So arbeiten gewerbliche Aligner-Start-ups!
„Was diese Unternehmen machen, hat nichts mit Zahnmedizin zu tun”, betont Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein, im Mitte Dezember 2021 ausgestrahlten Bericht von NDR Markt. Darin berichtet Dr. Luzie Braun-Durlak von einer bei ihr in Behandlung befindlichen, geschädigten Patientin und unterzieht die drei Anbieter SmileDirectClub (SDC), DrSmile und PlusDental einem Test. Dafür wird sie von einer von ihr eingehend untersuchten Lockvogelpatientin zu den Erstterminen begleitet. Anschließend bewertet die Hamburger Kieferorthopädin die Befundungsqualität und Behandlungspläne. Ihr abschließendes Urteil ist vernichtend: „Ich bin geschockt.”
Der Bericht deckt stichprobenartig die Unstimmigkeit zwischen den Werbeversprechen der Anbieter und deren Diagnose- und Behandlungsqualität auf: Mit der günstigeren Fern-Behandlung inklusive Verlaufskontrollen via Internetkommunikation könne jede Fehlstellung leicht korrigiert werden, lautet unisono die Botschaft der Anbieter. Offensichtlich gilt dies nicht immer: Laut Braun-Durlak ist die im Bericht begleitete, von DrSmile geschädigte Patientin kein Einzelfall. Sie habe mindestens einen Neupatienten pro Woche, der ihre Praxis aufsucht, um Schmerzen oder sonstige Beeinträchtigungen beheben zu lassen, die im Verlauf einer Behandlung bei einem Aligner-Start-up aufgetreten sind.
Alle Anbieter verzichten aufs Röntgen
Dann unterzieht das Team die Anbieter einem verdeckten Test. Braun-Durlak besucht dazu mit einer NDR-Journalistin – die als potenzielle Patientin auftritt – von SDC, DrSmile und PlusDental angemietete Räume in Zahnarztpraxen zum Ersttermin. Ergebnis: Alle Anbieter verzichten auf eine Röntgenaufnahme. Ein Unding, lautet Braun-Durlaks Bewertung.
Auf Nachfrage der zm teilt DrSmile mit, bei jedem Patienten werde bei der Erstbefundung neben Anamnese und Intraoralscan „natürlich auch ein Röntgenbild“ erstellt – mit der Einschränkung „sofern erforderlich“. PlusDental antwortet unter anderem, in diesem Fall habe man kein Röntgenbild angefertigt, „da [...] keine rechtfertigende Indikation für ein Röntgenbild nach der geltenden Gesetzgebung“ vorlag und verweist auf § 83 Abs. 3 des Strahlenschutzgesetzes und § 119 der Strahlenschutzverordnung. Weiter heißt es: „Anders als von der zahnärztlichen oder kieferorthopädischen Lobby immer wieder behauptet, ist es nicht notwendig, bei allen PatientInnen ein Röntgenbild anzufertigen – allein schon aufgrund der Strahlenbelastung.“ SDC äußerte sich nicht zu den Fragen der zm-Redaktion. Den NDR ließ das Unternehmen wissen, Röntgenbilder würden nur angefertigt, wenn dies „vom behandelnden Zahnarzt für erforderlich erachtet wird”.
Geschädigte Celine ist Kein Einzelfall
Zweimal führten ZFA die Befundung und den Intraoralscan allein durch, ein No-Go, findet Braun-Durlak. Nur bei PlusDental erfolgt die Erstuntersuchung durch einen Zahnarzt. Bei der Bewertung der anschließend zugesandten digitalen – zwischen 1.650 und 2.490 Euro teuren – Behandlungspläne schneidet PlusDental etwas besser ab als die Mitbewerber. Trotzdem ist das Gesamtergebnis ernüchternd. Zwei der drei Pläne hält die Expertin für unrealistisch, beim dritten erscheint es ihr „machbar“, dass das Diastema der Patientin geschlossen wird – allerdings zu dem Preis, dass an anderer Stelle im Zahnbogen eine Lücke entsteht. Immerhin: Das war von PlusDental im Vorgespräch so auch angedeutet worden.
Vom NDR damit konfrontiert, erklärte SmileDirectClub, die Behandlungspläne würden in einem zentralen Labor in Costa Rica erstellt und von einem „Smiles of Germany“-Zahnarzt ausgewertet, geprüft und freigegeben. Und eine medizinische Einschätzung sei immer subjektiv und obliege dem Behandler. DrSmile erwiderte auf die Kritik am Niveau von Erstuntersuchung und Behandlungsplan, es erfolge stets auch eine persönliche Kontrolluntersuchung, soweit diese im Einzelfall mal nicht stattfinde, habe der Patient im Vorfeld erklärt, kein weiteres Interesse mehr an einer Behandlung zu haben. Und: „Die Behandlungsplanung entspricht immer dem individuellen Erfahrungsschatz des Behandlers, dessen berufliche Eigenständigkeit wir natürlich respektieren.”
Erstuntersuchung in der Abstellkammer
Vom NDR zurate gezogene Experten wie Prof. Peter Proff, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO), und Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), stellen die Rückmeldungen der Anbieter nicht zufrieden – und Braun-Durlaks Fazit lässt keinen Interpretationsspielraum. „Ich bin geschockt”, sagt sie. „Geschockt, was mit Menschen gemacht wird, wie mit diesem sensiblen Kausystem und der Gesundheit von Menschen umgegangen wird.”

