"Die meisten Termine werden annulliert!"

mg
Gesellschaft
Griechenland beherrscht die Schlagzeilen. Welche Auswirkungen der drohende Grexit auf die zahnmedizinische Versorgung und die Arbeit der Zahnärzte im Land hat, berichtet Dr. Iris Berger-Mirtakis von Kreta.

Frau Dr. Berger-Mirtakis, welche Auswirkungen hat die aktuelle Verschärfung der Finanzkrise in Griechenland auf Ihren Alltag als Zahnmedizinerin auf Kreta?

Die derzeitige Situation - die Banken sind seit zehn Tagen geschlossen, Auszahlungen pro Tag auf 60 Euro begrenzt, die Rentner haben eine einmalige Auszahlung von 120 Euro bekommen - wirkt sich wie folgt auf unseren Berufszweig aus: Die meisten bestehenden Termine werden annulliert, da wir ja direkt und meist in bar bezahlt werden. Zahnärztliche Versorgung war hier noch nie eine Kassenleistung.

Seit zehn Tagen machen wir eigentlich nur noch Not- beziehungsweise Schmerzdienst - solange der Vorrat an Dentalprodukten und Einwegmaterialien noch reicht. Da Griechenland eigentlich nichts produziert, sind wir auf Produkte aus dem Ausland angewiesen, die derzeit aber nicht bestellt und bezahlt werden können. Es ist ein eigenartiges und fremdes Gefühl, eine Visakarte in der Hand zu haben, die trotz Kontoguthaben nicht mehr funktioniert.

###more### ###title### Junge Zahnmediziner überlegen, ihre Praxen auf Kreta aufzugeben. ###title### ###more###

Junge Zahnmediziner überlegen, ihre Praxen auf Kreta aufzugeben.

Welche Auswirkungen hat die Situation auf den Berufsstand im Land?

Wie ich von vielen Kollegen gehört habe, ergibt sich in nahezu allen Praxen das gleiche Bild: Geld für zahnärztliche Versorgung auszugeben ist momentan zweitrangig. Viele, hauptsächlich junge Zahnmediziner, erwägen durchaus, im europäischen Ausland zu arbeiten und ihre Praxen hier auf Kreta zumindest übergangsmäßig aufzugeben.

Katastrophale Versorgungssituation im Land

Wie stellt sich aus Ihrer Sicht die aktuelle zahnmedizinische Versorgungssituation im Land dar?

Es gibt in der Präfektur Heraklion etwa 340 Zahnärzte, die aber alle privat arbeiten, die Kosten für die Patienten sind oft zu hoch, deshalb ist der Besuch beim Zahnarzt finanziell oft nicht machbar. Dadurch ist die zahnmedizinische Versorgungssituation oft katastrophal und es wird immer schlimmer. Ich kann das durchaus beurteilen, da ich bereits seit 28 Jahren hier auf Kreta lebe und arbeite.

Es gibt durchaus junge Patienten, bei denen ich bereits reihenweise Extraktionen und endodontische Therapien vornehmen muss. Natürlich ist danach die prothetische Versorgung nicht bezahlbar - und das bei einem Preis von 200 Euro pro Metallkeramikkrone. Derzeit kümmere ich mich auf freiwilliger Basis um die kleinen Bewohner des SOS Kinderdorfs. Bei nahezu allen Kindern müssen bereits Zähne entfernt werden, zu gesunder Ernährung und Zahnhygiene kann ich diese jungen Patienten mithilfe des Pflegepersonals aber bestimmt erziehen.

Notfallpatienten, die versichert sind, können auch im Krankenhaus umsonst behandelt  werden, leider stehen den dort angestellten Zahnärzten nicht immer die notwendigen Materialien zur Verfügung, aber sie bieten mit viel Einfallsreichtum die bestmögliche Behandlung an.

Ältere Menschen können sich eine prothetische Versorgung ihres Lückengebisses oft gar nicht leisten, sie sind dann auf eine neue Institution in Heraklion, eine soziale Zahnarztpraxis, angewiesen. Dort haben Patienten, die nicht versichert sind, eine Chance, behandelt zu werden. Leider arbeiten dort nur zwei Kollegen und nur an einem Tag in der Woche, die Wartezeit auf einen Termin ist dem entsprechend lang.

Trotz dieser beschriebenen Situation haben die Menschen Hoffnung auf vielleicht wieder bessere Zeiten, auch ich versuche zu helfen, wo ich kann. Das bin ich diesem Land schuldig, das mich vor so vielen Jahren mit Respekt und ohne Vorurteile aufgenommen hat.

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