende alle an einem Strang, das ist eh klar!“
Zehn Wochen Urlaub und ein christmas shopping
Dr. Thomas Greßmann leitet seit 32 Jahren seine Praxis in Neudrossenfeld bei Bayreuth. Er setzte von der ersten Sekunde an auf offene Kommunikation und selbstständiges Arbeiten. Wenn eine Neueinstellung ansteht oder auch bei Materialbestellungen, bezieht Greßmann das Team ein. „Das bindet“, findet er.
Der Zahnarzt behandelt derzeit allein, weil er keinen Kollegen findet. Ein gut funktionierendes Team sei da umso wichtiger. Eine gute Stimmung in der Praxis helfe da enorm und er als Chef gebe dafür sein Möglichstes. So schöpft auch er aus dem Vollen, wenn es um zusätzliche Anreize geht. „Jede Mitarbeiterin bekommt ein leistungsbezogenes Gehalt weit über jeglichen Tarifverträgen oder dem Mindestlohn.“ Darüber hinaus bekommen sie je nach Bedarf einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt – Modell und Farbe dürfen sie selbst aussuchen. Den Sprit bezahlt die Praxis. Außerdem überlässt der Praxisinhaber Verantwortungsträgern im Team ein Tablet, Smartphone oder Notebook. Einkaufsgutscheine, Zuzahlungen zur KiTa und vermögenswirksame Leistungen gibt es obendrauf.
Interview mit Führungscoach Maike Klapdor
Was ist für gute, langfristige Zusammenarbeit wichtig?Maike Klapdor:
Wie können sich Praxisbetreiber als Arbeitgeber von der Konkurrenz abheben?
Was schweißt auf lange Sicht noch zusammen im Praxisalltag?
Wie kann man Fallstricke im Recruiting vermeiden?
Das Gespräch führte Laura Langer.
Jede Mitarbeiterin bekommt darüber hinaus zehn Wochen bezahlten Urlaub im Jahr und ein 13. Monatsgehalt. Alle Mitarbeiterinnen arbeiten dreieinhalb bis vier Tage die Woche und teilen sich die Zeit flexibel ein. Teamevents, zu denen auch mal ein Christmas Shopping in New York oder London gehört oder zu Fasching vier Tage gemeinsames Skifahren, sollen den Zusammenhalt stärken und Wertschätzung vermitteln.
„Wir lachen auch nach einem Zehn-Stunden-Tag“
Und was tut der Chef fürs Arbeitsklima? „Wir reden viel miteinander – und zwar völlig unbefangen. Meine Mitarbeiterinnen wissen, dass sie immer und immer wieder zu mir und den Kolleginnen kommen können. Dieser Austausch erleichtert die Arbeitsabläufe sehr und ich weiß, wo die Angestellten stehen“, erklärt Greßmann seine Führungskultur. Jeden Morgen gibt es eine Teambesprechung mit allen und jeder kann dort alles fragen. „Wenn aber einer unter vier Augen sprechen will, steht meine Tür stets offen.“
Etabliert hat er auch, dass die Angestellten sich gegenseitig helfen. „So können wir auch nach einem Zehn-Stunden-Tag noch miteinander lachen, statt dass es Unmut gibt, weil die Arbeit ungleich verteilt war. Keiner ist sich für irgendeinen Job zu schade.“ Für die Entwicklung motiviert er zu Fortbildungen zur ZMP, ZMV oder DH, die die Praxis bezahlt.
Was geht seiner Meinung nach gar nicht und kann ein Grund dafür sein, dass jemand geht? „Ein No-Go ist, die Mitarbeiter vor dem Patienten zu rügen und den Chef raushängen zu lassen oder sie ungleich zu behandeln, also ‚Lieblinge‘ zu haben“, sagt er. Jede Mitarbeiterin müsse dort abgeholt werden, wo sie steht. „Ich versuche auch keine Geheimnisse zu haben. So kann jede Mitarbeiterin bei uns die Tagesumsätze einsehen.“ Transparenz biete weniger Nährboden für schlechte Stimmung.
