Orale Medizin: Eine Zukunft mit spannenden Chancen

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Martin Hendges
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Christoph Benz

In dieser zm-Ausgabe finden Sie eine Beilage, die ausnahmsweise einmal nicht werblich daherkommt, sondern sich über den Tellerrand des Alltäglichen hinweg mit der Zukunft der Zahnmedizin beschäftigt. Es ist ein „Impulspapier“, initiiert und produziert vom Quintessenz-Verlag, entstanden in Zusammenarbeit mit Vertretern der Wissenschaft und der Standespolitik und den zahlreichen Autoren, die Sie auch aus der zm kennen. Es geht um die Entwicklungen in der Zahnmedizin der letzten Dekaden und das, was wir in einer Bestandsaufnahme für die Zukunft daraus lernen können.

In der Corona-Krise und der für unseren Berufsstand zunächst einmal frustrierenden Debatte um die Frage der Bedeutung der Zahnmedizin gab es so etwas wie den Augenblick des Erwachens: Genau zu dem Zeitpunkt, als uns die Politik die Systemrelevanz absprach, setzte auch im Berufsstand ein Umdenken ein. Allen Zahnärztinnen und Zahnärzten, die in der aufgeheizten Atmosphäre der Ängste und im Nichtwissen über die tatsächliche Gefährlichkeit des Virus ohne Rücksicht auf das eigene Gesundheitsrisiko Patienten behandelten und die zahnmedizinische Versorgung am Leben erhielten, wurde plötzlich klar, dass das, was wir tun, schon lange keine Medizin für den Zahn mehr ist, sondern im besten Wortsinn „Orale Medizin“, die sich um eine anatomische Region kümmert, die zu den ersten immunologischen Barrieren gegen das Eindringen von Pathogenen in den Körper gehört.

So hat schlussendlich die gesundheitspolitische Respektlosigkeit gegenüber unserem Berufsstand das Nachdenken über eine aktuelle Standortbestimmung der Zahnmedizin beschleunigt. Die DGZMK schrieb in ihrem kurz nach Beginn der Pandemie im Juni 2020 veröffentlichten Positionspapier zur „Perspektive Zahnmedizin 2030“: „Wir sind daher der Überzeugung, dass nur ein absoluter Fokus auf den Terminus 'Orale Medizin' eine tragfähige Vision für unser Fach für das Jahr 2030 sein kann.“

Plötzlich fügten sich all die Entwicklungen der letzten Dekaden in ein stimmiges Gesamtbild: Die über lange Jahre gewachsene Rolle der Prävention und der parallel dazu verlaufende Rückgang konservierender Leistungen, die ebenfalls über Jahrzehnte immer umfangreicher gewordene wissenschaftliche Literatur zu den systemischen Implikationen der Vorgänge in der Mundhöhle, die Erkenntnisse über das orale Mikrobiom und die Wechselwirkung mit schweren Allgemeinerkrankungen, Berichte über neue Konzepte der Früherkennung von Erkrankungen wie den Diabetes in der Zahnarztpraxis – all diese über lange Jahre selten in ihrer Gänze betrachteten Entwicklungen verdichteten sich im Begriff der „Oralen Medizin“.

Was unterscheidet nun die Praxis für Orale Medizin von der heutigen Zahnarztpraxis? Brauchen wir neue Strukturen, Unternehmensformen? Brauchen wir neues Kapital oder größere Versorgungskonglomerate wie investorengetragene MVZ? Die Antwort lautet: Nein. Im Gegenteil: Die Wissenschaft zeigt uns zunehmend komplexere biologische Zusammenhänge, die stärker als je zuvor die Diversität und Individualität des Holobionten Mensch betonen. Das ist eine Absage an all jene mechanistischen Narrative, die Erkrankungen mit standardisierten Methoden versorgt sehen wollen, „Medizinfabriken“, in denen beliebige Behandler beliebige Patienten zu jeder Tages- und Nachtzeit in gleichbleibender, weil normierter „Qualität“ versorgen. In der Zahnmedizin waren Diagnostik und Therapie schon immer stark auf die patientenindividuellen Voraussetzungen abgestimmt, die wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigen jetzt diese Orientierung. Deshalb sind wir überzeugt davon, dass die tradierten inhabergeführten Praxen mehr denn je die wirklich adäquate und beste Versorgungsform für die Orale Medizin der Zukunft sein werden.

Was ändert sich in der Praxis für Orale Medizin? Es ändert sich kurzfristig gar nichts, weil der Terminus keine irgendwie geartete Zielvorgabe ist, sondern einfach die Entwicklung unserer Fachdisziplin über längere Zeiträume beschreibt. Natürlich wird sich das Rad der Entwicklung weiterdrehen und es werden sich im Bewusstsein des neuen Selbstverständnisses spannende neue Chancen der Betätigung ergeben, beispielsweise bei der Früherkennung von Allgemeinerkrankungen oder in der Beratung über den Einfluss der Ernährung auf die (orale) Gesundheit. Das alles sind gute Nachrichten für uns – wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre der Beilage.

Martin Hendges
Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung

Prof. Dr. Christoph Benz
Präsident der Bundeszahnärztekammer

Martin Hendges

Vorstandsvorsitzender der KZBV
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung
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Prof. Dr. Christoph Benz

Präsident der BZÄK
Bundeszahnärztekammer

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