Digitale Gesundheitsanwendungen

Viel Potenzial, aber nix dahinter?

Zu teuer, zu laxe Zulassungsregeln: „Apps auf Rezept“ werden zwar zunehmend genutzt, ob sie sich positiv auf die Versorgung auswirken, ist zum Zeitpunkt ihrer Zulassung jedoch oftmals ungewiss. Zu diesem Ergebnis kommt der GKV-Spitzenverband in seinem dritten DiGA-Bericht, den er im Januar dem Bundestag vorlegte. Das Bundesgesundheitsministerium hingegen findet: Alles im grünen Bereich.

Als DiGA definiert der Bericht „Apps oder browserbasierte Programme, die dazu dienen, Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen zu erkennen, zu überwachen, zu behandeln, zu kompensieren oder zu lindern“. Als Medizinprodukte niedriger Risikoklasse ergänzen sie die ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung. Und das in ansehnlicher Zahl, wie die Analyse des GKV-SV zeigt: Über 374.000 DiGA wurden im Berichtszeitraum zwischen dem 1. September 2020 und dem 30. September 2023 in Anspruch genommen. Der Spitzenverband schlussfolgert daher, dass das Angebot zunehmend in der Versorgung ankommt. Trotzdem macht sich bei der Dachorganisation der gesetzlichen Krankenkassen mit Blick auf das Thema vor allem Ernüchterung breit. „Auch im dritten Jahr nach ihrer Einführung lösen die Gesundheits-Apps nicht ihr Versprechen ein, die gesundheitliche Versorgung grundlegend zu verbessern“, sagte Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis anlässlich der Veröffentlichung der Bilanz.

Die Gesundheits-Apps lösen noch immer nicht das Versprechen ein, die gesundheitliche Versorgung grundlegend zu verbessern.

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin GKV-Spitzenverband

Als einen Grund führt der Evaluationsbericht die „unzureichenden Anforderungen“ des Zulassungsverfahrens an. Zum Hintergrund: Für die Prüfung einer DiGA ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig. Hier wurde 2020 ein dreimonatiges sogenanntes Fast-Track-Verfahren für die Aufnahme von DiGA in den GKV-Leistungskatalog eingerichtet. In diesem Zeitraum werden die Angaben des Herstellers zu den geforderten Produkteigenschaften, etwa in den Bereichen Datenschutz und Benutzerfreundlichkeit, geprüft. Gecheckt wird dabei auch, ob ein positiver Versorgungseffekt für die Versicherten vorliegt. Bei erfolgreicher Prüfung wird die App ins DiGA-Verzeichnis des BfArM aufgenommen. Zurzeit sind 49 Anwendungen für die Verordnung in der GKV zugelassen, darunter bisher keine mit zahnmedizinischem Schwerpunkt.

Die Kritik des GKV-SV am Prüfverfahren setzt beim Nutzennachweis an. Hier gilt: Kann ein Hersteller zum Zeitpunkt des Antrags den Nutzen der Anwendung nicht mithilfe von Studien nachweisen, besteht die Möglichkeit einer vorläufigen Aufnahme der DiGA zur Erprobung. Voraussetzung ist, dass die übrigen Anforderungen, etwa beim Datenschutz, erfüllt werden und eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung den zu erwartenden Versorgungseffekt bestätigt. Danach bleiben den Herstellern zwölf Monate Zeit, den Beweis der Wirksamkeit ihres Produkts zu erbringen. Gelingt das nicht, wird die Anwendung aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen. Dieser Prüfmodus ist aus Sicht des GKV-SV nicht streng genug und findet außerdem zu häufig Anwendung. „Von den seit Beginn des Fast-Track aufgenommenen 55 DiGA wurden lediglich zehn Anwendungen mit einem belegten Nutzen vom BfArM sofort dauerhaft in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen. 14 weitere DiGA konnten erst im Laufe ihres zweiten Erprobungsjahres dauerhaft in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen werden“, bilanziert Stoff-Ahnis. Sechs der unter Vorbehalt zugelassenen DiGA seien zudem gänzlich durchgefallen. „Damit ist festzuhalten, dass es auch nach über drei Jahren bei der Mehrzahl der DiGA nicht gelingt, einen positiven Versorgungseffekt nachzuweisen.“

Unerreichte Ansprüche ...

Der GKV-SV steht mit dieser Kritik nicht allein. Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) sieht Schwächen in der derzeitigen DiGA-Bewertung. Aus seiner Sicht reicht der derzeitige Nachweis positiver Versorgungseffekte zum Teil nicht an die Ansprüche heran, die sonst an die Evidenzbasis für erstattungsfähige GKV-Leistungen gestellt würden: „So zeigen systematische Analysen der zu DiGA akzeptierten oder für die Erprobung geplanten klinischen Studien relevante Schwächen. Beispielsweise weisen die Studien oft nur sehr kurze Nachbeobachtungszeiten und hohe Datenunvollständigkeiten sowie teilweise irrelevante Endpunkte auf.“ Im Vergleich zu anderen Bewertungsprozessen im Gesundheitswesen sei die Nachvollziehbarkeit der DiGA-Bewertungen zudem deutlich schlechter. Zentrale Studienergebnisse seien oft nicht ausreichend verfügbar, da sie nur als Zusammenfassung veröffentlicht würden.

Das BfArM entgegnete auf Nachfrage zwar, dass es in seinem DiGA-Leitfaden explizit empfehle, das finale Studienprotokoll in einem Studienregister zu veröffentlichen, für das IQWIG scheint dies aber nicht ausreichend praktiziert zu werden. „Weder der Herstellerantrag inklusive einer ausführlichen Darstellung der Studienergebnisse und -methodik noch der Bewertungsbericht werden veröffentlicht und liegen daher der (Fach-)Öffentlichkeit nicht vor“, heißt es in der Stellungnahme.

