Karlsruher Konferenz 2022

So wird Ihre Praxis klimaneutral!

Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der Zahnarztpraxis – geht da überhaupt viel mehr als auf Bambuszahnbürsten und Glasbecher umzustellen? und ob! Auf der Karlsruher Konferenz gaben PD Dr. Daniel Hellmann, Direktor der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe, und Dr. Torsten Tomppert, Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg, Klima-Experten ein Forum. Die Kammer ist selbstverständlich längst klimaneutral.

Das Thema ist für uns eine Herzensangelegenheit“, betonten Hellmann und Tomppert. Ziel der Konferenz sei, für den Klimaschutz ein Bewusstsein in der Zahnärzteschaft zu wecken und das Engagement auszubauen.

Klimawandel macht krank 

Dass der Klimawandel einfach auch krank macht – „und zwar von Kopf bis Fuß“, belegte die Fachärztin für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann anhand etlicher Studien. Laut der Direktorin der Ambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg führt die Umweltverschmutzung zu mehr nicht-übertragbaren Krankheiten wie Krebs, Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen. Im Übrigen sei die Parodontitis ein Paradebeispiel für solche Krankheiten, die mit anderen entzündlichen Erkrankungen verbunden sind. „Die Parodontitis gleicht einem Schlüsselloch, durch das man auf Diabetes und Herzkrankheiten schauen kann“, illustrierte Traidl-Hoffmann. „Diese Reaktionen zeigen ein regelrechtes Zündeln mit den Entzündungen.“

Reaktionen wie im Chemiebaukasten

Die steigende Verkehrsbelastung erhöhe auch das Neurodermitis-Risiko: So seien 20 bis 30 Prozent der Kinder, die an einer befahrenen Straße leben, daran erkrankt. Prinzipiell reduzierten die Schadstoffe die Barriere der Haut – und dann öffne sich die Tür für Allergien. „Es gibt eine Assoziation zwischen den Schadstoffen und den Krankheiten“, berichtete Traidl-Hoffmann. „Die Schadstoffe feuern den Klimawandel an und werden selbst durch die Hitze noch einmal wie in einem Chemiebaukasten verändert – diese Modifikation wirkt wie ein Verstärker auf uns.“ Auch vektor-vermittelte Erkrankungen nehmen demnach zu, ebenso die durch Extremwetterereignisse ausgelösten Fälle von Gewitter-Asthma, wie Notdienstdaten zeigen (viele Blitze, viele Pollen, viele Asthma-Symptome).

Heftigste Bedrohung: die Hitze

Durch die Erwärmung gebe es keinen Tag mehr im Jahr ohne Pollenflug. Hinzu komme, dass sich zunehmend aggressive neue Pollen verbreiten, wie etwa Ambrosia. „Pollen beeinträchtigen die Schleimhaut, weil sie das Immunsystem blockieren“, sagte Traidl-Hoffmann. Auch eine SARS-CoV2-Infektion werde durch Pollen getriggert: „Die Virusübertragung erfolgt durch Aerosole und den Pollenflug, das ist eine Überlappung.“ 

Die größte Bedrohung sei letztlich die Hitze. „Hier haben wir aber zugleich auch die größte Chance, mithilfe von Hitzeplänen und Stadtplanung aktiv zu werden“, bilanzierte Traidl-Hoffmann. Für sie ist Klima-Resilienz die Lösung: „Unsere Anpassung hat Grenzen, aber wir können unser Handeln verändern. „Der Klimawandel ist ein medizinischer Notfall, die First Line die Energiewende, die adjuvante Therapie die Edukation.“ Traidl-Hoffmann: „Das BIP sinkt um 5 Prozent, wenn wir Klimaschutz betreiben. Es sinkt um 20 Prozent, wenn wir nichts tun.“

Allein der Gesundheitssektor stößt 5 Prozent der Emissionen aus, ein großer Teil davon betrifft die Lieferketten. Darauf wies – zugeschaltet – Christian Schulz hin, habilitierter Facharzt für Anästhesie an der Technischen Universität München und Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

