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Interview mit Prof. Cornelia Frese und Prof. Johan Wölber zu Zuckerersatzstoffen

„Wir müssen zu einer signifikanten Reduktion der Zuckeraufnahme kommen!“

Nicht nur Zucker, auch Zuckerersatzstoffe stehen zunehmend im kritischen Fokus der Forschung. DGPZM-PräsidentinProf. Cornelia Frese und DGEZM-Präsident Prof. Johan Wölber erklären den Perspektivwechsel.

Frau Prof. Frese, was hat den Ausschlag dafür gegeben, sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Thema Zuckerersatzstoffe zu beschäftigen? Zweifel an der Unbedenklichkeit von Zuckerersatzstoffen gibt es ja schon länger, wobei der Evidenzgrad der kritischen Studien aber immer als niedrig galt.

Prof. Cornelia Frese: Oft vollziehen sich Perspektivwechsel in der Wissenschaft über einen längeren Zeitraum – das ist auch hier so. Lange Zeit galten Zuckerersatzstoffe als sichere und zusätzlich noch kalorienreduzierte Alternative zum Zucker, was zeitweise einen Boom an Light-Produkten mit dem Ziel der Gewichtsreduktion befördert hatte. Doch wie sich mittlerweile herausgestellt hat, funktionierte das bei vielen Menschen nicht.

Hinzu kamen nach und nach Studien, die die Verwendung der Zuckerersatzstoffe mit der Entwicklung schwerer Allgemeinerkrankungen in Verbindung brachten. Ein starkes Zeichen war die WHO-Leitlinie zu den Zuckerersatzstoffen aus dem Jahr 2023. Mit Hinweis auf mögliche Gesundheitsgefahren gab die WHO die bedingte Empfehlung (conditional recommendation) ab, den Konsum von Zuckerersatzstoffen zur Gewichtskontrolle einzuschränken.

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Prof. Dr. Cornelia Frese (Heidelberg) ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin e.V. (DGPZM).

Zucker sollte nach Möglichkeit nicht mehr durch Alternativen ersetzt, sondern in der Ernährung weitgehend reduziert werden – auf weniger als 25 g pro Tag, rät die WHO.

Ja, und damit verschiebt sich gleichermaßen der Fokus unserer Empfehlungen vom Zuckerersatz zur Reduktion der täglichen Zuckeraufnahme. Das ist das Neue, das künftig auch in unsere zahnärztlichen Patienteninformationen Eingang finden sollte.

Welche Rolle spielten die Studien von Witkowski et al. für Ihre Neubewertung der Zuckerersatzstoffe?

Witkowski et al. haben zeigen können, dass Erythrit und Xylit im Blutplasma zu einer verstärkten Thrombozyten­aggregation in den Gefäßen führen und so das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und in deren Folge auch Todesfälle erhöht wird. Obwohl die Studien Limitationen in Bezug auf die Studienpopulation aufwiesen, wurde doch für uns deutlich, dass wir die Aufnahme größerer Mengen der beiden Zuckeralkohole künftig kritisch beobachten sollten und weiterführende Studien angezeigt sind. Das betrifft in erster Linie Nahrungsmittel und insbesondere Getränke.

Die Studien unterstrichen besonders für die im Beitrag genannten Risikogruppen, dass für die Prävention Zucker nicht unbegrenzt durch Ersatzstoffe substituiert werden sollte. Wir haben für die Zahnmedizin in unserer Stellungnahme allerdings darauf hingewiesen: Die Dosis macht das Gift. Die in Mundpflegeprodukten eingesetzten Dosen bedeuten eine weitaus geringere Exposition als in den Studien von Witkowski et al. eingesetzt wurde. Daher halten wir den Einsatz von Erythrit und Xylit in Mundspülungen, Zahnpasten, Kaugummis und auch in Pulver-Wasser-Strahlgeräten weiter für sicher und unbedenklich.

Herr Prof. Wölber, Sie haben vor gut einem Jahr mit einigen Mitstreitern die „erste länderübergreifende wissenschaftliche Fachgesellschaft im deutschsprachigen Raum, die sich explizit mit der Rolle der Ernährung im Kontext oraler Erkrankungen beschäftigt“, wie Sie auf Ihrer Webseite schreiben, gegründet. Welche Schwerpunkte haben Sie in die Stellungnahme eingebracht?

Prof. Johan Wölber: Uns war vor allem wichtig, darauf hinzuweisen, dass sowohl eine Rückkehr zum Zuckerkonsum als auch Süßstoffe in hohen Mengen nicht der Weg sein können. Zucker hat ein eigenständiges, gut belegtes Risikoprofil. Zucker ist nicht nur mit der Karies-Pathogenese verbunden, sondern fördert auch die Entstehung von parodontalen und vielen anderen Allgemeinerkrankungen. Ein wichtiger gemeinsamer Risikofaktor also. Wenn Süßstoffe in kleinen Mengen Menschen dabei helfen können, Zucker zu vermeiden, dann scheint das gesundheitlich immer noch okay zu sein. Nur sollte man keinen hohen Zuckerkonsum 1:1 durch Süßstoffe ersetzen.

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Prof. Dr. Johan Wölber (Dresden) ist Präsident der D-A-CH Gesellschaft für Ernährungszahnmedizin (DGEZM).

Es führt also aus Ihrer Sicht kein Weg an einer Zuckerreduktion vorbei?

Richtig, wir müssen zu einer signifikanten Reduktion der Zuckeraufnahme in unserer Ernährung kommen. Das wird allerdings ein längerer Prozess werden, weil die große Mehrheit der heute lebenden Menschen an einen hohen Zuckerkonsum gewöhnt ist und gewissermaßen damit „sozialisiert“ wurde. Diese Gewöhnung ist sehr ausgeprägt und individuell nur schwer aufzuheben. Dazu wird Zucker auch noch beworben.

Deshalb wird es vor allem wichtig sein, unseren Kindern von klein auf eine andere Orientierung in der Ernährung mit ins Leben zu geben – schon allein mit dem Vermeiden zuckerhaltiger Getränke ließe sich viel erreichen. Eine Zuckersteuer sowie ein Verbot von an Kinder gerichtete Zucker-Werbung sind überfällig.

Das Gespräch führte Benn Roolf.

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