"Der logistische Aufwand war riesig!"
Frau Dr. Kaschke, Menschen mit Behinderung gehören zur Hochrisikogruppe für Karies- und Zahnfleischerkrankungen, inwiefern kann das Special Smiles Programm hier etwas bewirken?
Dr. Imke Kaschke:Das Zahn- und Mundgesundheitsprogramm wendet sich mit niedrigschwelligen Angeboten direkt an die Zielgruppe von Special Olympics-Menschen mit geistiger Behinderung. Und dass sind nicht nur Angebote für unsere Athleten während der Sportwettbewerbe, sondern inzwischen auch regionale Angebote für Teilnehmer in Wohneinrichtungen und Werkstätten.
Zum Einsatz kommen dabei Informations- und Lernmaterialien in Leichter Sprache sowie Methoden, die Menschen mit geistiger Behinderung befähigen sollen, Gesundheitsrisiken zu erkennen und vermeiden zu erlernen. Ich denke hier zum Beispiel an die Zahnputzanleitung in Leichter Sprache, aber auch an das Gewinnen von Multiplikatoren aus der Zielgruppe.
Es geht zunächst um die Demonstration der richtigen Zahnputztechnik über Empfehlungen zu geeigneten Zahnbürsten und Hilfsmitteln bis hin zu Fragen der zahngesunden Ernährung. Bei Bedarf werden natürlich auch Empfehlungen zu notwendigen zahnärztlichen Behandlungen gegeben. Alles in lockerer und entspannter Atmosphäre, die eben auch Berührungsängste abbauen kann.
Alles zielt darauf, Menschen mit geistiger Behinderung zu unterstützen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Um das nachhaltig zu gewährleisten, werden auch Angehörige und Betreuer mit einbezogen. Gerade bei den regionalen Angeboten kann das regelmäßig wiederholt werden. Nur so werden wir langfristig Verbesserungen erreichen können.
Wie groß war der logistische Aufwand für den Special Smiles-Bereich in Hannover?
Riesig! Circa 150m2Fläche im Gesundheitszelt gehören zum Zahn- und Mundgesundheitsprogramm mit einem Untersuchungsbereich mit fünf Plätzen und dem Zahnputzbrunnen. Vor dem Zelt ist ein Anhänger mit dem Kariestunnel aufgebaut.
Viele Materialien kommen aus dem Lager in der Berliner Bundesgeschäftsstelle von SOD und wurden zusammen mit Dingen des gesamten Gesundheitsprogramms in einem XL-Sprinter nach Hannover transportiert, anderes wurde mit Unterstützung der Zahnärztekammer Niedersachsen vor Ort zur Verfügung gestellt.
Die Vorbereitungen laufen seit vielen Monaten, viele weitere Helfer sind involviert. Vom Beladen des Fahrzeugs in Berlin bis zum Entladen Hannover, der Zeltaufbau, der Transport benötigter Ausstattungsgegenstände wie Tische und Stühle, der Stromverkabelung, Wasseranschlüsse für den Putzbrunnen, Internetzugang, Computer, und bishin zur Organisation der Unterbringung, Verpflegung der vielen Helfer!
Bei Special Smiles werden mehr als 50 Helfer dabei sein. Neben langerfahrenen und vielfach beteiligten Kollegen auch neue Zahnärzte(innen) aus Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, NRW und Niedersachsen, die zukünftig Special Smiles die SO-Landesverbände regional leiten werden. Und sogar ein internationaler Kollege aus Israel, der dort Special Smiles aufbauen wird.
###more### ###title### Danach sind die Helfer mit dem 'Special Olympics-Virus' infiziert!" ###title### ###more###
Danach sind die Helfer mit dem 'Special Olympics-Virus' infiziert!"
Welche Fähig- und Fertigkeiten sollten Zahnmediziner, Studenten und zahnmedizinisches Fachpersonal mitbringen, die sich bei Special Smiles engagieren möchten?
Vor allem Empathie, soziale Kompetenz und Aufgeschlossenheit sind gefragt. Eigentlich Dinge, die in medizinischen Berufen selbstverständlich sind. Die Athleten mit ihrer Offenheit und Lebensfreude überzeugen die Helfer-Zahnärzte, Mitarbeiter und Studenten schnell (...).
Fachlich werden alle Helfer vorab über die besonderen Belange der zahnmedizinischen Prävention und Betreuung von Menschen mit Behinderung fortgebildet. Die praktischen Erfahrungen helfen, Berührungsängste auf beiden Seiten abzubauen. Und nach einem solchen Event sind die Helfer mit dem „Special Olympics Virus“ infiziert und immer wieder gern dabei.
