Teure Experimente

Heftarchiv Meinung
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Man kann Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach viel nachsagen. Aber nicht, dass er sich so leicht von einem einmal gefassten Plan abbringen lässt – auch wenn seitens Experten davon abgeraten wird. Oder negativer ausgedrückt, seine Starrköpfigkeit ist beeindruckend. Unbeirrt hält man im Hause Lauterbach deshalb auch an der Idee der Gesundheitskioske fest. Dieser Tage tauchen sie in einem neuen Referentenentwurf für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) auf. Die Pläne zu den Gesundheitskiosken sehen vor, dass in besonders benachteiligten Regionen und Stadtteilen niedrigschwellige Beratungsangebote für Behandlung und Prävention angeboten werden. Die Finanzierung soll zwischen den Kommunen (20 Prozent) der Gesetzlichen Krankenversicherung (74,5 Prozent) und der Privaten Krankenversicherung (5,5 Prozent) aufgeteilt werden. Besonders spannend ist, dass das Initiativrecht zur Errichtung eines Kiosks bei den Kommunen liegen soll, das heißt, die Kommunen entscheiden eigenständig über die Errichtung eines Gesundheitskiosks und können von den Krankenkassen den Abschluss eines Vertrags verlangen. Die jährlichen Kosten pro Kiosk schätzt das BMG auf rund 400.000 Euro. Die chronisch klammen Kommunen – insbesondere die mit vielen benachteiligten Stadtteilen – sollen also pro Kiosk mindestens 80.000 Euro jährlich beisteuern. Vor diesem Hintergrund sind die Prognosen des BMG (2024 bundesweit rund 30 Kioske, in 2025 etwa 60 Kioske, in 2026 rund 120 und in 2027 rund 220 Kioske) als sportlich bis unrealistisch zu bewerten. Als Zielmarke sind auf der Website des BMG sogar immer noch 1.000 Gesundheitskioske zu finden. Zur Info: Aktuell gibt es genau zwei Pilotprojekte in Hamburg. Für die Leitung der Kioske sind insbesondere Pflegefachkräfte mit Heilkundekompetenz im Sinne von „Community Health Nursing“ angedacht. Das bedeutet, es würde bei oben genannten Zielmarken eine nicht unerhebliche Zahl an Fachpersonal benötigt.

Zusammengefasst heißt das, es soll neben der ambulanten und der stationären Versorgung eine dritte Säule aufgebaut werden, die unter Beteiligung der Kommunen und Krankenkassen finanziert werden muss und für die in größerer Zahl Fachpersonal erforderlich ist – das dann an anderer Stelle fehlen würde, falls es überhaupt zu bekommen ist. Verstehen Sie mich nicht falsch – Versorgungsprobleme in bestimmten Stadtteilen und Regionen sind natürlich existent und werden sich in den nächsten Jahren verschärfen. Aber wird man dem beikommen, indem man neue, teure Parallelstrukturen aufbaut? Wäre es nicht besser, die bestehenden Strukturen zu stärken und noch mehr Anreize für die Niederlassung in strukturschwachen Gegenden zu schaffen? Für richtig und wichtig halte ich allerdings die Stärkung kommunaler Beratungsangebote, die helfen, den Überblick in unserem überkomplexen Gesundheitssystem zu bekommen. Wer schon mal versucht hat, die Versorgung von zu pflegenden Angehörigen sicherzustellen, weiß, wovon ich spreche. Aber das ist mit Sicherheit günstiger und einfacher zu haben als durch die Schaffung von Gesundheitskiosken.

Wirklich teuer und im Extremfall existenzbedrohend werden kann es auch, wenn eine Praxis Opfer eines Hackerangriffs wird. Bei großen Unternehmen kümmern sich ganze Abteilungen um die IT-Sicherheit – mal besser, mal schlechter. In der Zahnarztpraxis ist jedoch die Inhaberin oder der Inhaber für die Datensicherheit verantwortlich. Wer sich dem fatalen Glauben hingibt, Hacker würden sich schon nicht für einen interessieren, sollte sich mit Blick auf das aktuelle Ransomware-Geschehen eines Besseren belehren lassen. Gerade weil kleine Unternehmen oft große Einfalltore bieten und somit eine leichte Beute sind, konzentrieren sich professionell operierende Hacker verstärkt auf sie – Arzt- und Zahnarztpraxen werden immer häufiger Angriffsziel. Und sind sämtliche Daten erst einmal verschlüsselt und blinkt die Lösegeldforderung auf dem Bildschirm, macht sich schnell Panik und Aktionismus breit. Dass es nicht soweit kommen muss, zeigen wir in unserer Titelgeschichte.

Viel Spaß bei der Lektüre

Sascha Rudat
Chefredakteur

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