„Am Anfang war es wichtig, einfach zu machen!“
Für ihn konnte es eigentlich gar nicht anders kommen. „Ich bin in einer Zahnarztfamilie aufgewachsen“, erzählt Herbert zu Beginn des Gesprächs in der zm-Redaktion. „Meine Eltern waren beide Dentisten und lernten sich in den 1950er-Jahren beim Aufbaukurs Zahnmedizin kennen. Später gründeten sie ihre eigene Praxis in unserer Heimatstadt Cottbus“, ergänzt der inzwischen 68-Jährige.
Als Kind und Teenager besserte er dort sein Taschengeld auf, zum Beispiel durch das Reinigen von Küvetten. In den 1980er-Jahren studierte Herbert Zahnmedizin an der Charité in Berlin und machte nach dem Abschluss seinen Fachzahnarzt an der Klinik und Poliklinik für Stomatologie in Cottbus. Kurz nach seinem 30. Geburtstag übernahm er zusammen mit seiner Frau Ricarda die elterliche Praxis – und war damit der jüngste niedergelassene Zahnarzt in der DDR, wie er nicht ohne Stolz verrät. Er habe zwar auch darüber nachgedacht, in den Westen zu gehen, entschloss sich aber zu bleiben.
Mit 30 war er der jüngste Niedergelassene in der DDR
„Ich fand, wenn jetzt alle abhauen, verändert sich nie wieder was hier“, blickt er zurück. Veränderung wünschte sich Herbert vor allen Dingen in Sachen Berufsausübung. „Ich habe immer wieder – auch öffentlich – gesagt, dass die Geschichte mit den staatlichen Zahnärzten nicht funktioniert und dass das Niederlassungsmodell viel besser ist“, berichtet er. Dazu muss man wissen, dass sich Zahnärztinnen und Zahnärzte in der DDR ab 1972 nicht mehr niederlassen durften, sondern ausschließlich in staatlichen Praxen und Polikliniken arbeiteten. Erlaubt war nur – wie in Herberts Fall – die Übernahme der elterlichen Praxis. In Cottbus arbeiteten zu diesem Zeitpunkt etwa 13 Niedergelassene und 120 Zahnärztinnen und Zahnärzte an den Polikliniken. „Das System funktionierte aus meiner Sicht nicht, weil die Kolleginnen und Kollegen ein Festgehalt bekamen. Sie haben ihren Beruf ordentlich gemacht, aber etwas zu langsam“, so Herbert.
Könnt ihr nicht mal einen Kurs mit uns machen?
Dann kam die Wende und der junge Praxisinhaber wartete nicht lange ab. „Fastnacht 1990 bin ich nach Saarbrücken gefahren, das war damals die Partnerstadt von Cottbus. Ich habe die Adressen von Kammer und KZV rausgesucht, bin dort einfach vorbeigegangen und habe gefragt: ‚Könnt ihr nicht mal einen Kurs mit uns machen? Bei uns hat keiner eine Ahnung, was Kammer und KZV machen.‘“ Im Sommer 1990 lud die saarländische Standesvertretung die angehenden Berufspolitikerinnen und -politiker tatsächlich zu einer zehntägigen Schulung ein. Zuvor hatte sich bereits der „Verband der niedergelassenen Zahnärzte Land Brandenburg“ gegründet.
„Man sollte sich nur so viel streiten, dass man danach noch ein Bier zusammen trinken kann.“
Jürgen Herbert
Im November 1990 folgte die Gründung der Landeszahnärztekammer Brandenburg als Verein, beraten und begleitet von der ihr zugewiesenen Partnerkammer Westfalen-Lippe. „Vier von uns, die an dem Crashkurs in Saarbrücken teilgenommen hatten, starteten dann in der Kammer und zwei in der KZV“, berichtet Herbert. „Und so haben wir Schritt für Schritt die Selbstverwaltung aufgebaut. Am Anfang war es wichtig, einfach zu machen!“ Ein bestimmendes Thema für den frisch gebackenen Kammerpräsidenten war das Finden von Räumlichkeiten. „Das Problem war, dass es in der DDR keinen brauchbaren Gewerberaum für Kammer und Praxen gab. Wir sind schließlich in eine ehemalige Wehrmachtsbaracke mit Ofenheizung eingezogen. Da musste man morgens erst einmal kräftig Lärm machen, um die Mäuse zu verscheuchen“, sagt er lachend. „1992 fanden wir dann bessere Räumlichkeiten.“ Dort blieb die Kammer, bis sie in den 2000er-Jahren an den jetzigen Standort gezogen ist.
Auf die dreieinhalb Jahrzehnte Berufspolitik blickt er zufrieden zurück, insbesondere auf die Anfangsjahre. „Ich habe mich in der ersten Zeit vor allen Dingen um die Niederlassungsberatung gekümmert. Das habe ich anscheinend nicht schlecht gemacht, denn die Kolleginnen und Kollegen sind alle glücklich geworden.“ Die Kammer stellte darüber hinaus eine Expertin ein, die ab Anfang der 1990er-Jahre eine kostenfreie Rentnerberatung anbot. Ende 1992 war die Kammer laut Herbert zu 95 Prozent aufgebaut.
