Fachgesellschaften fordern Politik zum Einsatz für bessere Ernährung auf
Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) machen Druck auf die Politik für bessere Rahmenbedingungen für ein gesünderes Ernährungsverhalten. Auf der Online-Pressekonferenz zur Diabetes-Herbsttagung am 17. und 18. November in Leipzig forderten sie einen verstärkten Diskurs zum Thema Ernährung. Ziel müsse eine noch breitere Aufklärung sein. Weil das Wissen über eine gesunde Ernährung alleine jedoch offensichtlich nicht ausreiche, müsse auch die Diskussion über eine verbesserte Verhältnisprävention neu geführt werden, hieß es. Diese setze bei den Rahmenbedingungen an, die das Konsumentenverhalten beeinflussen – und wäre ein wichtiges Instrument, um den Griff zu gesundem Essen zu erleichtern.
Prof. Dr. Anja Bosy-Westphal, DGEM-Tagungspräsidentin und Prodekanin an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Kiel, betonte, die Politik hätte mehrere Hebel zur Verfügung, die nur unzureichend genutzt würden. Diese reichten von einer verbraucherfreundlichen Lebensmittel-Kennzeichnung über Werbebeschränkungen für ungesunde Produkte, gerade im Hinblick auf vulnerable Zielgruppen, bis hin zu einer höheren Besteuerung von zuckerhaltigen Softdrinks und einer steuerlichen Begünstigung von Obst und Gemüse.
Das Problem mit hochverarbeiteten Lebensmitteln
Die Ernährungsexpertinnen und -experten wiesen auch auf die Gesundheitsfolgen hochverarbeiteter Lebensmittel hin – wie etwa Diabetes Typ 2. Rund die Hälfte der Kalorien, die in Deutschland konsumiert werden, stammten mittlerweile aus hochverarbeiteten Lebensmitteln, so Bosy-Westphal. Der weit verbreitete Verzehr dieser Produkte habe dazu beigetragen, traditionelle Ernährungsweisen und Mahlzeitenstrukturen aufzuheben. So werde heute oft sehr unregelmäßig und zum Teil bis in die späten Abendstunden hinein gegessen.
Doch nicht nur das Fehlen eines festen Tagesrhythmus könne für die Gesundheit zum Problem werden Vor allem die Zusammensetzung der schnellen Speisen bereite dem Körper Probleme. Viele hochverarbeitete Produkte enthielten sehr viel Zucker Fett, Salz oder schnell verfügbare Kohlenhydrate, so Bosy-Westphal. Diese sprächen das Belohnungssystem im Gehirn an und sorgten dafür, dass sich die Präferenz für süße und zugleich fetthaltige Nahrung immer weiter verfestigt. Eine weitere ungünstige Eigenschaft der meisten hochverarbeiteten Nahrungsmittel sei deren hohe Energiedichte. Bis sich mit ihnen ein Sättigungsgefühl einstellen könne, sei das Kalorienkonto bereits deutlich überzogen.
Bosy-Westphal macht auf die Folgen aufmerksam: Über 50 Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben Übergewicht, jeder fünfte habe sogar Adipositas. Auch bei Kindern und Jugendlichen sind die entsprechenden Werte mit rund zehn beziehungsweise sechs Prozent erschreckend hoch. Die biologischen Zusammenhänge, die der Verbindung zwischen dem Trend zum schnellen Snacken und dem Massenphänomen Übergewicht zugrunde liegen, würden dagegen erst langsam verstanden.
Bislang ist die Koalition tatenlos
Eine hochkalorische, fett-, salz- und zuckerreiche Ernährung gilt als Hauptursache dafür, dass immer mehr Menschen in immer jüngeren Jahren stark übergewichtig oder adipös werden. Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen seien davon und von den damit einhergehenden Folgeerkrankungen besonders betroffen, betonte Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). Hier sei die Politik gefragt, ein Umfeld zu schaffen, dass es Kindern leichter macht, sich gesund zu ernähren und Anreize für Ungesundes einzudämmen.
Nachdem alle Appelle an die Hersteller von Süßwaren und Snacks, die Werbung für ihre Produkte freiwillig zu begrenzen, ergebnislos geblieben sind, habe Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) bereits vor Monaten Eckpunkte für ein Gesetz vorgestellt, das Beschränkungen für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung verbindlich vorschreiben soll, erläuterte Bitzer weiter. Demnach sollte Werbung für Lebensmittel, die nicht dem Nährwertprofil der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprechen, unter anderem wochentags zwischen 17 und 22 Uhr nicht gezeigt werden dürfen. Derzeit tue sich die Regierungskoalition aber schwer damit, den Vorschlag zu unterstützen. Umso wichtiger sei es, das Thema von Expertenseite immer wieder in die Politik zu tragen.