KBV-Petition zur ambulanten Versorgung im Bundestag

Ärzte-Chef Gassen: „Wir stehen vor einem Kipppunkt!“

sth
Politik
Die Petition zur „Rettung der ambulanten Versorgung“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung war gestern Thema im Petitionsausschuss des Bundestags. Mehr als eine halbe Million Menschen hatten sie unterzeichnet.

Es handele sich bei dieser Petition nicht um das „Gejammer eines Berufsfunktionärs“, betonte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), in seinem Eingangsstatement. Er berichtete, dass der Ton in den Erfahrungsberichten, die die KBV von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten erreichen, immer dringlicher werde. „Wir haben eine Situation erreicht, wo wir vor einem Kipppunkt stehen und wir große Sorgen haben, dass die Versorgung der Menschen in diesem Land durch die Praxen perspektivisch wegbricht und nicht mehr regenerierbar ist“, sagte Gassen am Montag in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses des Bundestags.

Dass Abgeber keinen Nachfolger finden, ist neu

Die Praxen seien am Limit, warnte Gassen. Kolleginnen und Kollegen, die eigentlich noch einige Jahre praktizieren könnten, würden aufgrund der Rahmenbedingungen ihre Praxen früher aufgeben und – das sei eine neue Entwicklung – keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger finden. Laut einer KBV-Umfrage aus dem vergangenen Jahr fühlten sich 70 Prozent der Niedergelassenen durch ihre Arbeit ausgebrannt und 90 Prozent durch Bürokratie überlastet.

Der Kitt darf nicht bröckeln

Aktuell könnten 5.000 Hausarztsitze nicht mehr besetzt werden, die Sicherstellung der Versorgung ist aus Sicht der KBV akut gefährdet. „Wir erleben im Moment nicht, dass die Bundesregierung tatsächlich alles daran setzt, diese Situation schnell und zügig zu ändern, sondern wir erleben uns eher in einer Situation, dass wir ausgebremst werden“, sagte Gassen.

Er betonte, dass die wohnortnahe Versorgung der Menschen, unabhängig von Einkommen, Versichertenstatus, Herkunft oder Geschlecht ein enormer sozialer Kitt sei, der eine Gesellschaft zusammenhalte. „Wenn dieser Kitt bröckelt, dann werden die Zentrifugalkräfte, die unsere Gesellschaft ohnehin momentan schon erreichen, noch deutlich zunehmen.“ Er schloss mit dem Appell, die Petition als Hilferuf der niedergelassenen Praxen Ernst zu nehmen.

Für Lauterbach wurde die Digitalisierung falsch aufgesetzt

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) stimmte zu, dass es große Probleme beim ärztlichen Nachwuchs gebe. Dies sei auf Fehler zurückzuführen, die die Vorgängerregierung gemacht habe. Die Zahl der Medizinstudienplätze hätte schon vor Jahren stark erhöht werden müssen. Aufgrund dieses Versäumnisses sei nun ein Mangel entstanden, der die nächsten zehn bis 15 Jahre andauern werde.

Zudem sagte Lauterbach, dass die Digitalisierung von der Vorgängerregierung falsch aufgesetzt worden sei. „Sie bringt aus der Perspektive des praktizierenden Arztes nur mehr Belastung, aber keinen erkennbaren Nutzen“, sagte Lauterbach. Insbesondere mit den Funktionen, die den Praxen ab dem kommenden Jahr mit der elektronischen Patientenakte (ePA) zur Verfügung stehen würden, wolle die Bundesregierung für Entlastung sorgen. Darüber hinaus kündigte der Minister an, nun zügig die Themen Arzneimittelregresse und Budgetierung anzugehen, um die Notsituation zu entschärfen.

Gassen reichen Lauterbachs Ankündigungen nicht

KBV-Chef Gassen reichten diese Ankündigungen nicht aus. Um für Zuversicht bei den Niedergelassenen zu sorgen, brauche es nicht Maßnahmen, die in fünf Jahren Wirkung zeigten, sondern innerhalb der kommenden Wochen. Die Abschaffung der Regresse beispielsweise könne umgehend umgesetzt werden. Gleiches gelte für die Sanktionen bei der Digitalisierung. Was die Entbudgetierung im hausärztlichen Bereich angeht, ist aus Gassens Sicht kein eigenes Gesetz notwendig. Wie die Entbudgetierung bei Kinder- und Jugendärzten gezeigt habe, sei dies auch kurzfristig realisierbar.

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