Keine Verbindlichkeit der Maßnahmen, keine Kommunikationsstrategie, keine Zuständigkeiten

Deutschland drastisch unvorbereitet auf extreme Hitze!

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Gesellschaft
Deutschland ist auf diese extreme Hitze mit Temperaturen von über 40 Grad sehr schlecht vorbereitet: Eine gestern veröffentlichte Arbeit dokumentiert erschreckende Versäumnisse in der hiesigen Hitzevorsorge.

„Deutschland ist auf extreme Hitzeereignisse wie einen Hitzedom und anhaltende Temperaturen von mehr als 40 Grad bislang unzureichend vorbereitet“ – zu diesem Schluss kommen Experten der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) in einer neuen Analyse.

Hitzeereignisse werden bei uns nicht als Katastrophen eingestuft

„Während andere Länder bereits katastrophale Hitzewellen erlebt haben – und das sind längst nicht mehr nur die Länder im Süden Europas –, fehlen in Deutschland grundlegende Vorbereitungen für solche Extremereignisse“, betont Studienleiter Prof. Clemens Becker vom Geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg.

Im Sommer 2003 gab es in Deutschland eine Hitzewelle mit geschätzt 7.600 hitzebedingten Todesfällen, heißt es in dem Bericht. Doch hielten weniger als 20 Prozent der deutschen Bevölkerung den Klimawandel aktuell für ein vorrangiges Problem.

Das spiegele sich auch in den politischen Maßnahmen wider: „In zuletzt nur 25 von mehreren tausend Kommunen gibt es derzeit Hitzeaktionspläne, die zudem kaum oder keine Maßnahmen für extreme Hitzeereignisse wie einen „Hitzedom“ enthalten“, erklärt Becker. Die meisten Regionen in Deutschland seien auf Extremhitze nicht vorbereitet. "Wären sie es, könnten sie in Zukunft zehntausende Todesfälle verhindern.“

„Wenn keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen werden, können in extremen Hitzefällen zehntausende Todesfälle binnen weniger Tage die Folge sein – und die wären zu vermeiden.“

Markus Gosch, DGG-Präsident

Das Problem: Extreme Hitzeereignisse werden den Forschenden zufolge in Deutschland rechtlich nicht als Katastrophen eingestuft, was verbindliche Maßnahmen erschwert. Viele Vorkehrungen seien nur freiwillig und nicht verpflichtend.

„Es fehlen klare Zuständigkeiten und konkrete Pläne, zum Beispiel für Evakuierungen, Beschäftigungsverbote im Freien oder Urlaubssperren im Gesundheitswesen“, schreiben die Autoren. Zudem sei die Kommunikation mit der Bevölkerung oft nicht ausreichend geplant oder koordiniert.

Die Datenanalyse zeige klar, dass ältere Menschen überproportional von hitzebedingten Todesfällen betroffen sind. Bei älteren und hochaltrigen Personen seien vor allem physiologische Risikofaktoren zu beachten:

  • verminderte Temperaturregulation,

  • reduziertes Durstempfinden,

  • Medikamenteninteraktionen bei Hitze,

  • häufige Vorerkrankungen (Herz-Kreislauf, Niere),

  • eingeschränkte Mobilität

    sowie kognitive Beeinträchtigungen.

Besonders betroffen seien zudem Menschen mit chronischen Krankheiten – körperlich und psychisch – sowie Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere. Auch Menschen, die im Freien arbeiten, wie beim Bau und in der Landwirtschaft, oder Obdachlose können demnach besonders betroffen sein.

Hitzedom: Daten aus Deutschland im weltweiten Vergleich

Vom Wetterphänomen eines Hitzedoms sprechen Experten, wenn eine starke Hochdruckzone wie eine Kuppel wirkt und dadurch die Hitze über einem Gebiet quasi einschließt. Dies führt zu lang anhaltenden, extrem hohen Temperaturen (oft über 40 Grad Celsius), Trockenheit und einer erhöhten Gefahr für Mensch, Natur und Infrastruktur. In den vergangenen vier Jahren gab es in Regionen wie Arizona (USA), Indien, Saudi-Arabien, Australien und Kanada Hitzewellen mit Temperaturen von über 40 Grad Celsius. Die Dauer dieser Hitzewellen reichte von 14 Tagen (Vancouver) bis zu mehr als drei Monaten (Arizona). Besonders der Hitzedom in Vancouver, Kanada, 2021 war ein Weckruf: Dort wurden fast zwei Wochen Temperaturen von bis zu 49 Grad Celsius gemessen, was zu zahlreichen Todesfällen führte.

Das fordern die Experten

Für die Praxis raten die Experten: „Vorbereitungen auf einen Hitzedom müssen mit einem Vorlauf von mehreren Monaten erfolgen, Hitzeaktionspläne müssen weiterentwickelt werden, extreme Krisenszenarien müssen explizit aufgeführt werden und in Ballungszentren wie Rhein-Main, dem Ruhrgebiet oder Berlin müssen zentrale Notaufnahmen auf die Versorgung von vielen Patientinnen und Patienten mit Hitzeschlag vorbereitet sein.“

Angezeigt sei eine präventive Hitzevorbereitung statt reaktive Krisenreaktion:

  • Extreme Hitzeereignisse sind als Naturkatastrophen zu definieren.

  • Alle Hitzeaktionspläne mit Einbeziehung extremer Szenarien sind sofort zu überarbeiten.

  • Krisenstäbe müssen eingerichtet werden, um im Ernstfall schnell reagieren zu können.

  • Notaufnahmen in Krankenhäusern müssen auf viele Hitzschlag-Patientinnen und -Patienten vorbereitet werden.

  • Gezielter Datenabgleich zwischen Kranken- und Pflegekassen, um Risikopersonen gezielt zu schützen.

  • Mobile Einsatzteams für besonders gefährdete Personen etablieren.

  • Mögliche Urlaubssperren oder Urlaubsabbruch für Beschäftigte im Gesundheitswesen einplanen.

  • Geschulte Laieneinsatzhelfer der Hilfsorganisationen aktivieren.

  • Gekühlte Räume in Stadtteilen sollten gekennzeichnet und zugänglich gemacht werden.

  • Evakuierungen in besonders gefährdeten Stadtteilen müssen vorbereitet werden.

  • Zeitlich befristete Beschäftigungsverbote für planbare Außentätigkeiten ermöglichen.

1.400 Krankenhausbehandlungen wegen Hitze pro Jahr

Wie das Statistische Bundeamt meldet, führten in Deutschland Hitzschläge, Sonnenstiche und andere durch Hitze oder Sonnenlicht gesundheitliche Schäden im Durchschnitt der Jahre 2003 bis 2023 zu rund 1.400 Krankenhausbehandlungen pro Jahr.

2003, 2015 und 2018 zählte der Deutsche Wetterdienst (DWD) deutschlandweit die meisten Hitzetage seit den 1950er Jahren. Die meisten stationär behandelten Hitzeschäden gab es im Jahr 2003 mit 2.600 Fällen bei 19,0 Hitzetagen – gefolgt von gut 2.300 hitzebedingten Krankenhausbehandlungen bei 17,6 Hitzetagen 2015. 2018 gab es rund 1.600 hitzebedingte Krankenhausbehandlungen bei 20,4 Hitzetagen. 2023 verstarben 37 Menschen an Schäden durch Hitze und Sonnenlicht.

Becker, C., Griebe, T. & Weingart, C. Hitzedom in Deutschland und wie gut wir darauf vorbereitet sind. Z Gerontol Geriat (2025). doi.org/10.1007/s00391-025-02459-9

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