Welche Schwerpunkte werden denn in den Fortbildungen vermittelt?
Wir vermitteln neben allgemeinen Informationen zu Special Olympics auch Wissen zum Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung sowie den Einsatz Leichter Sprache. Darüber hinaus geht es dann fachspezifisch natürlich besonders um Fragen präventiv zahnmedizinischer Maßnahmen für Menschen mit Behinderung, damit die Helfer beraten und individuelle Empfehlungen geben können. Die Zahnärzte werden auf die Untersuchungen und die Erhebung der zahnärztlichen Befunde vorbereitet, damit diese nach einheitlichen Kriterien erfolgen und vergleichbar sind.
Sie führen eine Screening-Statistik: Was lesen Sie aus den Daten ?
Wir wollen natürlich wissen, inwieweit die Angebote des Special Smiles Programms angenommen werden und langfristig zu Verbesserung der Zahn- und Mundgesundheit der Teilnehmer führen. Da bei allem natürlich der Datenschutz gewährleistet werden muss, stehen derzeit vor allem Durchschnitttsergebnisse der Teilnehmer bestimmter Altersgruppen der jeweiligen Veranstaltungen zur Verfügung.
Künftig streben wir ein Follow up an, um die Nachhaltigkeit der Angebote verfolgen zu können. Das ist aber auf jeden Fall ein mehrjähriger Prozess, der besondere Sensibilität im Umgang mit den Daten erfordert. Es gibt erste Tendenzen, die bei Special Smiles-Teilnehmern der Nationalen Sommerspiele seit 2010 auf einen Rückgang des Anteils der Athleten mit Zahnfleischentzündungen schließen lassen.
Und was wird alles statistisch erfasst?
Es werden zunächst international vergleichbare Daten über den Zahn- und Mundgesundheitszustand erhoben, die zu zur weltweit größten Datensammlung zum Gesundheitszustand für Menschen mit geistiger Behinderung gehören. Bei dieser klinischen Untersuchungen steht die Erhebung populationsstatistischer Daten im Vordergrund. So wird das Vorliegen behandlungsbedürftiger und fehlender Zähne ermittelt und das Auftreten entzündlicher Veränderungen der Gingiva erfasst.
Auch vorhandene Fissurenversiegelungen und Zahntraumata sowie das Auftreten von Fluorose werden berücksichtigt. Darüber hinaus wird auch der Bedarf einer zahnärztlichen Behandlung bestimmt. In Deutschland werden zusätzlich individualspezifische DMS-konforme Daten erhoben, also ein kompletter zahnärztlicher Befund, ein Plaqueindex und Angaben zu prothetischen Versorgungen.
Nach der Datenlage benötigt jederzweite untersuchte Athlet eine zahnärztliche Behandlung.
Das sind natürlich Durchschnittsergebnisse. Es betrifft vor allem Teilnehmer in Erwachsenenalter, wo die präventiven Maßnahmen nicht mehr seitens der gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden und Gruppenprophylaxe nicht mehr stattfindet. Einmal Zahnsteinentfernung im Jahr reicht dann eben nicht! Oft sind dann gingivale oder sogar parodontale Behandlungen erforderlich.
Deshalb sind lebenslang regelmäßige zahnmedizinische Prophylaxemaßnahmen notwendig. Der Startschuss dafür ist gefallen und wir setzen auf die Regelungen des im Versorgungsstrukturgesetz beschlossenen neuen §22a im SGB V mit den Maßnahmen zum zahnärztlichen Präventionsmanagement für Menschen mit Behinderung.
Die Fragen stellten Daniela Goldscheck & Sara Friedrich.
Special Smiles ist eine Disziplin von Healthy Athletes , dem Gesundheitsprogramm von Special Olympics. Es dient der Prävention und Gesundheitsförderung, der Verbesserung der Trainings- und Wettbewerbsfähigkeiten sowie dem besseren Gesundheitsbewusstsein von Menschen mit geistiger Behinderung im Alltag. Das Programm umfasst Angebote für kostenlose, umfassende Beratungen und Kontrolluntersuchungen, die alle Athleten bei den Special Olympics Hannover 2016 in Anspruch nehmen können. Während der Nationalen Sommerspiele wird Healthy Athletes unter Leitung der jeweiligen Clinical Directors in sechs Gesundheitsdisziplinen angeboten.
Die Eröffnung des Gesundheitsprogramms findet am Dienstag, 7. Juni auf der Olympic Town Bühne statt.Mehr Informationen zum Programm finden Siehier.