Auslandspatienten kommen jetzt aus Polen statt vom Golf
Fast zwei Drittel aller Auslandspatienten kommen aus den 26 anderen EU-Mitgliedsstaaten, die meisten davon aus Polen. Patienten aus den Golfstaaten und Russland spielen in Deutschland hingegen nur noch eine sinkende Rolle. Das zeigen aktuelle Zahlen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS), die dazu jährlich die Entwicklung des Gesamtmarktes betrachtet.
Eine Viertelmillion Patienten aus 182 Ländern kamen 2018 nach Deutschland
So ließen sich 2018 rund eine Viertelmillion Patienten aus 182 Ländern stationär oder ambulant in Deutschland behandeln und bescherten dem deutschen Gesundheitssystem Einnahmen von etwa 1,2 Milliarden Euro. Die Zahlen haben sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert, was vor allem einer gestiegenen Behandlungsnachfrage aus der EU zuzuschreiben ist.
50 Prozent weniger Patienten aus den Golfstaaten seit 2015
Wie die H-BRS berichtet, setzt sich der Einbruch bei den medizinischen Behandlungsreisen der vergangenen Jahre in den wichtigsten Nicht-EU-Ländermärkten ungebrochen fort. Die Nachfrage aus den Golfstaaten ist demnach erneut um 13 Prozent gesunken. Den stärksten Rückgang verzeichneten die Vereinigten Arabischen Emirate mit minus 46 Prozent. Insgesamt hat sich damit die Nachfrage aus den Golfstaaten (GCC-Raum) seit 2015 fast halbiert.
„2019/2020 ist ein weiterer Rückgang im höheren zweistelligen Bereich bereits absehbar“, erklärt Jens Juszczak von der H-BRS. „Dies ist nicht nur Corona geschuldet. Infolge der stetigen Kontroversen um Rechnungshöhen oder Provisionszahlungen ist eine systematische Veränderung im Markt erkennbar. Die Regierungen schicken ihre Patienten zunehmend in andere Länder, und für Deutschland wird nach neuen Verteilungs- und Betreuungsstrukturen, etwa über Staatsfonds oder Versicherungen, gesucht.“
Dienstleister, die bisher die Patientenströme aus den arabischen Ländern gemanagt haben, spielen den Angaben der Hochschule zufolge kaum noch eine Rolle. Immer mehr Kliniken verzichteten auf eine Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen, weil zum einen das Versprechen von vielen Patienten oft nicht gehalten werden könne, zum anderen berge eine solche Geschäftsbeziehung erhebliche Risiken bei der Leistungsvergütung, dem Datenschutz oder der Einhaltung von Einreiseformalitäten.
Die Nachfrage aus der Russischen Föderation sank um 10 Prozent
Aus der Russischen Föderation kamen der aktuellen Auswertung zufolge mehr Patienten als aus allen Golfstaaten zusammen, allerdings sank die Nachfrage insgesamt um 10 Prozent. Positive Effekte hatte dagegen die visumfreie Einreise ukrainischer Staatsangehöriger. Von dem 11-Prozent-Plus an ukrainischen Patienten profitierten vor allem Bayern, Berlin und NRW. Dennoch hat Bayern (-6 Prozent) nach Hamburg (-8 Prozent) am meisten Auslandspatienten verloren. Die meisten Auslandspatienten prozentual hinzugewonnen haben Thüringen (+30 Prozent), Berlin (+13 Prozent) und Sachsen (+11 Prozent).
Vor allem NRW hat von Auslandspatienten profitiert: 2018 haben sich der Auswertung zufolge mehr als 19.000 Auslandspatienten stationär behandeln lassen. Dies entspricht einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von fast drei Prozent. Am häufigsten kam Patienten aus den Niederlanden, Belgien und Polen.
Betrachtet man die reinen Fallzahlen, werde der Nachfrage-Rückgang aus dem Nicht-EU-Raum von der steigenden Zahl der EU-Patienten fast substituiert, erläuterte Juszczak auf Nachfrage der zm. Die EU-Patienten seien allerdings für die meisten Kliniken bei weitem nicht so attraktiv wie russische oder arabische Patienten. Daher hätten sich die außerbudgetären Einnahmen der Kliniken durch die Behandlung von Auslandspatienten meist deutlich reduziert.
Image der Kliniken hat sich in der arabischen Welt verschlechtert
Laut Juszczak zeigt sich dieser Effekt vor allem bei den Patienten aus den Golfstaaten. Ehemals galt diese Zielgruppe als stetig wachsend und lukrativ. Skandale im Bereich Abrechnungsbetrug und Provisionen an Vermittlungsagenturen kratzten jedoch nachhaltig am Image der deutschen Kliniken in der arabischen Welt. Daher kämen jetzt immer weniger arabische Patienten nach Deutschland. Durch Corona und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen habe sich diese Entwicklung noch verschärft.
In Russland sei es ähnlich. Die Russische Föderation sei 2015 mit fast 11.000 stationären Patienten die Nummer 1 der Herkunftsländer gewesen. Bis 2018 hätten sich die Patientenzahlen halbiert. Die Gründe seien vielschichtig: Dazu gehöre etwa die Ukraine-Krise, die Russlandpolitik der Bundesregierung, der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes, der Währungsverfall oder sinkende Reallöhne.