Hier kommen DiGA zum Einsatz

Apps für die Versorgung von psychischen Erkrankungen machen den Großteil der für die Verordnung in der GKV zugelassenen DiGA aus. Zurzeit befassen sich laut GKV-SV 27 Apps mit dieser Indikation und haben zusammen über 121.000 Freischaltcodes ausgelöst. Die Codes erhalten Versicherte von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin, ähnlich wie andere Verschreibungen. Auf Stoffwechselkrankheiten mit insgesamt fünf Anwendungen entfielen 72.000 Freischaltcodes. Für Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems gibt es sechs DiGA, die 66.000-mal verordnet wurden. Für die Gruppe Krankheiten des Nervensystems mit ebenfalls sechs DiGA wurden 25.000 Verordnungen registriert.

Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sieht hingegen kein Problem bei den Nachprüfungen vorläufig zugelassener DiGA. Die Ergebnisse seien dem BfArM in Form einer strukturierten Datenauswertung vorzulegen, teilte sie auf Nachfrage der zm mit. Somit würden Sicherheit und Qualität der Anwendung belegt, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass die Generierung der Evidenz im Rahmen der Regelversorgung erfolge.

... und unangemessene Preise

Die GKV hat seit Aufnahme der DiGA als Kassenleistung etwa 113 Millionen Euro für deren Verordnung ausgegeben. Dabei ist laut dem Evaluationsbericht eine rasante Entwicklung zu beobachten: Während die Aufwendungen für DiGA im ersten Jahr bei 13,5 Millionen Euro und im zweiten Jahr bei 32 Millionen Euro lagen, waren es im aktuellen Berichtsjahr (bis September 2023) 67,5 Millionen Euro. Das entspricht einer Wachstumsrate von 110 Prozent. Was den GKV-SV in diesem Zusammenhang besonders stört, sind die kontinuierlich gestiegenen Herstellerpreise.

Dazu muss kurz erklärt werden, wie ein DiGA-Preis festgelegt wird: Auf Herstellerseite fallen Entwicklungskosten für die Anwendung an. Wenn man mit seiner App ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden will, muss zusätzlich Geld für den Nachweis der zahlreichen Qualitätsanforderungen investiert werden. Um trotzdem innovative Lösungen anzulocken, dürfen die Hersteller im ersten Jahr nach Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis den Preis für ihre Anwendung frei festlegen. Dieser kann allerdings gedeckelt werden, sobald DiGA hinzukommen, die sich mit demselben Gesundheitsbereich befassen und somit auch preislich vergleichbar sind. Nach Ablauf der Jahresfrist handeln GKV-SV und Hersteller schließlich einen Vergütungsbetrag aus, der ab dem 13. Monat der DiGA-Nutzung gilt.

Laut GKV-SV variieren die Herstellerpreise für DiGA im ersten Jahr stark und reichen von 119 bis 2.077 Euro pro Quartal. Dabei habe sich der durchschnittliche Herstellerpreis bei Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis kontinuierlich erhöht: „Lag er im ersten Berichtsjahr noch bei 407 Euro, so ist er im zweiten Berichtsjahr auf 557 Euro gestiegen und liegt im aktuellen Berichtsjahr bei 593 Euro.“ Mit durchschnittlich 221 Euro bewegten sich die ab dem zweiten Jahr geltenden Vergütungspreise dagegen deutlich unterhalb dieser Beträge. Aus Sicht des GKV-SV verstärken die Ergebnisse des aktuellen Berichts den Eindruck, dass die beliebige Preisfestlegung durch die DiGA-Hersteller im ersten Jahr der GKV-Zulassung, insbesondere bei Erprobungs-DiGA, zu einer enormen Unverhältnismäßigkeit und Unangemessenheit gegenüber der Vergütung anderer GKV-Leistungen und der Vergütung von DiGA mit einem nachgewiesenen Nutzen führt.

Was die Preisproblematik angeht, spielt das BMG den Ball zurück an die Krankenkassen. „Das SGB V weist die Aufgabe der Regulierung der tatsächlichen Herstellerpreise im ersten Jahr der Erstattung den Institutionen der Selbstverwaltung zu. Der GKV-SV ist aufgefordert, in einer Rahmenvereinbarung mit den Herstellerverbänden effektive Vorgaben für die Bemessung der tatsächlichen Herstellerpreise und die Festlegung von gruppenbezogenen Höchstbeträgen zu treffen“, so die Ministeriumssprecherin.

Wenn der GKV-SV die derzeitigen Regelungen der Rahmenvereinbarung unzureichend findet, sei er im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben aufgefordert, mit den Herstellerverbänden in erneute Verhandlungen zu treten. „Für den Fall, dass keine Einigung erfolgt, kann eine Schiedsstelle weitergehende Regelungen zur Preisbegrenzung treffen“, ergänzt die Sprecherin. Sie verweist außerdem auf das im Dezember 2023 verabschiedete Digi-G, das Regelungen zur Weiterentwicklung der DiGA enthält, darunter Bestimmungen für die begleitende Erfolgsmessung einer Anwendung und die Veröffentlichung der Ergebnisse. Auch die technische und prozessuale Integration von DiGA in die Versorgung werde gefördert.

Das Fazit des GKV-SV zu DiGA fällt dennoch gemischt aus. Stoff-Ahnis: „DiGA werden an Akzeptanz gewinnen, wenn sie frühzeitig ihren Nutzen belegen, sich ihre Preise in einem wirtschaftlichen und angemessenen Verhältnis zu den sonstigen GKV-Leistungen bewegen und sie die Versorgung der Patientinnen und Patienten durch Einbindung in etablierte Behandlungspfade spürbar verbessern.“

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