Parallel arbeitete Herbert in seiner Praxis, doch die Berufspolitik war immer präsent. „Mein Team hat nicht selten gesagt: ‚Chef, im Moment telefonierst du mehr, als dass du arbeitest!‘ Und das stimmte oft auch“, bestätigt er. In der Berufspolitik sei eben immer etwas zu tun. Er denkt dabei unter anderem an die hitzigen Diskussionen der 1990er-Jahre um das Korb-Modell, das die kollektive Rückgabe der Kassenzulassung von Zahnärzten und damit deren Ausstieg aus der GKV forderte.
„Damals hat es im Bundesvorstand richtig Krach gegeben. Die meisten Kammerpräsidenten fanden die Idee nicht gut“, erinnert sich Herbert. „Mir war klar: Im Osten funktioniert das nicht. Wir haben alle gerade frisch Kredite aufgenommen, um unsere Praxen zu finanzieren. Hätten wir unsere Zulassung zurückgegeben, hätte die Bank die Kredite zurückgefordert.“ Das Korb-Modell sei dann ja auch krachend gescheitert und der Konflikt innerhalb der Zahnärzteschaft Ende der 1990er-Jahre beigelegt worden.
„Als die Entscheidung aufzuhören stand, hat das richtig ‚plumps‘ gemacht, so sehr ist mir eine Last von den Schultern gefallen. Das hatte ich vorher nicht so erwartet.“
Jürgen Herbert
Hitzige Diskussionen gehören aus Herberts Sicht zur Berufspolitik dazu: „Ich bin der Meinung, man kann sich auch mal streiten. Aber man sollte sich nur so viel streiten, dass man danach noch ein Bier zusammen trinken kann. Alles andere bringt nichts.“ Kaum Gefahr, unterschiedlicher Meinung mit seinen Kolleginnen und Kollegen zu sein, lief Herbert beim Thema Telematikinfrastruktur. „Damit ging es 1998 los“, erzählt er. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich das an meine Nachfolgerin übergeben werde. Aber: Das Thema ist nach wie vor zum Weglaufen.“ Wesentlich lieber ruft sich Herbert dagegen den Umzug der Bundeszahnärztekammer nach Berlin ins Gedächtnis, auf den er als ein Highlight seiner Amtszeit zurückblickt. „Ich fand diesen Schritt extrem wichtig und habe mich damals sehr dafür eingesetzt.“
Im Nachhinein war das eine Schnapsidee!
Der scheidende Kammerpräsident zieht ein selbstbewusstes Fazit seiner Amtszeit: „Ich habe auch manchmal falsch gelegen, aber das waren keine wichtigen Sachen.“ Wobei – räumt er dann doch ein – eine Sache gebe es da vielleicht doch: „Wir haben uns damals sehr gefreut, dass wir die Niederlassungsbeschränkung für Zahnärzte weggekickt haben. Der Hintergedanke war ja, dass die Kolleginnen und Kollegen dann nicht mehr zwingend mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen müssen, sondern länger praktizieren können. Das war ein Pyrrhussieg, muss man im Nachhinein sagen. Denn jetzt gehen die Leute früher in Rente und die KZVen haben keine Möglichkeit mehr, steuernd einzugreifen.“ Mit Blick auf den Fachkräftemangel bezeichnet Herbert das im Nachhinein als „Schnapsidee“ und fügt an: „Man wird klüger mit der Zeit.“
Hilft das auch dabei, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg zu finden? Herbert drückt es so aus: „Anfang der 1990er-Jahre war ich der jüngste Kammerpräsident. Ich habe immer gesagt: 'Wenn ich einmal der älteste bin, dann höre ich auf.'“ Wäre er diesem Vorsatz gefolgt, hätte allerdings schon deutlich früher Schluss sein müssen. Aber, so Herberts Begründung, er sei geblieben, weil niemand sonst das arbeitsintensive Amt übernehmen wollte. Jetzt sei jedoch ein neues Vorstandsteam gefunden, das noch mitten im Berufsleben stehe. „Und das gestalten sie aus diesem Grund vielleicht doch besser als ich“, sagt Herbert schmunzelnd. Er räumt ein: „Als die Entscheidung aufzuhören stand, hat das richtig ‚plumps‘ gemacht, so sehr ist mir eine Last von den Schultern gefallen. Das hatte ich vorher nicht so erwartet.“
Herbert, dem seine Kammer den Titel des Ehrenpräsidenten verliehen hat, wird gemeinsam mit seiner Frau in der Praxis weiterarbeiten. Wie lange noch? „Naja“, verrät Herbert, „ich habe meiner lieben ZFA Eva, die seit 1982 mit uns arbeitet, versprochen, dass ich bleibe, bis sie abzugsfrei in Rente gehen kann. Bis dahin ist es noch ein Weilchen.”
Einen Teil seiner Zeit wird er jedoch in ein anderes Projekt stecken: Vor ein paar Jahren hat er ein Hotel an der Ostsee gekauft, das er zusammen mit einem Freund betreibt. An seinen freien Tagen wird er ab sofort, so oft es geht, Seeluft schnuppern. Und vielleicht schließt er das Kapitel Berufspolitik ja doch nicht komplett ab. Denn, so gibt er im Gespräch bei den zm zu Protokoll, für projektbezogene Aufgaben stehe er der Kammer auch in Zukunft zur Verfügung.