"Die Forderung nach einer Maskenpflicht kommt zur Unzeit"
KBV-Chef Dr. Andreas Gassen zog im Rahmen einer Online-Pressekonferenz Bilanz: „Sechs von sieben COVID-19-Patienten werden in Deutschland ambulant versorgt, im Unterschied zu anderen Ländern, in denen Krankenhäuser derzeit die gesamte Last abfedern müssen.“ In Sachen Intensivbetten sei Deutschland bestens versorgt: „Wir haben insgesamt rund 12.000 Intensiv- und Beatmungsbetten, das ist mehr, als die meisten anderen Länder haben.“
Sorge um Patienten, die sich nicht mehr zum Arzt trauen
Sorge machen ihm jene Menschen, die sich derzeit nicht mehr zum Arzt trauen: „Viele Patienten, die Herz- oder zum Beispiel Schlaganfall-Symptome haben, gehen nicht zum Arzt, weil sie Angst vor Corona haben.“ Dabei seien diese Krankheiten für jeden eine „extrem bedrohliche Erkrankung“. Der KBV-Vorstand mahnt: „Wir müssen unser Augenmerk darauf legen, dass wir nachher nicht mehr Tote aus Kollateralschäden haben als wegen Corona selbst.“ Der nächste wichtige Punkt sei, die Regelversorgung von der COVID-19-Versorgung zu separieren. „Wir müssen die Hochrisikopatienten von den COVID-19-Patienten trennen, das wird mit Nachdruck bundesweit in den Praxen umgesetzt.“
Derzeit gibt es nicht ausreichend Schutzmasken
Auch das Thema Masken bereitet Gassen Sorgen: „Wir bekommen im Moment Lieferungen nicht in den Mengen, die wir uns wünschen würden. Es besteht die große Gefahr, dass Praxen vom Netz gehen müssen, wenn sie nicht mit Schutzmaterialien versorgt werden." Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, zog Bilanz: „Wir haben in kurzer Zeit viel möglich gemacht, darunter zum Beispiel 20 Vereinbarungen zur Praxiserleichterung. Zudem haben wir rund eine Million Schutzmasken beschafft.“
Erst das medizinische Personal, dann die Bevölkerung
Auch zum Thema Sinnhaftigkeit von Masken für die Bevölkerung hat Gassen eine klare Meinung: „Die WHO sagt, dass es diesbezüglich keine wirklich gute Datenlage gibt. Ob das Tragen von Masken hilft oder nicht, wir haben derzeit nicht ausreichend Schutzmasken. Es ist zurzeit zwingend notwendig, dass alles Personal, das mit Kranken zu tun hat, damit ausgestattet wird. Wenn wir ausreichend Masken haben, kann man über das Tragen von Masken von der Bevölkerung reden.“
Zwar würden wieder ausreichend Masken zum Beispiel in China hergestellt, das Problem sei die schwierige Lieferung nach Deutschland. Eine Maskenpflicht wie zum Beispiel in Jena geplant, komme „zur Unzeit“. Gassens Einschätzung: „Wir halten das im Moment nicht für sinnvoll.“
Schelte für Söder, Laschet und Esken
Schelte gab es vom KBV-Vorstand für drei Politiker: die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und die Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU). „Man kann sich nur verwundert die Augen reiben, wenn Frau Esken ankündigt, man müsste das Gesundheitssystem neu überdenken“, sagt Gassen, „das deutsche Gesundheitssystem ist gut aufgestellt, dies nach der Coronakrise ändern zu wollen, ist eine skurrile Schlussfolgerung.“
Auch die politische Entwicklung in NRW und Bayern kritisierte Gassen in der Online-Pressekonferenz. Beide Bundesländer planen Ausnahmegesetze in der Corona-Krise. So kann zum Beispiel in Bayern ein sogenannter Versorgungsarzt Mitarbeit anordnen, NRW will die Zugriffsrechte auf Krankenhäuser und medizinisches Personal erweitern, ist nach Protesten der Opposition mittlerweile aber zurückgerudert.
„Es ist beängstigend, dass bei einer nationalen epidemischen Lage in Kleinstaaterei verfallen wird, das halten wir für besorgniserregend“, rügte Gassen. „Bürger können landauf landab sicher sein, eine ähnliche Versorgung zu bekommen. Was in Bayern passiert, halten wir für hochproblematisch, wir können auch keinen Grund dafür erkennen. Es ist befremdlich anzunehmen, dass man Ärzte und anderes Personal meint, verpflichten zu können. Es gibt wenig zu verbessern außer dass die Kollegen mehr Schutzmaterial brauchen. NRW denkt wohl in ähnlicher Richtung, aber da scheint es zu einer gewissen Besinnung gekommen zu sein, das Gesetz wurde noch einmal in die Beratung genommen.“ Gassen: „Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, sich politisch zu profilieren.“
Kosten: "Kaffeesatzleserei"
Zum Problem der finanziellen Auswirkungen, die die aktuelle Lage langfristig auf Arztpraxen haben wird, sagt der KBV-Vorstand: „Die Zahlen sind derzeit nicht absehbar, Zahlen wären Kaffeesatzleserei.“ Der Rettungsschirm sei „unabdingbar“, er gehe davon aus, dass die Arztpraxen finanzielle Hilfen erhalten werden. „Uns wurde Honorarstabilität zugesichert und wir gehen davon aus, dass es gilt. Praxen werden trotzdem Verluste erleiden. Man wird sich eines Tages verwundert die Augen reiben, was das alles gekostet hat.“
Intensivbetten in Europa