Hamburger Zahnärztetag

Bruxismus und Zahnverschleiß

ck
Zahnmedizin
Was ist Bruxismus, wie identifiziere ich die Patienten und welche Therapien sind sinnvoll? Rund 400 Zahnärzte und Zahnärztinnen interessierte das Thema auf dem Hamburger Zahnärztetag. Die Veranstaltung war seit November ausgebucht!

Aus neurologischer Sicht stellt Bruxismus eine Pathologie der Kaumuskelbewegungen (Rhythmic Masticatory Muscle Activity (RMMA)) bei ansonst Gesunden dar, verdeutlichte Leibniz-Preisträger Prof. Chrisitan Büchel aus Hamburg in seinem Festvortrag.

Die Erwartung moduliert den Schmerz

Oft bestehe eine Komorbididät mit Restless Legs oder Morbus Parkinson. Insgesamt 40 Prozent der Betroffenen klagen laut Büchel über orofaziale Schmerzen. Studien und MRT-Messungen haben aber gezeigt, dass man diese Schmerzen zu 20 bis 30 Prozent allein durch die Beeinflussung der Schmerzerwartung seitens der Patienten reduzieren kann. Büchel: "Die Erwartung moduliert den Schmerz."

Bruxismus ist ein Riskofaktor für CMD

Ein Update gab Prof. Dr. Ingrid Peroz aus Berlin. Wie sie ausführte, besteht die höchste Prävalenz zwischen 20 und 30. Sie erzählte, sie habe noch gelernt, dass Bruxismus-Patienten ihre eigenen Strukturen - also ihre Okklusion - quasi selber regulieren würden. Damals lautete entsprechend das Fazit: "Und wenn diese schließlich stimmt, knirscht man auch nicht mehr!"

Peroz: "Heute weiß man natürlich, dass das mitnichten der Fall ist!" Bruxismus werde schließlich auch bei Patienten diagnostiziert, die ohne Zahnkontakt die Kaumuskulatur zu stark beanspruchen, sei aber eben keine Erkrankung, sondern ein Verhalten bei ansonsten Gesunden.

2. Wachbruxismus ist eine Aktivität der Kaumuskulatur während des Wachseins. WB wird charakterisiert als wiederholter oder dauerhafter Zahnkontakt und/oder als Anspannen oder Verschieben des Unterkiefers ohne Zahnkontakt und ist keine Bewegungsstörung bei ansonsten gesunden Individuen.

Prof. Dr. Ingrid Peroz, Zahnärztetag Hamburg 2019

"Bruxismus ist ein Riskofaktor für CMD!", betonte Peroz und nahm damit eine Schlussfolgerung der demnächst erscheinenden und von ihr mitgestalteten Leitlinie vorweg. Aus diesem Grund sollte man CMD-Patienten auf Bruxismus und umgekehrt Bruxismus-Patienten auf CMD untersuchen. Ein typisches Zeichen dafür, dass Bruxismus-Patienten knirschen, sei die Attrition. Häufig gebe es allerdings Mischformen zwischen CMD und Bruximus.

Verlust der Zahnhartsubstanz bis um das 30-Fache

Dass der Verlust von Zahnhartsubstanzen verschiedene Ursachen haben kann, stellte Tagungsleiter PD Dr. M. Oliver Ahlers, Hamburg, in seinem Vortrag heraus. Insbesondere bei einem Zusammenspiel von Attritionen und Erosionen gehe die Zahnhartsubstanz bis um das 30-Fache zurück. Wichtig sei daher, Patienten mit unphysiologischem Zahnverschleiß zu identifizieren und nach Möglichkeit präventiv einzugreifen beziehungsweise konservierend zu beobachten.

Vollkeramische Kronen und kleinere Brücken sind heute klinisch bewährte Therapiemittel. Indikationsbezogen sind Lithium-Disilikat und Zirkoniumdioxid - häufig in monolithischer Form - die Materialien der ersten Wahl. Auch Prof. Dr. Matthias Kern aus Kiel betonte in seinem Vortrag zum Thema "Klinische Bewährung vollkeramischer Kronen und (Adhäsiv-)Brücken", dass die Metallkeramik immer noch den Goldstandard darstellt.

Entscheidend für die Bruchfestigkeit seien Ätztechnik und Klebeschritte, die sich je nach Keramik unterscheiden. "Wenn Sie im Dentin kleben, müssen Sie die erforderlichen Schichtstärken einhalten", appellierte er an die Gäste.

Monolithische Zirkonoxidkeramik: ein Reibeisen im Mund

Beispielhaft stellte er die in den USA gehypte monolithische Zirkonoxidkeramik vor, die Kern zufolge zu erheblich mehr Abrasionen und okklusalem Verschleiß beim Antagonisten führt. "Diese unverblendete Keramik wird in den USA eingesetzt ohne zu polieren. Das heißt, nach einiger Zeit haben die Patienten ein Reibeisen im Mund!"

