Anspruch auf Lohnfortzahlung trotz Urlaub im Hochrisikogebiet
"Wer seinen Urlaub in einem als Corona-Hochrisikogebiet ausgewiesenen Land verbringt und im Anschluss an Corona erkrankt, hat seine Erkrankung nicht im Sinne von
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1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz verschuldet, wenn die Inzidenz im gleichen Zeitraum am Wohn- und Arbeitsort
in Deutschland höher liegt. Die Wertung des
56
1 Satz 4
(Infektionsschutzgesetz) findet keine Anwendung", urteilten die Richter.
Die Chefin akzeptierte die AU nicht
Die dreifach geimpfte Frau machte im Januar und Februar 2022 in der Dominikanische Republik Urlaub. Das Land war vom Robert Koch-Institut (RKI) im Januar 2022 als Hochrisikogebiet eingestuft wurde. Am Abflugtag lag die Inzidenz dort bei 377,7, in Deutschland bei 878,9. Rund eine Woche nach der Reise fiel die Inzidenz in der Dominikanischen Republik auf 72,5, in Deutschland stieg sie zeitgleich auf 1.465,4.
Direkt nach der Reise wurde die Frau positiv auf SARS-CoV-2 getestet und reicht bei ihrer Arbeitgeberin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ein. Diese erkannte das Attest nicht an und zahlte für den Zeitraum der AU das Gehalt nicht weiter. Ihr Argument: Die Angestellte sei mangels Symptomen nicht arbeitsunfähig gewesen und habe die Erkrankung durch ihren Reiseantritt schuldhaft herbeigeführt. Daraufhin reichte die Beschäftigte Klage ein - und bekam recht.
Eine Erkrankung ist trotz fehlender Symptome möglich
Dem Arbeitsgericht zufolge ist ein Arbeitnehmer auch dann arbeitsunfähig, wenn er symptomlos positiv auf das Coronavirus getestet ist und nicht im Homeoffice tätig sein kann. " Im Übrigen lässt die Information der Klägerin an die Arbeitgeberin, dass es ihr ganz gut gehe, den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht entfallen", heißt es in dem Urteil. Die gegen die Klägerin angeordnete Quarantäne schließe den Entgeltfortzahlungsanspruch zudem nicht aus.
Maßgeblich sind die Inzidenzwerte im Urlaub und zuhause
Insbesondere habe die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit auch nicht verschuldet. Das setze einen groben Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen voraus und entspreche nicht der Wertung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG , das die Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls für Arbeitnehmer und Selbstständige regelt.
Jedenfalls dann, wenn die Inzidenzwerte im Urlaubsgebiet nicht deutlich über den Inzidenzwerten des Wohn- und Arbeitsortes liegen, verstößt der Arbeitnehmer dem Gericht zufolge nicht in grober Weise gegen sein Eigeninteresse: "Die Reise in das Hochrisikogebiet geht in diesen Fällen nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus."
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
Landesarbeitsgericht KielAz.:5 Ca 229 f/22Urteil vom 27. Juni 2022