Nicht weniger irritiert war die Kieferorthopädin, als sie selbst einmal Kontakt mit einem Mitarbeiter von SDC hatte, der ihr anbot, einen Raum ihrer Praxis für die Ersttermine des Unternehmens zu mieten. „Es wurde gleich gesagt, [...] das kann auch eine Abstellkammer sein. Irgendwelche Vorgaben bezüglich Hygienevorschriften oder Nutzungsgenehmigung brauche er nicht zu erfüllen. Dort werde von SDC ein Scanner mit einer von der Firma bezahlten ZmF reingesetzt, die die Scans macht und entscheidet, ob ein Röntgenbild gemacht werden muss“, erzählt Braun-Durlak. Das Angebot: Sie bekomme ab einer bestimmten Anzahl von begonnenen Behandlungen eine Umsatzbeteiligung – eine Leistung müsse sie dafür nicht erbringen.
DrSmile: Marketing kostet 500 bis 700 Euro pro Kunde
„Es sei nicht erforderlich, dass ich in dem Raum erscheine und Patienten untersuche oder Kontrollen durchführe. Die Patienten würden eine Bescheinigung vom Zahnarzt vorlegen müssen, dass bei ihnen alles okay sei und ,sie keinen Mundkrebs‘ haben“, berichtet sie weiter. Sie trage keinerlei Verantwortung, hafte für nichts, das mache die Zahnärztin ,Christin‘, die aus der Ferne die Scans beurteile, die Planungen mache und für alles die Verantwortung trage. „Kontrollen des Behandlungsverlaufs fänden nicht statt, seien nicht notwendig, außer der Patient habe ein Problem, aber dann wende er sich an ,Christin‘, nicht an mich.“ SDC wollte die Kieferorthopädin auch mit der Aussicht auf lukrativen Beifang ködern: Sie werde davon profitieren, dass SDC ihr Patienten in die Praxis hole für Behandlungen, die sie vielleicht mit Alignern nicht machen können.
Zahnheilkunde gehört nicht in einen Kiosk
Nach Auffassung der Zahnärztekammer Nordrhein – die erneut vor gewerblichen Aligner-Start-ups warnt – dürfte das Angebot von zahnärztlichen Leistungen in dieser Form überhaupt nicht existieren. „Wir benötigen klare gesetzliche Vorgaben auf Bundesebene, damit nicht berufsfremde Dritte Zahnheilkunde anbieten”, forderte Hausweiler, „denn Zahnheilkunde gehört nicht in einen Kiosk.”
SDC stoppt Neukundengeschäft in Deutschland
Interview mit Dr. Luzie Braun-Durlak
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| privat
Für den NDR besuchte die Hamburger Kieferorthopädin Dr. Luzie Braun-Durlak mit einer Lockvogelpatientin drei Ersttermine bei Aligner-Start-ups, die sich in Zahnarztpraxen eingemietet haben, überprüfte anschließend deren Behandlungspläne – und war erschüttert.
Frau Dr. Braun-Durlak, wie viele ehemalige Kundinnen und Kunden von Anbietern wie DrSmile, PlusDental und SmileDirectClub (SDC) sind bei Ihnen in Behandlung?Dr. Luzie Braun-Durlak:
Mit welchen Problemen wurden sie bei Ihnen vorstellig?
Handelt es sich dabei eindeutig um Behandlungsfehler?
Ist Ihnen bekannt, ob diese Patienten von den Aligner-Anbietern Schadenersatz für die Folgebehandlung fordern – oder anderweitig juristisch gegen diese Vorgehen?
Haben Sie von Kolleginnen und Kollegen Rückmeldungen, ob sie auch ehemalige Kunden behandeln?
Sie haben für den NDR eine mögliche Patientin bei den drei größten deutschen Anbietern zum Ersttermin begleitet. Wie war Ihr Eindruck von der Anamnesequalität? Haben Sie Unterschiede bei den Anbietern beobachtet?
Interessant. Auf Nachfrage von zm, warum die Kiefergelenksprobleme der Lockvogelpatientin nicht erkannt wurden, schreibt PlusDental, es erfolge „immer eine umfassende persönliche Untersuchung der PatientInnen. Dazu gehört bei vorliegender Indikation im Speziellen auch das Kiefergelenk. [...] Bei der Patientin wurde daher ein CMD-Kurzbefund gemacht, bei dem die Untersuchung von Kiefergelenksbeschwerden aufgenommen wurde. Dabei wurde keine CMD-Symptomatik festgestellt. Dies wurde entsprechend in der Behandlungsakte dokumentiert“ – und entspreche „auch explizit der Selbstanamnese der Patientin, die im Anamnesebogen vor der Behandlung keine Kiefergelenksbeschwerden angegeben hat“.
Sie haben im Anschluss für den NDR die Behandlungspläne begutachtet. Zu welcher Bewertung kommen Sie? Gab es auffällige Unterschiede zwischen den Anbietern?
Das Gespräch führte Marius Gießmann.