Fast alle Studien haben Bruxismus-Patienten ausgeschlossen

Über komplexe Restaurationen mit Komposit referierte Prof. Dr. Thomas Attin, Zürich."Die Frage ist, 'Was mache ich bei den Patienten, welche Konstruktion wähle ich?', nicht: 'Wie klebe ich?'", stellte Attin klar. Die Frage, welche Versorgung für Bruxismus-Patienten geeignet ist, sei schwierig zu beantworten, da es keine Evidenz gebe: "Fast alle Studien haben Bruxismus-Patienten a priori ausgeschlossen", erklärte Attin, der in seinem Vortrag insbesondere auf die Möglichkeiten der Anwendung von Kompositen in direkter Technik bei komplexen Situationen einging.

"Indirekte Restaurationen zur Behandlung von Bruxismusfolgen" war das Thema von Prof. Dr. Petra Gierthmühlen, Düsseldorf. Vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels von der Goldokklusion hin zu minimalinvasiven vollkeramischen Rekonstruktionen gab sie anhand von klinischen Fallbeispielen einen Überblick über eine Auswahl der am Markt üblichen CAD/CAM-Systeme, Vollkeramiken und neuen CAD/CAM-Materialien für die Behandlung von Bruxismus-Patienten.

Implantate und abnehmbarer Zahnersatz bei Bruxismuspatienten: Ist die Belastbarkeit wirklich ausreichend?, fragte Dr. Philippe Rieder aus Genf. Aus Rieders Sicht zwingen die starken mechanischen Belastungen den Behandler dazu, Antworten auf diese Probleme zu finden.

Anforderungen für Okklusionsschienen

Dr. Theresia Asselmeyer, Hannover, lotete die Grenzen der diagnosebezogenen Schienentherapie bei Bruxismus-Patienten aus. Dabei beleuchtete sie insbesondere den Einfluss der Okklusion, die laut Studienlage im Einzelfall relevant sein kann. Anhand von Fallbeispielen demonstrierte sie schrittweise den Aufbau der Okklusion, die Eckzahnführung sowie den Einsatz von Äquilibrierungs- (Reflexschiene, Aqualizer, Zentrikschiene) und Positionierungsschienen (Dekompression, Potrusion, Vertikalisation).

Wie sie herausarbeitete, müssen an Okklusionsschienen folgende Anforderugnen gestellt werden: Zum einen müssen sie ausreichende Retentionen und eine passgenauen Sitz haben, zum anderen durch allseitige und gleichmäßige Kontakte zum Gegenkiefer für die Stabilisierung der Okklusion sorgen.

Dr. Peter Wetselaar aus Amsterdam überprüfte klinisch die nach aktueller Forschungslage bekannten Risikofaktoren für Bruxismus: Craniomandibuläre Dysfunktionen (ja), parodontale Probleme (nein), endodontische Komplikationen (vielleicht), Zahnfrakturen (ja), Schäden an direkten und indirekten Restaurationen (vielleicht), Schäden an Implantat-Suprakonstruktionen (ja), Verlust von Implantaten (nein) sowie Zahnabnutzung beziehungsweise Zahnverschleiß (ja, teilweise).

Als Therapie-Weg stellte Wetselaar die aus fünf Schritten bestehende "Multiple P-Therapy" vor:

Pep Talks (Beratung)

Plates (Aufbisshilfe, Schienen)

Pills (Medikamente)

Psychology

Physiotherapy

Im ersten Schritt ist zu klären, ob es sich nur um normale Muskelaktivität handelt oder ob der diagnostizierte Bruxismus so schwerwiegend ist, das er behandelt werden muss. Außerdem sollte der Patient darüber informiert werden, dass er Rauchen, Drogen- und übermäßigen Alkoholkonsum einstellen muss. Ebenso wichtig: eine gute Schlafhygiene.

Wetselaar  "Eine Aufbissschiene ändert die Aktivität beim Schlafbruxismus meist nicht dauerhaft!" Auch Neurotransmitter aus dem Dopamin-Serotonin-System helfen nicht dauerhaft und sollten nur kurzzeitig und bei schweren Fällen eingesetzt werden. Die Effekte von Stressmanagement seien enttäuschend und daher lediglich eine Ergänzung. Das sogenannte Grindcare-Gerät reduziere dagegen nachweislich Bruxismus-Aktivitäten, Muskelschmerzen sowie in der Folge morgendliche Kopfschmerzen. Myofeedback senke den Wachbruxismus.

Die Take Homes Messages

Wetselaars "Take Homes Messages":

  • Bruxismus ist zentral reguliert.

  • Bruxismus  ist Verhalten mit positiven und negativen Folgen!

  • Überdenken Sie die Bewertung von Bruxismus!

  • Denken Sie an die Mehrfach-P-Therapie!

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.