Die Professionalisierung der Zahnmedizin in Deutschland

Vom Zahnbrecher zum Spezialisten für Mundgesundheit

Julia Nebe
,
Matthis Krischel
Die Zahnmedizin, wie wir sie heute kennen, ist das Ergebnis eines schwierigen Professionalisierungsprozesses. Der Beruf hatte anfangs ein geringes Sozialprestige und wies nur ansatzweise Anzeichen einer Profession auf. Die Verwissenschaftlichung erfolgte schrittweise – von zahnärztlichen Instituten über den Dualismus zwischen Zahnärzten und Dentisten bis hin zu einer echten Akademisierung mit Promotions- und Habilitationsrecht. Ein Blick auf das Fach von den Anfängen bis heute.

Bis ins 19. Jahrhundert übten vor allem Bader und Barbiere, Wundärzte und Handwerkschirurgen das Handwerk des Zahnreißers oder Zahnbrechers aus. Ein zentrales Problem war, dass unter den rein handwerklich ausgebildeten Zahnbehandlern auch zahlreiche Quacksalber und Dilettanten ihr Unwesen trieben, denn eine geregelte Ausbildung gab es zunächst nicht. Die vor allem internistisch ausgerichteten Ärzte beschäftigten sich nur am Rande mit Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten und betrachteten insbesondere das Zähneziehen als „schlichtweg jenseits ihrer Zuständigkeit“ [Groß, 2019a, 4].

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren es hauptsächlich „alle Wundärzte der ersten und zweiten Abteilung – und teilweise auch der dritten“ [Groß, 2006a, 18], die sich dem Geschäft des Extrahierens und dem Ausbrennen von Zähnen widmeten. Selbst das handwerkliche Geschick eines Hühneraugenoperateurs war ausreichend, um mit in die Riege all derer aufgenommen zu werden, die zur Zahnbehandlung zugelassen waren. Wie sonst wäre der gemeinsame Eintrag des erwähnten Operateurs in die Rubrik der Zahnärzte im Berliner Adresskalender von 1818 zu erklären?

Zähne extrahieren ist wie Hühneraugen operieren

Mit dem niedrigen Sozialprestige ging auch eine geringe pekuniäre Entlohnung einher: So wurde das Ziehen eines Zahnes im mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts etwa so entlohnt wie ein kurzer Krankenbesuch durch einen Arzt oder das Setzen von Blutegeln. Mit steigender Qualifikation konnte aber auch mehr Geld verlangt werden. Das Ausbrennen und Plombieren eines Zahnes wurde schon etwa dreimal so gut bezahlt und eine Hasenschartenoperation noch einmal um ein Vielfaches besser [Groß, 2019a, 7; Groß, 1999, 362].

Das „Preußische Medizinalreglement“ von 1825 und dessen Ergänzungen von 1835/36 stellen einen wichtigen Schritt hin zur Regulierung und damit auch Professionalisierung der Zahnheilkunde im deutschen Raum dar. Zu seinen wichtigsten Aspekten gehörte, dass nur noch die Person zur zahnärztlichen Prüfung zugelassen werden durfte, die „entweder schon Arzt oder Wundarzt ist, und zugleich den nöthigen Nachweis über die erlangten, einem Zahnarzt insbesondere nöthigen technischen und mechanischen Fertigkeiten beizubringen vermag, oder der, wenn er nicht Arzt oder Wundarzt ist, außer diesem Nachweis nicht wenigstens noch Zeugnisse über den fleißigen Besuch der Vorlesungen über Anatomie, allgemeine und spezielle Chirurgie, Operationslehre, Arzneimittellehre und chirurgische Klinik beibringen kann“ [Groß, 2015b, 88].

Zudem wurde die Tertiareife als einheitliche schulische Vorbildung obligatorisch [Groß, 2019b, 16; Reckow, 1927, 8–11]. Der Zahnarzt wurde nun erstmals in einem Atemzug mit den akademisch und gesellschaftlich anerkannteren medizinischen Berufen genannt, was ihm vor allem eine gewisse soziale Aufwertung bescherte. Angenehmer Nebeneffekt: der Zulauf an Nachwuchs.

