DAK-Gesundheit mahnt dringenden Reformbedarf an

Das Pflegeheim wird zur Armutsfalle

pr
Ein Drittel der Pflegeheimbewohner wird auch 2023 wieder Sozialhilfe beantragen müssen. Bis 2026 werden es voraussichtlich 36 Prozent sein, prognostiziert die DAK-Gesundheit. Reformen seien dringend notwendig.

Für viele Heimbewohner gerät das Pflegeheim zur Armutsfalle: Durch die massiv gestiegenen Kosten in der stationären Pflege erreicht die Belastung der Pflegebedürftigen trotz der jüngsten Reformschritte bereits in diesem Jahr ein neues Rekordniveau. Das geht aus neuen Berechnungen des Bremer Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Heinz Rothgang hervor, der dazu im Auftrag der DAK-Gesundheit ein Gutachten erstellt hat. Trotz deutlich gestiegener Alterseinkünfte werde der Anteil der Bewohner, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, im Laufe dieses Jahres wieder auf ein Drittel anwachsen und bis 2026 voraussichtlich 36 Prozent betragen. Die Krankenkasse fordert dringend von der Bundesregierung, die Sozialhilfequote in Pflegeheimen auf unter 30 Prozent zu begrenzen. Sie hat einen Finanzbedarf von 14 Milliarden Euro für eine umfassende Pflegereform errechnet, dieser erfordere einen fairen Finanzierungsmix aus Steuern und Beiträgen.

Die DAK-Gesundheit weist darauf hin, dass die Eigenanteile in der stationären Pflege kontinuierlich steigen. Einzelne Reformmaßnahmen wie die Einführung von gestaffelten Leistungszuschlägen im Januar 2022 und das im Januar in Kraft getretene Wohngeld-Plus-Gesetz hätten zwar die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen etwas vermindern können. Diese Schritte seien aber nicht ausreichend, um die Kosten durch die enormen Preissteigerungen sowie das Tariftreuegesetz wirksam zu begrenzen, warnte DAK-Chef Andreas Storm. Storm: „Es wird höchste Zeit, dass wir den durch diese Reformschritte gewonnenen Spielraum nutzen, um eine tragfähige und solidarische Reform der Pflegeversicherung auf den Weg zu bringen. Ziel muss es sein, dass weniger als 30 Prozent der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen sind.“

Effekte bisheriger Reformen nur noch 2026 spürbar

Aus dem Gutachten von Rothgang geht hervor, dass ab Mitte des Jahres im Durchschnitt Eigenanteilswerte für die Heimbewohner erreicht würden, die höher als jemals zuvor seien. Für Pflegebedürftige, die weniger als zwölf Monate im Heim lebten, reduziere sich der Eigenanteil um fünf Prozent, er habe aber auch 2022 bei bundesdurchschnittlich mehr als 1.000 Euro gelegen – Tendenz steigend. „Die Entlastungen der jüngsten Reformschritte sind bei den Eigenanteilen schon in diesem Jahr verpufft,“ erläuterte er. Lediglich für die Pflegebedürftigen mit mindestens dreijähriger Pflegedauer im Heim habe die Reform eine Entlastung gebracht, die auch bis 2026 anhalte.

Wie das Gutachten weiter ausführt, wirken sich die Kostensteigerungen auf die Sozialhilfequote (Hilfe zur Pflege) aus: Vor Umsetzung der verschiedenen Reformregelungen seit dem 1. Januar 2022 habe die Quote mit 36,8 Prozent ihren höchsten Wert seit Einführung der Pflegeversicherung erreicht. Dieser Wert sei im vergangenen Jahr durch die Einführung der Leistungszuschläge auf rund 30,5 Prozent reduziert worden. Aber bereits in diesem Jahr werde die Sozialhilfequote trotz einer überdurchschnittlichen Rentensteigerung von mehr als sechs Prozent wieder auf 32,5 Prozent ansteigen. 2026 würden bereits wieder 36 Prozent erreicht, so das Gutachten.

Mögliches Mittel: Senkung der steigenden Eigenanteile

Jedoch lägen die Kosten für die Heimbewohner ohne die ergriffenen Maßnahmen noch weit höher, heißt es weiter. Rothgang betonte, dass die Reformelemente des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) nur einen begrenzten, vor allem aber nur einen temporären Effekt gezeigt hätten. Sollten die Ziele der Pflegeversicherung nicht komplett verfehlt werden, sei daher noch in dieser Legislaturperiode ein nachsteuernder Reformschritt notwendig.

Die letzte Bundesregierung hatte mit dem GVWG einen einheitlichen Eigenanteil für die Heimbewohner beschlossen – mit fünf Prozent im ersten Jahr, 25 Prozent im zweiten Jahr, 45 Prozent im dritten Jahr und 70 Prozent für die Zeit danach. „Es muss deshalb, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, dringend geprüft werden, wie die kontinuierlich steigenden Eigenanteile weiter gesenkt werden können“, forderte DAK-Chef Storm. Nur so sei eine Begrenzung der Sozialhilfequote unter 30 Prozent zu erreichen. Darüber hinaus müsse die ambulante Versorgung gestärkt werden, mahnte Storm: „Damit Menschen gar nicht erst ins Pflegeheim kommen, müssen wir die Pflege in den eigenen vier Wänden viel stärker fördern. Das Pflegegeld sollte noch in diesem Jahr um mindestens zehn Prozent erhöht werden.“ Darüber hinaus forderte er, dass jährlich eine Anpassung der Leistungen an die allgemeine Kostenentwicklung erfolgen sollte. Und: „Wir brauchen das im Koalitionsvertrag beschlossene Entlastungsbudget, also die Zusammenfassung der Kurzzeit- und Verhinderungspflege.“

Urteil: Erste Entlastungen müssen zum 1. August kommen

Die DAK-Gesundheit mahnt eine faire Finanzierung an. Ein wichtiger Punkt sei, einen Finanzierungsmix aus Beiträgen und Steuern zu finden, um damit die Finanzierungslücke in der Sozialen Pflegeversicherung zu schließen. Diese betrage nach Berechnungen der DAK-Gesundheit 14 Milliarden Euro. Storm verwies weiterhin auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022. Demnach muss der Gesetzgeber spätestens ab 1. August diesen Jahres Familien gestaffelt nach Kinderzahl entlasten. „Eine faire, ordnungspolitisch gebotene Finanzierung setzt voraus, dass sowohl die Rentenversicherungsbeiträge pflegender Angehöriger, die Beitragsentlastung der Familien bei der Kinderzahl als auch die Finanzierung der Ausbildungskostenumlage aus Steuermitteln finanziert werden“, führte Storm weiter an.

Die Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, mahnte zum DAK-Gutachten, es sei höchste Zeit, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Schritte zur Dynamisierung der Leistungen in der Pflege zu gehen, um die häusliche Pflege zu stabilisieren. Klein-Schmeink: „Der Wert der ambulanten Sachleistungen verfällt inflationsbedingt deutlich, so dass sich pflegende Angehörige immer weniger professionelle Hilfe leisten können. Das Pflegegeld, von dem diejenigen, die ohne professionelle Unterstützung pflegen, Entlastungen im Alltag für den oder die Pflegebedürftige finanzieren können, ist immer weniger wert.“ Auch der AOK-Bundesverband sieht akuten Handlungsbedarf. Die Pflegeversicherung steuere 2023 auf ein Defizit von 3 Milliarden Euro zu, erklärte die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann vor kurzem in der Presse.

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