Der größte Fußabdruck sind die Wege 

Doch welche Parameter sind beim Klimaschutz wichtig für Zahnärzte? „Insgesamt 40 Prozent des CO2-Fußabdrucks von Zahnarztpraxen entfallen auf die Wege der Mitarbeiter und Patienten zur Praxis und zurück“, verdeutlichte der – ebenfalls zugeschaltete – Zahnarzt Brett Duane, Associate Professor Dental Public Health und internationale Koryphäe auf dem Gebiet nachhaltige Zahnmedizin. Es sei aber natürlich schwierig, Einfluss auf die Wahl der Transportmittel zu nehmen. Einfacher sei da, den Stromverbrauch der eigenen Praxis zu senken. „Je weniger Kilowattstunden Ihre Zahnarztpraxis verbraucht, desto geringer ist ihr CO2-Fußabdruck“, erklärte Duane. Das Problem: „Auf jedem Toaster finden Sie die Angaben zum Strom-Verbrauch, bei Ihrem Aushärtungsgerät oder bei Ihrer Klimaanlage hingegen suchen Sie unter Umständen vergeblich danach.“ Zahnärzte dürften sich allerdings nicht nur auf den CO2-Fußabdruck konzentrieren, auch der Feinstaub spiele eine große Rolle.

Das bestätigte der Internist Prof. Dr. Jörg Mezger aus Karlsruhe: „Feinstaub triggert einerseits den Entzündungsprozess und geht andererseits mit Umweltzerstörung einher.“

Die Inspiration für die Konferenz

Die Vereinten Nationen definierten mit ihrer Agenda 2030 insgesamt 17 Ziele für ein menschenwürdiges Leben bei gleichzeitiger Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Ziele Nr. 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ und Nr. 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“ waren die Inspiration für die Karlsruher Konferenz 2022.

Duane: „Im Kern geht es viel darum, Müll zu vermeiden und Produkte zu recyceln. Bedenken Sie: Reusable Kits haben eine 3,3 mal bessere Umweltbilanz als Wegwerf-Instrumente!“ Für ihn steht fest: „Wenn die Hersteller verantwortlich für ihren Verpackungsmüll wären, wäre die Welt ein besserer Ort!“

Peter Friess, Vorsitzender der Geschäftsführung von Fokus Zukunft, schilderte, wie das Prinzip der Kompensation mit Klimazertifikaten funktioniert. Bislang gebe es 8.000 Klimaschutzprojekte, wobei McKinsey mit einem Wachstum von 200 Prozent pro Jahr rechne. Friess geht daher davon aus, dass diese „freiwillige Klimaneutralität“ explodieren wird.„Das ist kein Ablasshandel“, stellte er klar. „Die CO2-Minderung ist messbar.“ Wer seine Praxis klimaneutral machen wolle, sollte zuerst den CO2-Ausstoß berechnen, dann eine klare Reduktionsstrategie entwickeln und am Ende den Rest durch den Kauf von Klimaschutz-Zertifikaten kompensieren. 

Man muss den Elefanten portionieren 

Bei dieser Riesen-Aufgabe müsse man den Elefanten portionieren und dann definieren: Um wie viel muss ich besser werden, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen? Die EU habe in dem Zusammenhang das Ziel festgeschrieben, die Emissionen jedes Jahr um 4,3 Prozent zu reduzieren. Friess: „Bei einer von mir beratenen Zahnarztpraxis mit 15 Mitarbeitern waren beispielsweise der Stromverbrauch mit 33 Prozent und der Fuhrpark mit 24 Prozent die größten Treiber.“

Wie es ihm gelang step by step seine Praxis klimaneutal zu machen, schilderte schließlich der Zahnarzt Dr. Hans-Georg Rollny aus Schwäbisch Gmünd: „Ich war erstaunt, wie viel Müll wir produzieren und wie viel Strom wir verbrauchen. Diese Zahlen haben mich motiviert, etwas zu verändern“, berichtete er. „Wir haben dann zum Beispiel Sonnenschutzfolien an die Fenster der Westseite geklebt, Lampen in den Behandlungszimmern reduziert und die Thermostate ausgewechselt. Mittlerweile kommen meine Mitarbeiterinnen mit Ideen zu mir, nicht umgekehrt. Das Thema Klimaschutz schweißt unglaublich zusammen und macht echt Spaß!“

Jeden Tag werden 220.000 Menschen geboren, 150 Millionen Tonnen Treibhausgase gelangen täglich in die Atmosphäre. 

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