Studie zu Arbeitsbedingungen in Medizinischen Versorgungszentren

In MVZ wird selten nach Tarif bezahlt

Immerhin sind die Arbeitsbedingungen in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gut, heißt es gerne, wenn es um die Verwerfungen von Private Equity in der Branche geht. Ein Trugschluss, wie eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt.

Private Investoren im Gesundheitswesen trimmen MVZ bekanntlich auf maximalen Gewinn und verkaufen sie nach kurzer Zeit weiter. Diesen Druck spüren auch die Beschäftigten: „Der Kostendruck wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen sowie die Vergütung der Beschäftigten in MVZ aus“, resümieren Katharina Schöneberg und Dr. Katrin Vitols vom Beratungsunternehmen wmp consult. Die Forscherinnen haben für die Hans-Böckler-Stiftung die Struktur der Branche analysiert und untersucht, wie es Arbeitnehmern in MVZ geht. Dafür werteten sie aktuelle Statistiken und die Literatur aus, führten Interviews mit Experten und befragten Beschäftigte sowie deren Interessenvertretungen. Insgesamt sprachen sie mit knapp 100 Personen.

Offizielle Angaben darüber, wie viele Beschäftigte insgesamt in MVZ tätig sind, liegen ihnen zufolge nicht vor. Sie verweisen jedoch auf Erhebungen, wonach in einem MVZ im Mittel etwa acht Medizinerinnen oder Mediziner sowie 14 Beschäftigte aus dem nicht-ärztlichen medizinischen Bereich arbeiten. Keiner der hier Befragten schätzt die Arbeitsbedingungen in MVZ als „sehr gut“ ein. Etwa ein Viertel hält sie für „gut,“ 60 Prozent halten sie für „mittel“ und jeweils acht Prozent für „schlecht“ oder „sehr schlecht“.

Die Situation der Beschäftigten ist laut Studie vielfach angespannt. Auffällig sei, dass aus der Verwaltung am wenigsten negative Nennungen erfolgen. Und: „Angestellte Ärztinnen und Ärzte profitieren zum Teil davon, dass sie im Vergleich zur Freiberuflichkeit weniger mit Bürokratie zu tun haben, kein unternehmerisches Risiko tragen und ihre Arbeitszeiten flexibler gestalten können", schreiben die Autorinnen. Demgegenüber klagten Befragte aus dem nicht-ärztlichen Bereich häufiger über eine schlechte Bezahlung, wobei man in MVZ generell oft weniger verdient als bei einer vergleichbaren Tätigkeit im Krankenhaus.

Nur selten werde nämlich nach Tarif bezahlt – selbst wenn das MVZ einem Krankenhaus gehört und dort ein Tarifvertrag gilt. Selbst ärztliches Fachpersonal wird kaum nach dem Tarifvertrag des Marburger Bundes entlohnt. Nur in 58 Prozent der MVZ, in denen die Befragten tätig sind, finden Tarifverträge Anwendung. In 21 Prozent der Häuser orientiert man sich zumindest daran.

Work-Life-Balance geht anders

Was den Arbeitsalltag betrifft, leiden die Angestellten oft unter hohen psychischen und physischen Belastungen. So stimmten mehr als 60 Prozent Aussagen zu, dass die emotionalen Arbeitsanforderungen hoch sind und Arbeitshetze und Zeitdruck häufig vorkommen. Fast drei Viertel sind der Meinung, dass die mentale Beanspruchung bei der Arbeit in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hat. Das gleiche gilt für die Menge an Arbeit, die erledigt werden muss. Einen zunehmenden Krankenstand beobachten sechs von zehn Mitarbeitenden. Etwa die Hälfte konstatiert zunehmende körperliche Strapazen. „Effizienz gewinnt immer mehr an Bedeutung, die Beschäftigten müssen schneller, länger und intensiver arbeiten", schildern die Forscherinnen die Lage.

Das bedeute auch, dass die Angestellten häufig Überstunden leisten müssen und der Wunsch nach der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben trotz Teilzeit nicht immer erfüllt wird. So liege die Arbeitszeit bei 42 Prozent der Befragten eine bis fünf Stunden über der vertraglich vereinbarten Zeit, zehn Prozent leisten sechs bis zehn Stunden pro Woche mehr. Durchschnittlich übersteige die tatsächliche Wochenarbeitszeit die vertraglich vereinbarte um 3,3 Stunden.

Die hohe Fluktuation ist einerseits Resultat der geringen Vergütung, andererseits wird sie auch durch fehlende Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierechancen in MVZ verstärkt.

aus dem Paper der Hans-Böckler-Stiftung

Jeweils ein Drittel der Befragten gibt an, dass sie Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeit haben und dass die Möglichkeiten zur Vereinbarung von Beruf und Privatleben im MVZ gut sind. Zwar kämen hier jeweils noch etwa 40 Prozent hinzu, die der Aussage teilweise zustimmen – „dennoch erscheint diese Zahl angesichts der Tatsache, dass gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben als Motivation für eine Anstellung im MVZ genannt wird, eher gering", urteilen die Autorinnen.

Wie die Finanzinvestoren vorgehen

Seit ihrer Einführung im Jahr 2004 ist die Zahl der MVZ kontinuierlich gestiegen. Waren es im ersten Jahr 70, so gab es Ende 2020 bereits über 3.800. Zu diesem Zeitpunkt waren dort knapp 24.000 Ärztinnen und Ärzte tätig. MVZ gehören – anders als Arztpraxen oder Praxisgemeinschaften – nicht zwangsläufig Medizinern. Sie werden von Krankenhäusern, Praxisnetzwerken, gemeinnützigen Trägern oder Kommunen gegründet.

