Das System ist eine Baustelle
Ganz unter dem Zeichen der aktuellen Bundestagswahl stand der diesjährige Gesundheitswirtschaftskongress in Hamburg. Dort formulierten am 24. und 25. September Akteure aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und der medizinischen Versorgung ihre Erwartungen an die nächste Bundesregierung.
Enttäuscht von Rösler und Bahr
Dabei wurde in den Symposien und Diskussionen bisweilen herbe Enttäuschung über die Arbeit der letzten beiden Verantwortlichen im Gesundheitsministerium, Philipp Rösler und Daniel Bahr (beide FDP), geäußert - vor allem darüber, welche Vorhaben nicht umgesetzt worden seien.
Bei den Teilnehmern aus den unterschiedlichsten Feldern des Gesundheitssystems wurden ähnliche oder sogar die gleichen Themen als dringlich für die nächste Legislaturperiode erachtet.
Wettbewerb um Qualität statt um die besten Preise
Als dringend anzugehende Projekte und Gesetzesvorhaben führte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) unter anderem das Präventionsgesetz, eine Überarbeitung der Pflegeversicherung sowie eine Reform der Krankenhausfinanzierung an. Generell müsse die Qualität der erbrachten medizinischen Leistungen mehr in den Vordergrund gestellt werden. "Es muss einen Wettbewerb um die beste Qualität geben und nicht um die besten Preise“, so die Senatorin.
Der Vorsitzende der Hamburger CDU-Fraktion, Dietrich Wersich, erinnerte daran, dass die Gesundheitspolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt habe. "Dies hatte gute Gründe: Volle Kassen in der gesetzlichen Krankenversicherung, die Wirkung der beschlossenen Reformen unter den Ministern Rösler und Bahr sowie eine insgesamt hohe Zufriedenheit der Deutschen mit ihrem Gesundheitssystem.“ Trotzdem plädierte Wersich für eine „große Koalition der Vernunft“ zwischen Bund und Ländern, um die begonnenen Projekte weiter voranzutreiben.
Potenziale der Gesundheitswirtschaft stärken
Als weitere Herausforderungen für die nächste Legislatur nannte er den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, die Verbesserung der medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten und strukturelle Veränderungen bei den Kliniken. Alles in allem sollten die Potenziale der Gesundheitswirtschaft weiter gestärkt werden und nicht geschmälert.
Eine negative Sicht auf die Arbeit von Ex-Minister Bahr hatte die Kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Heidelberg, Irmtraut Gürkan. „Was wir als Klinik in den letzten vier Jahren erlitten haben, sollte sich nicht wiederholen“.
Um das hohe Versorgungsniveau in den Krankenhäusern halten zu können, müsse man die Arbeitsplätze attraktiver gestalten, so Gürkan. Dies sei eine echte Herausforderung angesichts der Tatsache, dass es erhebliche Nachwuchsprobleme in den medizinischen Berufen gebe, „weil sich die Jugendlichen heute lieber anderen Ausbildungen, etwa im IT-Bereich, zuwenden.“
Ein Plädoyer für die Industrie
Für die Stärkung der Rolle der Industrie als vollwertiger Player im Gesundheitssystem machte sich die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Pharmaunternehmen, Birgit Fischer, auf der Tagung stark. Fischer: „Der medizinische Fortschritt, von dem wir alle profitieren, wäre ohne die Entwicklungen der Pharmaindustrie nicht denkbar.“ Zu oft noch würde Gesundheitspolitik nur mit Sozialpolitik gekoppelt gesehen werden.
Die Treiber des Systems kämen aber aus der Wissenschaft, aus der Forschung und der Produktion, betonte Fischer. Hier müsse man mehr aufeinander zugehen. Daher forderte sie eine engere Verzahnung von Gesundheits- mit der Wirtschaftspolitik. „Die Akteure in der Industrie müssen viel stärker mit einbezogen werden ins System. Dies ist in letzter Zeit viel zu kurz gekommen“, so Fischer.
Akteure misstrauen sich
Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse Dr. Jens Baas bestätigte, dass die Agenda fast überall dieselbe sei. Allerdings würden viele der geplanten Reformpläne im Bereich Qualität scheitern, weil man bei den vielen Beteiligten mit unterschiedlichen Interessenlagen noch keinen Konsens darüber habe erzielen können, was eigentlich Qualität sei und wie man sie misst. Dies setze aber Transparenz voraus. Und gerade hier sei vielfach ein großes Misstrauen der Akteure im Gesundheitssystem untereinander auszumachen, so Baas.