„Wir wollen jede Einzelne wachsen sehen“
Mit Dr. Petra Volz, die gemeinsam mit ihrem Mann zwei Praxen, die „fotzn´spanglerei“ im bayerischen Garmisch und in Partenkirchen betreibt, sprachen die zm bereits für den Beitrag zum Social Recruiting (zm 4/2022). Für sie ist nach der Mitarbeitergewinnung das Halten der neu gewonnenen Teammitglieder mindestens ebenso wichtig.
Die Praxischefin und ihr Mann führen 22 Mitarbeiterinnen und versuchen, einen freundschaftlichen Umgang mit ihnen zu pflegen. Volz war selbst einmal ZFA und kennt die Perspektive der Mitarbeiterinnen. Wertschätzung braucht man ihr nicht zu erklären. Die junge Praxis ist noch dabei eine Feedback-Kultur zu entwickeln und zu etablieren. Eine flache Hierarchie, viel Eigenverantwortung und Vertrauen in die Mitarbeiterinnen sollen gelebt werden.
Interview mit dem Praxisberater René Ramcke
Worauf achten Mitarbeiter von Beginn an?René Ramcke:
Was können Praxischefs tun, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren?
Wie sehen diese begehrten Zusatzleistungen für die Bindung aus?
Was sind Fehler, die eine Praxisführung vermeiden sollte?
Was ist der psychologische Background dazu?
Das Gespräch führte Laura Langer.
Warum die Mitarbeiterbindung bereits mit dem Kennenlernen beginnt, erklärt René Ramckerecord:tx_news:tx_news_domain_model_news:30544.
Auch Volz setzt auf Persönlichkeitsentwicklung. Sie selbst besucht Führungskräftecoachings. Ihr Credo: „Wir pflegen das Selbstverständnis als Förderer und Coach der Mitarbeiter, nicht als Vorgesetzter. Wir wollen jede Einzelne wachsen sehen, persönlich wie fachlich.“ Sie weiß aber auch, dass dieses Selbstverständnis von Führung die Gefahr birgt, zu nett zu sein und junge Mitarbeiter zu überfordern. „Dieser Führungsstil setzt eine gewisse Reife voraus, damit die Mitarbeiterin mit diesen Freiheiten umgehen kann. Diese Reife muss erst erlernt werden, dazu muss man den Führungsstil individuell anpassen, um die Einzelne in ihrem Tempo dahin zu entwickeln. Mündige und eigenverantwortliche Mitarbeiter erzeugen automatisch ein höheres Diskussionspotenzial beziehungsweise stellen eher etwas infrage als bei einer direktiven oder autoritären Führung.“
„irgendwann ist man als ZFA schmerzbefreit“
Die ZFA Birte Rutkowski weiß, wie es gut laufen kann und wie nicht. Sie hat in mehreren Hamburger Praxen gearbeitet, in ländlich gelegenen, in Einzelbehandlerpraxen, in Mehrbehandlerpraxen und auch in einem MVZ. Oft konnte sie schon aus dem ersten Eindruck ableiten, was sie erwarten würde, berichtet sie. „Ich habe mich in Praxen vorgestellt, die mir nicht mal die Räumlichkeiten gezeigt haben. Dabei möchte ich doch meinen zukünftigen Arbeitsplatz kennenlernen.“
Einmal habe sie einen Vorstellungstermin erlebt, wo der Chef sie direkt nach einer Behandlung in dem Raum empfing, mit noch nassen Händen ihre Mappe von einer Tischseite auf die andere legte, ohne sie zu lesen, und dann einfach nur fragte „Wann können Sie anfangen, was wollen Sie verdienen?“. Als erfahrene ZFA bezeichnet sie sich inzwischen als „schmerzbefreit“. Sie habe tatsächlich in der Praxis angefangen. „Ich habe meine Prinzipen über den Haufen geworfen, weil ich gemerkt habe, wie sehr mein damaliger Chef Mitarbeiter brauchte und dass ihm aus dieser Not heraus die Wahrung der Form egal war. Das sollte aber natürlich nicht die Regel sein. Ausgehalten habe es in dieser Praxis dann sieben Monate“, berichtet sie. Es sei einfach unmöglich gewesen, Struktur und Ordnung in den Praxisalltag zu bringen.