Ausgebildet wurde man in privaten Lehrinstituten

Mit der sukzessiven Aufhebung des Wundarztberufs wurden auch die medizinisch-chirurgischen Lehranstalten geschlossen [Groß, 2019b, 19]. Dies hatte zur Folge, dass sich die Aspiranten der Zahnheilkunde, die im Medizinalreglement geforderten theoretischen Fachkenntnisse an den Universitäten aneignen mussten. In der Übergangszeit existierten aber weder zahnmedizinische Institute noch Universitätskliniken. Die Ausbildung der Kandidaten der Zahnheilkunde übernahmen private Institutionen. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden so 17 zahnärztliche Lehrinstitute, deren Zahl bis 1920 noch einmal um sieben anstieg [Groß, 1994, 235f.].

Eine zunehmende Verwissenschaftlichung der zahnärztlichen Ausbildung wurde in diesem Zeitraum auch aufgrund der medizinisch-naturwissenschaftlichen Entwicklung zwingend. Neben der Implementierung von Asepsis und Antisepsis ist hier vor allem die Einführung von (Lokal-)Anästhesieverfahren zu nennen [Groß, 2019f.]. Die wichtigsten Protagonisten der zwei erstgenannten medizinischen Innovationen sind unter anderem der Wiener Mediziner Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) und der englische Chirurg Joseph Lister (1827–1912). Auf dem Gebiet der für die Zahnmedizin relevanten Lokal- und Regionalanästhesie waren vor allem die deutschen Zahnmediziner Hans Moral (1885–1933) und Guido Fischer (1877–1959) von Bedeutung [Eckart, 2017, 209f.].

Weitere relevante Innovationen betrafen den Bereich der (zahn-)medizinischen Röntgenologie mit den bekannten Fachvertretern Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923) und dem Zahnarzt Otto Walkhoff (1860–1934). [Groß, 2019f, 197–199; Groß, 2016, S. 74f.] Unerwähnt dürfen auch nicht der Einfluss der Bakteriologie und die Entwicklung erster Antibiotika auf die Zahnmedizin bleiben. Durch die bakteriologische Forschung von Louis Pasteur (1822–1895) und Robert Koch (1843–1910) konnten bis dahin viele todbringende Erreger erstmals konzeptualisiert und sichtbar gemacht werden. Darauf aufbauend wurden in der Folgezeit entsprechende antibakterielle Therapien auf den Weg gebracht. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Einführung von Salversan durch Paul Ehrlich (1854–1915) und natürlich die Entdeckung des Antibiotikums Penicillin durch den Schotten Alexander Flemming (1881–1955).

Der US-amerikanische Zahnarzt Willoughby Dayton Miller (1853–1907) katapultierte Ende des 19. Jahrhunderts die Kariesforschung mit seiner chemisch-parasitären Theorie zur Ätiologie der Zahnkaries auf ein neues Niveau [Anthony, 2019, 9ff]. Millers Arbeiten auf dem zuvor genannten Forschungsgebiet markierten „a step from the Stone Age to modern Science“ [König, 1973, vi].

Die Erste Uni-Zahnklinik in Halle hatte zwei Räume

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte es an einzelnen deutschen medizinischen Fakultäten zahnmedizinische Lehrangebote gegeben. [Krischel, 2017, 14] Die erste – aus heutiger Perspektive bescheiden mit zwei Räumen ausgestattete – universitäre Zahnklinik wurde 1883 in Halle eröffnet. Hier hatte sich im Jahr 1873 Ludwig Heinrich Hollaender (1833–1897) für das Fach Chirurgie habilitiert. 1878 folgte eine unbesoldete Professur. Bereits zwei Jahre später legte Hollaender ein Studienprogramm für Zahnmedizin vor [Schauer, 2015, 10, 28–30, 64f.].

