KBV Praxisbarometer Digitalisierung

Ärzte enttäuscht wegen unreifer und praxisuntauglicher Anwendungen

pr/pm
Praxis
Ärzte sind gegenüber der Digitalisierung in Praxen zwar offen, zeigen sich aber enttäuscht über unreife und wenig praxistaugliche Anwendungen. Ernüchterung mache sich breit, so das neue Praxisbarometer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Vor allem mache sich in den Praxen Ernüchterung breit, fasste Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, die Ergebnisse zusammen. Das sei besonders deshalb tragisch, weil der Großteil der Ärzteschaft der Digitalisierung gegenüber eigentlich positiv eingestellt sei, erklärte er.

„Anwendungen sind unreif und wenig praxistauglich“

Aus Sicht der KBV ist Voraussetzung für die Akzeptanz von Digitalisierung, dass neue Anwendungen den Praxisalltag erleichtern und die Patientenversorgung verbessern. Dieser Nutzen sei im letzten Jahr aber immer seltener erkennbar gewesen, heißt es bei der KBV.

Die Kernergebnisse der Befragung

Aufgeschlossenheit gegenüber digitalen Innovationen: Die Vertragsärzte sehen Vorteile vor allem bei der Kommunikation mit Kollegen im ambulanten wie stationären Sektor. Knapp 45 Prozent der Praxen halten sich der Befragung zufolge für aufgeschlossen gegenüber digitalen Innovationen, 74 Prozent zumindest teilweise. Unter den spezialisierten fachärztlichen und interdisziplinär besetzten Praxen sowie jüngeren Praxisbetreibern (unter 50 Jahren) liegen die Anteilswerte – teilweise deutlich – über 50 Prozent. Unter den bestehenden und zukünftigen digitalen Anwendungen erwarten die relativ meisten Praxen einen sehr oder eher hohen Nutzen von Online-Fallbesprechungen mit Kollegen (40 Prozent), gefolgt von den digitalen Versionen medizinischer Pässe/Ausweise (zum Beispiel vom Impfausweis) sowie von digitalen Verordnungen, Überweisungen und Bescheinigungen (jeweils rund 35 Prozent). Am seltensten sehen die Praxen einen hohen Nutzen bei Patienten-Apps zur Sammlung medizinscher Daten. Auffallend ist der deutliche Rückgang der Erwartung eines hohen Nutzens bei digitalen Verordnungen und Bescheinigungen, der laut Befragung auf die Erfahrungen mit elektronischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und dem elektronischen Rezept (eRezept) zurückzuführen sein dürfte.

Hemmnisse der Digitalisierung: Der weitere Anstieg von Praxen, die Hemmnisse bei der Digitalisierung sehen, ist laut Barometer dramatisch. Für je knapp zwei Drittel der Praxen sind Umstellungsaufwand, ungünstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse der Digitalisierung und die Fehleranfälligkeit von EDV-Systemen starke Hemmnisse der weiteren Digitalisierung. Hier zeigt sich laut Befragung ein weiterer Anstieg gegenüber dem Vorjahr, insbesondere mit Kosten-Nutzen- Verhältnis, Fehleranfälligkeit und fehlender Nutzerfreundlichkeit um circa zehn Prozentpunkte. Mehr als die Hälfte der Praxen sieht in der fehlenden Nutzerfreundlichkeit digitaler Anwendungen ein starkes Hemmnis – im Befragungsjahr 2019 lag der Anteil noch bei lediglich 36 Prozent, 2020 bereits bei 41 Prozent. Zwar bewerten immer noch mehr als die Hälfte der Praxen Sicherheitslücken als starkes Digitalisierungshemmnis, der Anteil ist aber im Zeitverlauf gesunken – 2019 waren es 60 Prozent.

Erfahrungen mit der Videosprechstunde: In der Pandemie haben Ärzte und Psychotherapeuten das Angebot von Videosprechstunden innerhalb kurzer Zeit ausgeweitet. Nach einem kurzfristig sehr starken Anstieg ging 2021 der Anteil von Praxen zurück, die Videosprechstunden anbieten (ein Fünftel der Arztpraxen statt ein Viertel im Vorjahr). Mit knapp drei Vierteln deutlich häufiger bieten psychotherapeutische Praxen Videosprechstunden an. Damit wird ungefähr das Niveau des Befragungsjahrs 2020 erreicht. Im Allgemeinen halten die Praxen Videosprechstunden vor allem für die Besprechung von Untersuchungsergebnissen sowie für die Anamnese geeignet – dies gilt für fast 60 Prozent beziehungsweise 53 Prozent der ärztlichen Praxen. Demgegenüber halten mehr als drei Viertel der Praxen Videosprechstunden für eher oder sehr schlecht geeignet für die Diagnose- und Indikationsstellung. Skeptischer als im Vorjahr wird die Nutzung von Videosprechstunden für Arzt-Patienten-Gespräche ohne Untersuchung bewertet.

Erfahrungen mit der Telematikinfrastruktur (TI): Die Befragung zeigt, dass im Vergleich zum letzten Jahr habe die Fehlerhäufigkeit im Zusammenhang mit der TI in den Praxen zugenommen hat. Die Störungen machen regelmäßig Neustarts der betreffenden Komponenten erforderlich, was den Praxisbetrieb beeinträchtigt und als Ärgernis empfunden wird. Die Vertragsärzte setzen gesetzliche Vorgaben zur Digitalisierung um, ohne dass deren Nutzen für sie erfahrbar wird. Vielmehr haben sie den Eindruck, dass sie dadurch in ihrem Praxisalltag ausgebremst werden. Der Anteil von Praxen, die von täglich auftretenden Fehlern berichten, hat sich auf 18 Prozent verdoppelt. Die Hälfte aller Praxen bzw. knapp 60 Prozent der Arztpraxen berichtet, dass mindestens wöchentlich Fehler im Zusammenhang mit der TI auftreten.

Angesichts der im Praxisbarometer deutlich werdenden Stimmungslage in den Praxen, forderte Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der KBV: „Die Befragung macht einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass die versprochenen Vorteile der Digitalisierung auch endlich in den Praxen ankommen. Grundlage dafür wird sein, die neuen Anwendungen ausgiebig und mit genügend Vorlauf zu testen.“

Das IGES Institut hat die Erhebung im Auftrag der KBV seit 2018 zum vierten Mal durchgeführt. 2.836 Ärzte und Psychotherapeuten nahmen an der Online-Befragung teil. Das Praxisbarometer versteht sich nach Angaben der KBV als die bislang umfassendste repräsentative, wissenschaftlich begleitete Befragung von Ärzten und Psychotherapeuten zum Stand der Digitalisierung.

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