Interview mit dem Deeskalationsexperten Dominik Lansen

„Reagieren Sie nicht emotional!“

In brenzligen Situationen ist es wichtig, den Ernst der Lage schnell zu erkennen, um dann möglichst besonnen zu handeln. Worauf es dabei ankommt und wie man das Team vorbereitet, schildert der Deeskalationstrainer Dominik Lansen.

Wie kann ein Sicherheitskonzept zum Schutz des Praxispersonals aussehen?

Dominik Lansen: Es sollte sowohl präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Übergriffen als auch Reaktionsstrategien umfassen. Dazu gehören zum einen physische Sicherheitsmaßnahmen wie die Installation von sicheren Türsystemen und Videoüberwachung zur Abschreckung und Dokumentation. Das ist insbesondere bei nächtlichen Notdiensten relevant, um den Zugang zu den Praxisräumen zu kontrollieren. Beim Einsatz von Überwachungskameras in den öffentlichen Bereichen der Praxis muss man selbstverständlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Datenschutzes beachten. Sinnvoll kann auch ein Notrufsystem mit leicht erreichbaren Notrufknöpfen, Alarmanlagen oder Codewörtern sein, mit dem das Personal im Ernstfall schnell Hilfe holen kann. Gestalten Sie Warte- und Arbeitsbereiche möglichst sicher, so dass eine gewisse Distanz zwischen Patienten und Personal gewahrt bleibt. Minimieren Sie potenzielle Gefahrenquellen in Form von Gegenständen, die als Waffen benutzt werden können.

Zum Konzept gehört dann auch ein Selbstschutztraining, sprich Selbstverteidigung. Solche Trainings vermitteln Techniken und Strategien, um körperlichen Angriffen sicher und effektiv zu begegnen, ohne den Angreifer oder sich selbst unnötig zu gefährden. Letztendlich rate ich noch zu einer ausformulierten Dienstanweisung als eine klare Richtlinie zum Umgang mit aggressivem Verhalten und Übergriffen. Diese sollte dann jedes Teammitglied kennen und sich daran orientieren. Sie umfasst spezifische Deeskalationstechniken, Erste-Hilfe-Maßnahmen in Konfliktsituationen und den Einsatz von Kommunikationsstrategien, um Situationen zu beruhigen und die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten. Durch regelmäßiges Training und Vergegenwärtigen dieser Richtlinien werden die Mitarbeitenden befähigt, in Gewaltsituationen souverän und besonnen zu handeln.

Sicherheitsmaßnahmen sind das eine. Aber im Ernstfall muss man auch mental stark bleiben. Wie gelingt das?

Die mentale Unterstützung innerhalb eines Sicherheitskonzepts halte ich für eine ganz wesentliche Komponente. Sie stärkt die Resilienz der Mitarbeitenden und ist selbst Teil eines unterstützenden Arbeitsumfelds. Denn dabei werden die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten gefördert, was besonders wichtig ist, da sie im Gesundheitswesen häufig hohem Stress und emotional belastenden Situationen ausgesetzt sind. Ein Sicherheitstraining sollte also auch immer das Ziel haben, die mentale Kraft der Mitarbeitenden zu stärken, indem es ihnen Handlungssicherheit vermittelt und sie dadurch selbstbewusster macht. Dazu gehören Techniken der Stressbewältigung, der Achtsamkeit und der Selbstfürsorge.

Wie kann das Team in einer aufgeladenen Situation am besten deeskalierend wirken?