Der Blick nach Halle zeigt exemplarisch, wie das Ansehen einzelner Professoren die Etablierung der Zahnmedizin an einem universitären Standort fördern oder behindern konnte. So war Hollaender zeitlebens ein umstrittener Charakter, denn „das außeramtliche Auftreten [Hollaenders war] mit der [...] Stellung eines Universitätslehrers kaum vereinbar [...]. Erst neuerdings hat derselbe in einem öffentlichen Lokale durch sein unpassendes Verhalten einen Zwist mit einem dienstthuenden Reserveoffizier verschuldet, dessen Beilegung in einer für [...] Holländer ziemlich unrühmlichen weise erfolgte [...]. Universitätsangehörige ließen sich von Holländer nicht behandeln. [...] Er dutzte alle, ,versautes Maul’ [...] und ordinäre Redensarten [...] kennzeichneten seinen Ton im Umgang mit Hörern und Patienten. Kinder schlug er ins Gesicht [...].“ [Eulner, 1970, 397].

Doch was entsprach eigentlich dem sozialen Profil eines zahnärztlichen Dozenten? Der Medizinhistoriker Hans-Heinz Eulner schreibt, die zahnheilkundlichen Hochschullehrer waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts „Ärzte, rite promoviert und gewöhnlich bald auch in der Fakultät habilitiert. Nicht selten kamen sie von der Chirurgie zur Zahnheilkunde, wie ja auch die Extraktion von Zähnen zum täglichen Dienst der chirurgischen Polikliniken gehörte. Trotzdem blieb genug Trennendes. [...] Die Lehrer der Zahnheilkunde waren Angehörige der Medizinischen Fakultät, mochten sie auch manchmal nur als ,Lehrer’ hinter dem letzten Privatdozenten rangieren und im [...] Personalverzeichnis lange Zeit ,unter dem Strich’ einen Platz finden“ [Eulner, 1970, 406]. 

Studiert wurde ohne Abitur

Auch an der Position der Studierenden der Zahnmedizin lässt sich die Widersprüchlichkeit ablesen, die die deutsche Zahnheilkunde vor ihrer vollständigen Akademisierung kennzeichnete. Im Unterschied zu ihren Dozenten, die der medizinischen Fakultät angehörten, konnten sich die Zahnmedizinstudierenden ohne Abitur lediglich als „Immature“ an der philosophischen Fakultät einschreiben. Der Erwerb eines Doktorgrads an der medizinischen Fakultät war somit ausgeschlossen; als einzige Alternative verblieb der Dr. phil. [Groß, 2019d, 49–51].

Ein Etappensieg im Akademisierungsprozess stellte das 1869 erstmals eingeführte „Reglement für die Prüfung der Zahnärzte im Gebiet des Norddeutschen Bundes“ dar. Gefordert wurde nun die Primareife eines Gymnasiums oder einer Realschule erster Ordnung. Ergänzt wurde diese Direktive durch die Verpflichtung eines zweijährigen Universitätsbesuchs und entsprechender praktischer Übungen. Nach der Reichsgründung 1871 wurde diese Prüfungsordnung im ganzen Reichsgebiet verpflichtend. Als logische Ergänzung folgte 1873 ein Ministeriumserlass, der die Immatrikulation der Studenten der Zahnheilkunde „auch ohne Zeugnis der Reife“ möglich machte [Reckow, 1927, 23].

Zeitgleich waren die Professionalisierung und die Akademisierung der Zahnärzteschaft in den USA bereits weit vorangeschritten. Dort wurde 1840 die weltweit erste zahnärztliche Ausbildungsstätte gegründet, das „Baltimore College of Dental Surgery“. Bereits ein Jahr später folgte die Möglichkeit den facheigenen „Doctor of Dental Surgery“ (DDS) zu erlangen [Kuhlmann,1996, 59; Groß, 2019b, 18f.]. Der Erwerb amerikanischer Doktorgrade wurde für Zahnärzte auch aus Deutschland so attraktiv, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch unseriöse Titelmühlen in den USA etablierten, worunter die Reputation des DDS nachhaltig leiden sollte [Groß, 2015a,].

