"Der Großteil meiner Familie lebt immer noch in der Ukraine"
Frau Barak, bitte beschreiben Sie Ihre Verbindungen in die Ukraine.Anna Barak:Ich stamme gebürtig aus Charkiw, im Nordosten der Ukraine. Der Großteil meiner Familie lebt immer noch dort. Einigen ist nach Ausbruch des Krieges aber die Flucht nach Deutschland gelungen, unter anderem meinem Großvater.
Das war sicher nicht einfach.Nein. Meine Verwandten haben viele Tage gebraucht, um mit dem Auto durch die ganze Ukraine zu fahren. Es gab viele Staus, teilweise kaum Benzin. Ab 18 Uhr herrschte in vielen Teilen des Landes Ausgangssperre, so dass sie nicht weiterfahren konnten. So erleichtert ich bin, dass meine Familie die Flucht gut überstanden hat, belastet es mich doch sehr mit anzusehen, wie viele Menschen weiterhin in der Ukraine leiden und sterben.
Für Journalisten und Journalistinnen ist es kaum mehr möglich, direkt aus der Ukraine zu berichten. Aus Ihrer subjektiven Sicht: Entspricht die Berichterstattung in den Medien der Realität, die Ihre Familie vor Ort erlebt hat und erlebt?Das ist eine schwierige Frage. Meine Familie hat Bombenangriffe in unmittelbarer Nähe beobachtet und sich daraufhin entschieden, die Ukraine zu verlassen. Ob die Berichterstattung stimmt, können wahrscheinlich die wenigsten beantworten beziehungsweise nur die Menschen vor Ort. Aber die YouTube-Videos, die Ukrainerinnen und Ukrainer vor Ort im Internet posten, sprechen ja ihre eigene Sprache.
Würden Sie kurz beschreiben, wie es Ihren Verwandten nach der Flucht geht?Die lange Strecke mit meinem Großvater, der über 80 Jahre alt ist, zurückzulegen, war eine Herausforderung. Und die Gefühlslage, wenn man seine Heimat verlassen muss, ist natürlich sehr bedrückt. Nach der Ankunft meiner Verwandten hier in Berlin folgten die Behördengänge.
Was ist diesbezüglich alles zu erledigen?
Die Ankommenden müssen registriert werden und sich je nach Situation eine Unterkunft suchen. Dabei unterstützen sie staatliche Stellen.
Wie unterstützen Sie Ihre Verwandten?Mit einer Unterkunft, der Vermittlung eines Deutschsprachkurses und ich begleite sie auf Behördengängen – solche Dinge. Wichtig ist auch Unterstützung bei Bankangelegenheiten, damit finanziell ein selbstständiges Leben wieder gewährleistet ist. Wir hoffen einfach, dass sich alle zurechtfinden werden. Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer wollten nämlich nicht weg aus ihrer Heimat.
Wie geht es für Ihre Familie weiter?Meine Verwandten haben sich, wie gesagt, bei einem Deutschkurs angemeldet, weil nicht abzusehen ist, wie lange ihr Aufenthalt hier in Deutschland dauern wird. Danach werden wir ihnen helfen, Arbeit zu finden. Meine Cousine hat Pharmakologie studiert und wird hier in einer u.a. russisch-sprachigen Apotheke aushelfen. Sie beherrscht die Sprache wie die meisten Menschen in der Ostukraine.
Ein ganz anderes Thema: Haben Sie Informationen, wie es um die zahnmedizinische Versorgung in der Ukraine steht?Von meiner Familie habe ich gehört, dass die zahnmedizinische Versorgung in der Ukraine bisher gut war. Zurzeit werden wahrscheinlich die Notfallversorgung und die Schmerzbehandlung mehr im Zentrum stehen – sofern die Praxen überhaupt geöffnet haben. Wenn die Zeit reif ist, werden auch Themen wie Ästhetik wieder an Wichtigkeit gewinnen. Selbstverständlich kann das aber zurzeit nicht die Priorität sein.
Was ist aus Ihrer Sicht eine gute Möglichkeit, den Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen?Ich denke, Anlaufstellen für erste humanitäre Hilfe sind wichtig – und Wohnraum. Danach folgt die Hilfe bei der Integration sowie die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Und irgendwann wird es dann um den Wiederaufbau der Ukraine gehen. Denn viele Geflüchtete möchten wieder zurück nach Hause, um ein friedliches Leben wie bisher leben zu können.
Die Zahnärztin Anna Barak, 32 Jahre, wurde in Charkiw in der Ukraine geboren und immigrierte 1991 mit ihren Eltern nach Deutschland. Sie studierte Zahnmedizin an der Charité und arbeitet als angestellte Zahnärztin in Berlin.