Gelingt es, ruhig zu reagieren, kann das helfen, die Situation zu entschärfen. Sicherheit hat aber immer Vorrang: Achten Sie auf Ihre eigene Sicherheit und die der Patienten und Kollegen. Hören Sie zu, zeigen Sie Einfühlungsvermögen und vermeiden Sie konfrontative Sprache. Wenden Sie keine Einschüchterungstaktiken an, um den Patienten zu kontrollieren. Drohen Sie ihm nicht. Vermeiden Sie alles, was als Herausforderung oder Konfrontation verstanden werden könnte, sowohl in der Sprache als auch in der Körpersprache. Lassen Sie sich nicht auf eine körperliche Auseinandersetzung ein, es sei denn, sie ist zur Selbstverteidigung absolut notwendig. Versuchen Sie nicht, die Situation allein zu meistern. Vermeiden Sie auch, emotional zu reagieren oder sich auf eine verbale Auseinandersetzung einzulassen, die die Lage verschlimmern könnte. Setzen Sie sich oder andere keinen unnötigen Risiken aus, indem Sie versuchen, den Patienten ohne angemessene Unterstützung oder Sicherheitsvorkehrungen zu beruhigen. Bitten Sie um Unterstützung, wenn es die Situation erfordert. Halten Sie einen angemessenen Abstand zum Patienten, um sich selbst zu schützen. Dokumentieren Sie den Vorfall detailliert, sobald die Situation sicher ist, für zukünftige Referenzen und mögliche rechtliche Schritte.

Außerdem kann ich aus Erfahrungen sagen: Je stärker der Teamgeist ist, desto besser können Mitarbeitende gut reagieren. Sie spüren eine Art Rückendeckung. Allgemein hilft, das Stressniveau zu senken und das Gefühl der Sicherheit und des Zusammenhalts unter den Beschäftigten zu stärken. Das gemeinsame Ziel, für Sicherheit zu sorgen, schweißt zusammen und fördert ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl und Vertrauen im Team. Gemeinsame Erfahrungen im Rahmen von Sicherheitstrainings tragen dazu bei, ein starkes und belastbares Team zu formen, das in der Lage ist, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen und ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Hat es tatsächlich eine schwierige Situation gegeben, empfehle ich, anschließend gemeinsam darüber zu sprechen und diesen Ausnahmezustand zusammen zu sortieren.

Wann muss man die Polizei einschalten?

Wenn die Situation nicht nur unangenehm, sondern gefährlich werden kann. Also bei gewalttätigen Übergriffen, Bedrohungen oder anderen kriminellen Handlungen. Sie sollten aber auch dann schon die Polizei informieren, wenn Personal oder Patienten belästigt werden und die Situation intern nicht lösbar ist.

Wie motiviert die Führung das Team für das Konzept und das Training?

Machen Sie die Bedeutung und den Nutzen der Maßnahmen deutlich. Ein einheitliches Verständnis und Vorgehen in Gefahrensituationen ist für die Sicherheit aller Beteiligten unerlässlich. Unterschiedliches Wissen über den Umgang mit Gewalt und das Fehlen einer gemeinsamen Strategie können im Ernstfall zu Unsicherheiten führen, die die Effektivität des Teams und die Sicherheit jedes Einzelnen beeinträchtigen. Betonen Sie, dass das gemeinsame Training für den Schutz aller absolut notwendig ist und dass das Team nur dadurch effektiv zusammenarbeiten kann. Es ist auch wichtig, dass alle Mitarbeitenden einheitlich geschult werden, um im Notfall koordiniert und sicher handeln zu können. Ebenso wichtig ist es, die individuellen Fähigkeiten und Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Ähnlich wie in einer Fußballmannschaft, in der jeder Spieler eine bestimmte Position einnimmt, sollte im Rahmen des Sicherheitstrainings festgelegt werden, welche Rolle jeder am besten übernehmen kann.

Wie kann man das Konzept in den Arbeitsalltag integrieren?

Online-Schulungen bieten eine effiziente und flexible Trainingsmöglichkeit, die den Bedürfnissen der Angestellten gerecht wird. Um den Zeitdruck zu minimieren, können Präsenzschulungen in kurze, intensive Einheiten unterteilt werden, die sich auf die wesentlichen Praktiken und Verfahren konzentrieren. So wird sichergestellt, dass die Mitarbeitenden nicht überfordert werden und das Gelernte effektiver umsetzen können.