Mit der Kurierfreiheit kamen die Zahnkünstler

Parallel zu den geschilderten Entwicklungen ereignete sich die „Freigabe der Heilkunde“ 1869, zuerst im Norddeutschen Bund, dann mit der Gründung des Deutschen Reichs 1872 dort. Mit der Kurierfreiheit durften auch Laien, unabhängig vom Ausbildungsniveau, medizinische Behandlungen durchführen; nur das Firmieren als Arzt oder Zahnarzt blieb ihnen verwehrt [Groß, 2005, 815]. Dies betraf auch die Zahnheilkunde. Die Liberalisierung der Heilkunde führte in der Folge zu einem massiven Anstieg an Laienheilkundigen, wie das Verhältnis zwischen nicht-approbierten Zahnbehandlern und approbierten Zahnärzten im Deutschen Reich zwischen 1878 und 1920 eindrucksvoll belegt (Grafik). Während die Zahl der Zahnkünstler, wie die nicht-approbierten Zahnbehandler auch genannt wurden, für diesen Zeitraum von 735 auf 11.000 anstieg, vergrößerte sich der Anteil der Zahnärzte lediglich von 438 auf 4.459. Schon die zahlenmäßige Dominanz der Zahnkünstler macht deutlich, welche Bedeutung dem Berufsstand beizumessen war [Groß, 2015b, 78].

Während die Freigabe der Heilberufe für die Zahnärzte vordergründig vor allem Nachteile brachte, zwang sie die Zahnärzteschaft gleichzeitig zur Selbstbehauptung und zu weiterer wissenschaftlicher Etablierung [Kuhlmann, 1996, 56.].

Auf seiner Jahrestagung in München (1888) verabschiedet der „Central-Verein deutscher Zahnärzte“ (CVdZ), die Vorgängerorganisation der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde (DGZMK), die folgende Resolution:

I. daß die zahnärztliche Approbation künftig von der Beibringung des Maturitätszeugnisses eines Gymnasiums abhängig sein soll; 

II.    daß die Studierenden der Zahnheilkunde eine dem Tentamen physicum der Ärzte ähnliche Vorprüfung abzulegen haben; 

III. daß die Zulassung zur zahnärztlichen Staatsprüfung erst nach vollendetem vierjährigen Universitätsstudium statthaft ist“ [Reckow, 1927, 28].

Zur Weiterleitung an die entsprechenden Institutionen durch den CVdZ kam es allerdings, nach Einspruch Otto Walkhoffs, Mitglied des Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen und späterer Erstreiter des Dr. med. dent., nicht, da lediglich 1/12 der Vereinsmitglieder an der Abstimmung teilgenommen hatte [Groß, 2006c, 78f.]. 

Ob auch familiäre Gründe für dieses Entgegenkommen eine Rolle spielten kann nicht abschließend geklärt werden, handelte es sich doch beim Vorsitzenden des CVdZ, Prof. Carl Sauer, um den Schwiegervater Otto Walkhoffs [Groß, 2017, 100–102; Groß, 1994, 231]. Während die Zahnärzteschaft auf der nächsten Jahrestagung in Hamburg (1889) noch darüber diskutierte, „ob der Maturus und [ein] verlängertes Universitätsstudium von den künftigen Zahnärzten gefordert werden sollte“ [Parreidt, 1909, 110], schuf man in Berlin Fakten. Die dort zusammengekommene Schulreformkommission beschloss, dass von nun an das „von einer sechsklassigen höheren (d. h. lateinlosen Oberreal-)Schule ausgestellte Reifezeugnis [...] zum Eintritt in den gesamten Subalterndienst, sowie zur Zulassung zu den Prüfungen für den Dienst der Landmesser, Markscheider, Zahnärzte und Thierärzte“ ausreichen sollte [Reckow, 1927, 35ff; Groß, 1994, 232]. 

Matura und sieben Studiensemester

Erst in der 1909 in Kraft getretenen Prüfungs- und Studienordnung sollte die Matura (mit dem Nachweis von Lateinkenntnissen) zur zentralen Zulassungsvoraussetzung zum Zahnmedizinstudium werden. Mit gleichzeitigem Wegfall des praktischen Jahres, wurde die zahnärztliche Studienzeit auf (mindestens) sieben Semester heraufgesetzt. Zudem wurde das zahnärztliche Examen in eine Zahnärztliche Vorprüfung (nach mindestens drei Halbjahren) und eine Abschlussprüfung unterteilt. Geglückt war somit die vollständige Integration der Zahnheilkunde in die medizinische Fakultät – sowie eine Annäherung an ärztliche Ausbildungsstandards [Kuhlmann, 1996, 57; Groß, 2019c, 33].