In den vergangenen Jahren war ein zunehmender Konzentrationsprozess zu beobachten: Einzelne MVZ werden aufgekauft und zu Ketten zusammengeschlossen. Treiber dieser Entwicklung sind internationale Finanzinvestoren wie Private-Equity-Gesellschaften, aber auch private Kliniken und börsennotierte Gesundheitskonzerne. Speziell die Finanzinvestoren zielen darauf ab, mehrere MVZ aufzukaufen, diese zu verschmelzen und nach vier bis fünf Jahren wieder zu veräußern oder an die Börse zu bringen. Um den Gewinn zu steigern, orientieren sie sich an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen: Kosten müssen gesenkt, Erlöse gesteigert werden.

Zwar dürfen heute nur noch zugelassene Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und andere anerkannte Träger ein MVZ gründen. Finanzinvestoren umgehen diese Vorgabe jedoch, indem sie – teils über verschachtelte Tochtergesellschaften – kleinere Krankenhäuser aufkaufen. Dabei bevorzugen sie Fachrichtungen, die als besonders lukrativ gelten – wie Zahnmedizin, Radiologie, Kardiologie, Orthopädie und Allgemeinmedizin. Die gesamte Anzahl der MVZ in Private-Equity-Besitz kann aufgrund fehlender Daten zu den Eigentümerstrukturen nur näherungsweise bestimmt werden. Schätzungen gehen für das Jahr 2020 von knapp 1.000 Standorten aus, davon etwa 200 für Zahnmedizin.

Hinzu komme, dass sich die Tätigkeiten im Job und die Anforderungen an die Qualifikation aus Sicht der Befragten in den vergangenen Jahren vielfach erweitert haben. So werde man aufgrund von Personalmangel teilweise in verschiedenen Fachbereichen eingesetzt, die unterschiedliche Kenntnisse erfordern, ohne dass es eine Fort- oder Weiterbildung gegeben hätte. „Überforderung ist die Folge, da besondere Qualifikationen in den einzelnen Fachbereichen vonnöten sind, etwa um spezielle diagnostische Geräte zu bedienen", heißt es in der Studie. Unterm Strich sind 70 Prozent der Befragten der Meinung, dass Entwicklungsmöglichkeiten oder Karrierewege im MVZ fehlen.

In der Folge sei vielfach eine verstärkte Abwanderung von Fachkräften aus den MVZ zu beobachten, berichten die Wissenschaftlerinnen. Insbesondere im medizinisch-technischen Dienst herrsche Fachkräftemangel: „Die hohe Fluktuation ist einerseits Resultat der geringen Vergütung, andererseits wird sie auch durch fehlende Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierechancen in MVZ verstärkt.“

Im Übrigen werde die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen von den Beschäftigten häufig nicht als Erleichterung empfunden. Vielmehr habe sie eher negative Folgen wie die Zunahme der Komplexität der Arbeit, die Entwertung von Erfahrungswissen und den Verlust von Autonomie.

Mitbestimmung gibt es selten

„Arbeitnehmervertretungen gibt es in den MVZ bislang nur selten", bilanzieren die Wissenschaftlerinnen. Für die im Rahmen der Studie befragten Vertreter spielten die Themen Arbeitszeit und Dienstplanung, Entgelt, betriebliches Eingliederungsmanagement und Gefährdungsbeurteilungen allerdings eine wichtige Rolle. Die Einhaltung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte werde überwiegend als „mittelmäßig“ beschrieben.

Die Interessenvertretungen gaben dabei an, häufig keine ausreichenden oder rechtzeitigen Informationen von der Unternehmensleitung zu erhalten. Die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung wird ihrer Meinung nach dadurch erschwert, dass MVZ zunehmend in größere Konzerne eingebunden sind. Selbst wenn die Kommunikation mit der lokalen Führung positiv verläuft, fehle es häufig an Einflussmöglichkeiten auf höhere Unternehmensebenen.

So viele Zahnärzte arbeiten in iMVZ

In den zahnärztlichen MVZ sind insgesamt 5.572 Zahnärztinnen und Zahnärzte behandelnd tätig, Tendenz weiter steigend. Derzeit kommen auf jedes MVZ also 3,80 Zahnärztinnen und Zahnärzte. In den Investoren-getragenen MVZ sind 1.753 Zahnärztinnen und Zahnärzte beschäftigt, das sind im Durchschnitt 4,11 pro iMVZ. In großen iMVZ arbeiten aktuell bis zu 28 Zahnärzte, in den kleinsten nur einer.

KZBV, Fremdinvestoren in der vertragszahnärztlichen Versorgung: Aktuelle Entwicklungen, Kennzahlen, Analysen zu investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren, Stand der Daten: 31.12.2022

„In Anbetracht einer angestrebten Ambulantisierung der medizinischen Versorgung in Deutschland werden MVZ als Teil der ambulanten Versorgung von wachsender Bedeutung sein“, folgern Schöneberg und Vitols. Die Entwicklung hänge stark von rechtlichen Rahmenbedingungen und gesundheitspolitischen Entscheidungen ab. Insgesamt sei aber mit einem weiteren Wachstum der MVZ und auch der Zahl der Beschäftigten zu rechnen. Angesichts der zunehmenden Belastungen komme der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vergütung eine besondere Bedeutung zu, um neues Personal zu gewinnen und der Abwanderung von Fachkräften entgegenzuwirken.

Katharina Schöneberg, Katrin Vitols: Branchenanalyse Medizinische Versorgungszentren: Strukturen, wirtschaftliche Trends, Arbeit und Beschäftigung in der ambulanten medizinischen Versorgung, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 288, Mai 2023.

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