Die Praxisleitung kann die Sicherheitsverfahren und -protokolle in den Arbeitsalltag integrieren, indem sie regelmäßig kurze Auffrischungskurse oder Besprechungen durchführt. Diese Erinnerungen helfen, das Bewusstsein für Sicherheitsfragen aufrechtzuerhalten und das Gelernte zu festigen, ohne zusätzlichen Stress zu verursachen. Die Motivation zur Teilnahme an Schulungen kann durch Anreize wie zusätzliche Freizeit, Anerkennung im Team oder kleine Belohnungen für abgeschlossene Schulungseinheiten erhöht werden. Durch die teilweise Verlagerung der Schulungen in den digitalen Bereich und die sorgfältige Planung der Präsenzeinheiten kann die Weiterbildung nahtlos in den Arbeitsalltag integriert werden. So steht die Praxis für die Patientenversorgung zur Verfügung und die Mitarbeitenden können sich ohne zusätzlichen Druck weiterbilden.

Tipps des Experten

• Legen Sie ein Regelwerk für gefährliche Patientensituationen fest.

• Verwenden Sie möglichst eine einfache Sprache mit kurzen Sätzen und klaren Aussagen.

• Bieten Sie gegebenenfalls an, die Behandlung zu verschieben.

• Kehren Sie dem aggressiven Patienten nicht den Rücken zu.

• Heben Sie die Hände in seinen Sichtbereich.

• Räumen Sie potenziell gefährliche Gegenstände aus dem Weg.

• Sprechen Sie laut, aber nicht abwertend oder beleidigend.

• Weisen Sie den Patienten auf die Konsequenzen seines Verhaltens hin (Praxisverweis, Polizeiruf).

• Verabreden Sie ein Codewort für den Ernstfall. Bei seiner Nennung folgt der Exit.

Mit welchem Aufwand und welchen Kosten müssen Zahnarztpraxen rechnen?

Die Kosten für eine Sicherheitsschulung für die Praxen variieren je nach Umfang und Individualisierung der Schulung. Eine eintägige Schulung kann zwischen 1.000 und 2.000 Euro kosten. Der Zeitaufwand umfasst die Dauer der Schulung selbst sowie zusätzliche Zeit für die Umsetzung des Gelernten, was insgesamt ein bis zwei Tage pro Mitarbeiter ausmachen kann. Die Investition in Sicherheitsschulungen sollte jedoch als langfristige Maßnahme zur Erhöhung der Sicherheit für Mitarbeiter und Patienten gesehen werden.

Durch die Schulung wird das Personal in die Lage versetzt, in prekären Situationen angemessen zu handeln, wodurch zum einen das Risiko von Verletzungen verringert und zum anderen auch die potenziellen Kosten aufgrund von Zwischenfällen, Rechtsstreitigkeiten und negativer Publicity minimiert werden können. Letztendlich fördert eine solche Schulung ein sicheres und unterstützendes Arbeitsumfeld, das zur Zufriedenheit des Personals und zur Patientensicherheit beiträgt. Ich plädiere auch dafür, das Training regelmäßig aufzufrischen.

Das Gespräch führte Laura Langer.

Dominik Lansen ist Inhaber und Cheftrainer der Selfdefensebox Cologne in Köln. Der gelernte Verwaltungsfachwirt arbeitete über zwölf Jahre im Jobcenter und 23 Jahre im öffentlichen Dienst. Er absolvierte eine Ausbildung zum behördlichen Deeskalationstrainer und leitet Gruppenseminare mit dem Schwerpunkt Selbstverteidigung. Dabei hat er sich auf Sicherheitstrainings für Arztpraxen spezialisiert, um den Ärzten, Zahnärzten und ihren Teams Techniken der Deeskalation und der Selbstverteidigung an die Hand zu geben. Ihre Fragen beantwortet er unter info@sichere-praxis.com.

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