Zehn Jahre darauf sollte auch die Promotion an den medizinischen Fakultäten möglich werden. Auch wenn es an der Universität in Gießen bereits ab 1832 die Möglichkeit gegeben hatte, einen Dr. chir. in primis in arte dentaria zu erwerben, erfolgte die Etablierung des Dr. med. dent. an den medizinischen Fakultäten in Deutschland flächendeckend erst 1919. Das Recht zur Habilitation wurde 1923 erteilt [Eulner, 1970, 400; Groß, 2019d, 49–51; Leutke,1937, 28; Reckow, 1927, 42]. 

Die Konkurrenz nahm zu mit Einführung der GKV

Parallel zur Professionalisierung und Akademisierung verschärfte sich die Konkurrenz zwischen Zahnärzten und Dentisten durch die Einführung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 1883. In den Jahrzehnten der Etablierung sah die deutsche Zahnärzteschaft erneut die Sicherung der eigenen professionellen Autonomie gefährdet. Denn während in früheren Zeiten die Zahnbehandlung lediglich als ultima ratio betrachtet wurde, hatte sich zwischenzeitlich ein regelrechter Markt um (zahn-)medizinische Dienstleistungen entfaltet. Da die nicht-approbierten Zahnbehandler ihre Tätigkeiten in der Regel zu weitaus günstigeren Preisen anboten, waren diese bei den Krankenkassen äußerst beliebte Kooperationspartner [Kuhlmann, 1996, 57; Groß 2019c, 32–34].

Die so entstandenen Kassen-, Kosten- und Zulassungsfragen führten zu einer Verschärfung der Diskrepanzen zwischen Dentistenstand und Zahnärzteschaft. Mit der Hoffnung auf offizielle Anerkennung ihres Berufszweigs durch die Zahnärzteschaft, initiierten zumeist die nicht-approbierten Zahnbehandler in den folgenden Jahren immer wieder Verhandlungen [Groß, 2019c, 35; Schwanke/Groß, 2016]. Dennoch sollte es erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Schaffung eines „Einheitsstands“ kommen. Dabei gingen beide deutschen Staaten höchst unterschiedlich mit der Frage eines Einheitsstands von Zahnärzten und Dentisten um.

Die formale Voraussetzung für die Überwindung des beruflichen Dualismus in den westdeutschen Besatzungszonen bildete das am 15. und 16. Juni 1946 verabschiedete „Lager Abkommen“ der britischen Besatzungszone. Mit der darin beschlossenen Aufhebung der Kurierfreiheit schuf man die Basis für einen Einheitsstand von Zahnärzten und Dentisten [Groß, 2015c, 80–82]. Die Standesvertretungen beider Verbände leisteten 1948 mit dem „Bonner Abkommen“ erfolgreiche Vorarbeiten zum „Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde“, das am 14. Februar 1952 vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden sollte, indem sie zugestanden, dass Mängel in der Berufsausbildung beider Stände durch eine neue Studienordnung reguliert werden sollten. So gelang es, dem beruflichen Dualismus von Zahnärzten nach mehr als 80 Jahren Koexistenz ein Ende zu bereiten [Groß, 2019c, 38; Maretzky/Venter, 1974, 255–260].

Der Dualismus endete Nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Eingliederung der Dentisten in den zahnärztlichen Berufsstand regelten § 8–11 des Zahnheilkundegesetzes, das am 31. März 1952 veröffentlicht wurde. In § 8, Absatz 1 heißt es dort: „Wer bei Inkrafttreten dieses Gesetzes die staatliche Anerkennung als Dentist besitzt, erhält die Bestallung als Zahnarzt, wenn er an einem Fortbildungskursus über Mund- und Kieferkrankheiten sowie Arzneimittellehre erfolgreich teilgenommen hat. Der Fortbildungskursus ist an einem der zugelassenen Lehrinstitute für Dentisten durchzuführen.“

Analoge Regelungen galten für Dentisten, die sich zu diesem Zeitpunkt in Ausbildung befanden und diese innerhalb von zwei Jahren abschließen konnten. Bis Ende des Jahres 1953 sollten mehr als 15.000 Dentisten den geforderten Qualifikationsnachweis erbracht haben und somit in den zahnärztlichen Stand aufgenommen werden [Groß, 2019c, 38].