„Für mich zählt eigentlich schon der erste Eindruck für einen gelungenen Neubeginn und das Gefühl, hier auch länger anzukommen“, so Rutkowski. Dazu gehörten auch vermeintlich kleine Gesten, etwa ob vor Arbeitsbeginn nach der Konfektionsgröße gefragt wird, damit die Praxiskleidung passend bestellt werden kann. „Es gibt kaum etwas Geringschätzenderes, als einer neuen Mitarbeiterin gebrauchte Kleidung anzubieten!“ Zuwider ist ihr auch, wenn ihr das Gefühl vermittelt wird, sie müsste ab dem ersten Tag alles alleine schaffen. Eine Einarbeitungszeit von vier Wochen braucht ihrer Ansicht nach auch eine erfahrene ZFA. An ihre Grenzen komme sie, wenn sie für blöd gehalten wird: „Wie soll ich mich da angekommen fühlen?“
Unstimmigkeiten entstünden etwa, wenn es keinen Ansprechpartner oder Vertretungskollegen gibt oder wenn versäumt wird, eine neue Kollegin vorzustellen. Überstunden findet sie nur im Ausnahmefall gerechtfertigt, dafür flexiblere Arbeitszeiten und klare Urlaubsregelungen. Was hält sie sonst langfristig für wichtig? „Klare Linien und Strukturen. Und einen Chef, der mit gutem Beispiel vorangeht und seine Mitarbeiter mit ins Boot holt“, sagt Rutkowski. Dabei helfe ihrer Erfahrung nach eine gemeinsame Vision, an deren Umsetzung alle Spaß haben.Jeder soll Verantwortung in seinem klar definierten Bereich übernehmen dürfen. Immer wenn eine gute Leistung erbracht wurde, sollte auch gelobt werden – das möchte sie Praxisführern gerne mitgeben. Und ganz klar: Karriereperspektiven. „Unser Beruf und das Umfeld sind so abwechslungsreich. Wenn man uns zeigen kann, dass und wie wir wachsen können, pusht das ungemein.“
„Wertschätzung sollte groẞgeschrieben werden“
Gründe zu bleiben seien zum einen konstruktive Feedback- und Mitarbeitergespräche, um auf Fehler, Stärken und Potenziale aufmerksam gemacht zu werden. „Anstatt gar nicht oder hinten rum zu erfahren, dass Unzufriedenheit herrscht.“ Auch gute Arbeitsmaterialien schätze sie. Und natürlich den richtigen Spirit im Team: „Als Praxisführung muss man sich bewusst sein, dass man die Praxis nur gemeinsam im Team erfolgreich führen kann. Der Chef muss in der Lage sein, Aufgaben delegieren zu können. Er muss authentisch und verlässlich sein. Er sollte sich für die Belange seiner Mitarbeiter interessieren oder diese Aufgabe an eine geeignete Mitarbeiterin abgeben. Wertschätzung sollte großgeschrieben werden. Nichts im Leben ist selbstverständlich. Ein Team ist mehr als eine Ansammlung von Menschen. Es ist ein Prozess des Gebens und Nehmens.“
Wenn alle zusammenarbeiten und -halten, könne ein Gemeinschaftsgefühl entstehen und aus der Praxis ein erfolgreiches Unternehmen werden, in dem sich jeder verstanden fühlt und gerne bleibt.