Elektromobilität mit mächtigem Gefahrenpotenzial
Seit der Einführung von E-Scooter-Sharing-Systemen in vielen deutschen Großstädten im Jahr 2019 wurden vermehrt Unfälle registriert, bei denen besonders häufig das Gesicht beteiligt war. Eine aktuelle Studie aus Hamburg dokumentierte bei 58 Prozent der Verletzten einen Aufprall auf den Kopf oder das Gesicht. Bei alkoholisierten Fahrerinnen und Fahrern waren es sogar 84 Prozent.
Insgesamt 268 Patientinnen und Patienten, die sich zwischen Juni 2019 und Dezember 2021 in einem Hamburger Krankenhaus mit einem E-Scooter-assoziierten Unfall vorstellten, wurden in die Studie einbezogen. Das durchschnittliche Alter der Verletzten lag bei 30 Jahren und ein etwas größerer Anteil war männlich (57 Prozent). 252 der Patientinnen und Patienten sind selbst gefahren. Die übrigen Verletzten (16 Personen) waren entweder Fahrradfahrer, die mit einem E-Scooter zusammengestoßen sind, oder (vorwiegend) ältere Menschen, die beim Spazierengehen über einen Scooter gefallen sind.
Die Mehrzahl der Unfälle ereignete sich am Wochenende. Die meisten Verletzten berichteten von Stürzen aufgrund von Straßen- oder Wetterbedingungen. Es wurden aber auch Kollisionen mit Autos, Fahrradfahrern und Fußgängern sowie mit statischen Gegenständen wie Mülltonnen dokumentiert. In der Kollisions-Gruppe waren die Beteiligten häufig schwerer verletzt als bei Unfällen ohne Kollision.
18 Prozent dentoalveoläre Verletzungen
Verletzungen der oberen Extremitäten waren häufiger als an unteren Extremitäten, während Becken, Wirbelsäule, Brustkorb und Abdomen seltener betroffen waren. Bemerkenswert war die Zahl der Kopf- und Gesichtsverletzungen. Sie lag bei 58 Prozent und erhöhten sich bei alkoholisierten Fahrerinnen und Fahrern auf 84 Prozent. Dabei wurden 107 Verletzungen der Gesichtsweichteile (42 Prozent), 30 Kieferfrakturen (12 Prozent) sowie 45 dentoalveoläre Verletzungen (18 Prozent) festgestellt. In der Kollisionsgruppe kamen Kiefer- oder Gesichtsfrakturen häufiger vor (19 versus 11 Prozent). Rund die Hälfte aller Verletzten Fahrerinnen und Fahrer mussten von einem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen behandelt werden.
Auf Basis der erhobenen Daten fordern die Forschenden sowohl ein Überdenken der Parksituation der E-Scooter, zum Beispiel durch ausgeschriebene Parkzonen, da so die Sturzverletzungen, die vorwiegend Senioren betrafen, möglicherweise reduziert oder verhütet werden könnten. In Anbetracht des erhöhten Risikos für schwere Verletzungen im Gesichtsbereich durch Alkoholkonsum sollte auch ein Alkoholverbot sowie eine Helmpflicht sollte diskutiert werden, lautet ihr Fazit.
Kleinertz H, Volk A, Dalos D. Risk factors and injury patterns of e-scooter associated injuries in Germany. Sci Rep. 2023 Jan 13;13(1):706. doi: 10.1038/s41598-022-25448-z. PMID: 36639664; PMCID: PMC9837749.
Frankreich: 25,9 Prozent der Unfallopfer haben schwere Hirnverletzungen
In Frankreich wurde zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 20. Dezember 2022 eine multizentrische Kohortenstudie unter Verwendung des nationalen Registers für schwere Traumata durchgeführt. Alle Patientenfälle nach Verkehrsunfällen (RTC) mit E-Scootern, Fahrrädern oder Motorrädern wurden in die Auswertung einbezogen. Das primäre Ergebnis war die Schwere des Traumas gemäß der Definition durch den Injury Severity Score (ISS). Zu den sekundären Ergebnissen gehörten die Trends bei der Anzahl der Patienten pro Jahr, ein Vergleich der epidemiologischen RTC-Faktoren, die Schwere der Verletzung, die verwendeten Ressourcen und die Ergebnisse im Krankenhaus.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 5.233 an RTCs beteiligte Patienten aufgenommen (Durchschnittsalter 33 Jahre, 88,5 Prozent Männer). Die Stichprobe umfasste 229 E-Scooter-RTCs (4,4 Prozent), 4.094 Motorrad-RTCs (78,2 Prozent) und 910 Fahrrad-RTCs (17,4 Prozent). Die Zahl der nach E-Scooter-RTCs behandelten Patienten stieg im Untersuchungszeitraum um das 2,8-Fache, während Fahrrad-RTCs um das 1,2-Fache zunahmen und Motorrad-RTCs um das 0,9-Fache sanken. Bei der Aufnahme hatten 36,7 Prozent der E-Scooter-Nutzer einen Blutalkoholgehalt über dem gesetzlichen Grenzwert, 22,5 Prozent trugen einen Schutzhelm.
In Frankreichs Hauptstadt sind Sharing-E-Scooter ab dem 1. September 2023 verboten. Bei einer Bürgerbefragung im April dieses Jahres hatten sich 89 Prozent für ein Verbot ausgesprochen. Die Abstimmungsbeteiligung war gering: Nur 7,4 Prozent der rund 1,3 Millionen zur Stimmabgabe Berechtigten nahmen damals teil.
Unter den E-Scooter-RTCs hatten 45,5 Prozent (Motorrad: 39,7 Prozent / Fahrrad: 47,3 Prozent) der Patienten einen ISS von 16 oder höher. Mit einem Anteil von 25,9 Prozent hatten Patienten mit E-Scooter-RTCs doppelt so viele schwere traumatische Hirnverletzungen (Glasgow Coma Scale ≤8) wie Patienten mit Motorrad-RTCs (11,8 Prozent) und höheren Anteil als Patienten mit Fahrrad-RTCs (22,1 Prozent). Die Sterblichkeit von E-Scooter-RTCs betrug 9,2 Prozent, verglichen mit 5,2 Prozent bei RTC mit Motorrädern und 10,0 Prozent bei RTC mit Fahrrädern.
Schlussfolgerungen der Autoren: Patienten nach E-Scooter-RTC zeigten Verletzungsprofile, die vergleichbar waren mit denen von Personen, die RTCs auf dem Fahrrad oder Motorrad erlitten hatten, wobei der Anteil schwerer traumatischer Hirnverletzungen höher war.
James A, Harrois A, Abback P, et al. Comparison of Injuries Associated With Electric Scooters, Motorbikes, and Bicycles in France, 2019-2022. JAMA Netw Open. 2023;6(6):e2320960. doi:10.1001/jamanetworkopen.2023.20960