Durch den Wegfall der nicht-approbierten Konkurrenz, konnte die Zahnärzteschaft die Kontrolle des Marktes für zahnmedizinische Dienstleitungen erlangen und sich somit langfristig im kapitalistischen Marktsystem verankern. Der Westdeutschen Zahnmedizin gelang so der Aufstieg zu einer sozial prestigereichen und ökonomisch erfolgreichen Profession. Ein imposanter Beleg dafür bilden die 21,4 Milliarden direkter Umsatz (2019), die rund ein Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland ausmachten [BZÄK, 2019].

In der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR wurde ein ähnlicher Kompromiss bereits im Jahr 1949 gefunden. Grundlage zur Herbeiführung eines Einheitsstands war dort das im Mai 1946 verabschiedete „Leipziger Abkommen“ samt seinen Durchführungsbestimmungen vom 12. Juni 1946 [Künzel, 2013, 241–243; Groß, 2019e, 176]. Neben der Aufhebung der Kurierfreiheit, die die formale Voraussetzung für die Vereinigung beider Berufsgruppen darstellte, erfolgte eine „En-bloc-Übernahme der Dentisten nach Absolvierung einer Zusatzqualifikation in Mund- und Kieferkrankheiten sowie den Nachweis erworbenen Wissens“ [Künzel, 2013, 241]. Das genannte Abkommen diente als Basis für weitere Gespräche am 27. November 1947, an denen Interessenvertretungen beider Berufsgruppen sowie Vertreter der zahnärztlichen Hochschullehrer in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) teilnahmen. Moderiert wurden diese Gespräche von dem Arzt Carl Coutelle und der Zahnärztin Jenny Cohen, die als Re-Migranten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Gesundheitsverwaltung der SBZ Leitungsfunktionen innehatten. Mit der „Anordnung über die Approbation der Zahnärzte“ vom 2. Juni 1949, wurde das Vorhaben „Einheitsstand“ schlussendlich realisiert. So war die praktische Ausübung der Zahnheilkunde in der DDR nur noch approbierten Zahnärzten erlaubt [Krischel/Halling, 2020; Künzel, 2013, 243]. 

Steht die Zahnmedizin vor einer Zeitenwende?

Die Zahnheilkunde in Deutschland ist eine der jüngsten medizinischen Disziplinen. Umso beeindruckender erscheint ihr rasanter Aufstieg zur Spezialdisziplin zwischen dem späten 19. Jahrhundert und der Weimarer Republik. Ein hohes Sozialprestige und ökonomischer Erfolg sind bis heute Attribute, die in den Augen der Öffentlichkeit mit dieser Profession verbunden sind. Dennoch wurden in den vergangenen Jahren einige Stimmen laut, die die Zahnmedizin vor einer „Zeitenwende“ verorteten. Digitalisierung und KI-gestützte Assistenzsysteme [Groß/Groß/Wilhelmy, 2019], eine „wunscherfüllende Zahnmedizin“ [Neitzke/Oppermann, 2016] und die „Patientenemanzipation“ [Kettler/Klingenberger, 2016, 78] stellen die Expertise von Zahnärztinnen und Zahnärzten als medizinische Experten und die Zahnarzt-Patienten-Beziehung heute infrage.

Aber befindet sich die Zahnmedizin historisch betrachtet in einem Prozess der Deprofessionalisierung und schwerwiegenden Krise? Nein, vor dem Hintergrund des wachsenden Interesses an Fragen der sozialen Zahnheilkunde (Prävention, Gesundheitsförderung, öffentliche Gesundheitspflege), der Ethik und Geschichte der Zahnmedizin sowie der Wissenschaftlichkeit, die auch in der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung aus dem Jahr 2019 Ausdruck finden, folgt die Zahnmedizin in Deutschland weiter dem Pfad der Professionalisierung, den sie vor über 100 Jahren eingeschlagen hat. 

Literaturliste

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Julia Nebe

Dr. Matthis Krischel

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf

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