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Fachgespräch "Mundgesundheit bei Migranten"

sf/dg
Nachrichten
Im Bundeskanzleramt diskutierten Experten bei einem Fachgespräch, wie die Mundgesundheit von Migranten in Deutschland verbessert werden kann.

Staatsministerin Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration,  zielte vor allem darauf ab, herauszuarbeiten, welche Themen für ihren Arbeitsstab überhaupt relevant sind. Dabei stellte sie die Rolle sogenannter Sprachmittler heraus, die als Bindeglied zwischen neu angekommenen Migranten und Fachkräften aus dem Gesundheitswesen wichtige Aufgaben wahrnehmen. Sie sprechen die Muttersprache der Flüchtlinge, wohnen schon länger in Deutschland und besitzen Orts- und Systemkenntnisse.

Mit ihrem Budget will Özoğuz vor allem in die Entwicklung von Ehrenamtsstrukturen investieren. Sprachmittler, die vor Ort Migranten zu medizinischen Versorgungsangeboten beraten, fallen für die Staatsministerin genau in diesen Bereich.

Mit Schlüsselpersonen Migranten schulen

Ausgebildet werden die Sprachmittler zum Beispiel imMIMI-Programm(Mit Migranten für Migranten). Das 2003 vom Ethno-Medizinischen Zentrum in Hannover entwickelte Projekt zielt darauf ab, bei Menschen mit Migrationshintergrund die Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu stärken. Langfristig sollen sie in der Lage sein, gleichberechtigt die Präventionsangebote der Regelversorgung wahrzunehmen und Zugang zu relevanten Gesundheitsinformationen zu beanspruchen.

Ramazan Salman hat MIMI entwickelt. Er erklärte, dass "Ernährung und Bewegung" das beliebteste Thema bei den geschulten Migranten ist - deshalb wurde das Thema Mundgesundheit in dieses Modul integriert. 9.000 MIMI-Schulungen wurden seit 2003 durchgeführt.

Das Erfolgsbeispiel Stade

Wie erfolgreich der Einsatz der Sprachmittlern ist, veranschaulichte Dr. Gerhard Pallsch, Amtsleiter im Gesundheitsamt Stade. Er machte mithilfe von MIMI Key-Personen aus, die die Mütter kleiner Migrantenkinder ansprechen und über Mundgesundheit aufklären. Dadurch wurde derdmft-Indexin Stades Brennpunktvierteln über Jahre hinweg deutlich reduziert.  

###more### ###title### Gruppenprophylaxe: essenziell für sozial Benachteiligte ###title### ###more###

Gruppenprophylaxe: essenziell für sozial Benachteiligte

Auch die gruppenprophylaktischen Interventionen sind in Deutschland sehr erfolgreich. "Wir erreichen in den Kitas und Grundschulen mit einer einmaligen prophylaktischen Intervention 80 Prozent der Kinder“, sagte Bettina Berg, Geschäftsführerin derDeutschen Gesellschaft für Jugendzahnpflege (DAJ).Berg warb eindringlich dafür, dass in den Einrichtungen einmal am Tag die Zähne geputzt werden, damit sozial benachteiligte Kinder überhaupt Zahnpflege bekommen.

Migrantenkinder erziehen ihre Eltern

Dass die Kinder durch das Erlernte im Setting „Kita“ oder „Schule“ im Sinne einer umgekehrten Pädagogik geradezu zu den Erziehern ihrer eigenen Eltern werden könnten, betonte der Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Dr. Peter Engel. Das Fachgespräch ist aus seiner Sicht deshalb relevant, weil der gemeinsame Dialog zu großen Lösungen führen kann.

Engel betonte: „Der Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern schafft in diesem Zusammenhang keine neuen Probleme, sondern verstärkt die vorhandenen mundgesundheitlichen Herausforderungen der jetzigen Migrationsgesellschaft.“  Es müsse erreicht werden, dass diese Bevölkerungsgruppe gleichermaßen vom hohen Standard der zahnärztlichen Versorgung und der guten Mundgesundheit in Deutschland profitiert. Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem müssten langfristig abgebaut werden. Engel wünscht sich hier eine zukunftsgerichtete Zusammenarbeit mit den beteiligten Vertretern und eine bessere Datenlage.

Schließlich erklärte er: "Die Veranstaltung heute hat auch die große Bedeutung der Freiberuflichkeit für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung herausgestellt. Denn dort, wo auch das interkulturelle Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient in Takt ist, werden gemeinsam deutlich bessere Ergebnisse erreicht!"

###more### ###title### Einseitiger oder beidseitiger Migrationshintergrund? ###title### ###more###

Einseitiger oder beidseitiger Migrationshintergrund?

Was die Daten aber zeigen: „Mit etwa elf Jahren gleicht sich die Mundgesundheitssituation von Kindern mit und Kindern ohne Migrationshintergrund an“, erläuterte Dr. Liane Schenk von der Charité Berlin. Offenbar Hier schlagen sich die Erfolge aus gruppenprophylaktischen Maßnahmen nieder, analysierte Schenk.

Ausschlaggebend sei, ob das Kind einen einseitigen oder einen beidseitigen Migrationshintergrund hat. Der größte Risikofaktor für ein prekäres Mundgesundheitsverhalten sei die beidseitige Migration und ein niedriger Sozialstatus. Das hätten die Daten derKIGGS Studiegezeigt, bei der 17.000 Kinder von null bis 17 Jahren in der BRD befragt wurden.

Zudem verhalten sich Jungen, ob Migrant oder Nichtmigrant, riskanter als Mädchen. Bei den befragten Migrantenkindern habe sich allerdings auch gezeigt, dass sich ihre Ernährungsmuster durch den erhöhten Konsum zuckerhaltiger Nahrungsmittel negativ wandeln, leben sie erst einmal in der BRD.

###more### ###title### Potenzial der Zahnarztpraxis als Vermittler  ###title### ###more###

Potenzial der Zahnarztpraxis als Vermittler 

„Die Wissenschaft spricht davon, dass wir mehr migrantensensible Zahnmedizin brauchen“, konstatierte BZÄK-Vizepräsident Prof. Dietmar Oesterreich. Er benannte die Sprachbarriere als Kernproblem für die erschwerte Behandlungssituation. Doch erleichterten die vorhandenenAnamnesebögenin verschiedenen Sprachen die Situation.

Zugleich verfügten viele Zahnarztpraxen über Potenzial, was die Verständigung angehe. Konkret sieht er dies bei den Zahnärzten und ZFA mit Migrationshintergrund. Diese Mitarbeiter könnten als Vermittler und Vertrauenspersonen agieren.

Auch das von der BZÄK entwickeltePiktogrammheftfür die Zahnarztpraxis sei ein Hilfsmittel, um einen informierten Konsens zwischen Patient und Behandler herzustellen. Oesterreich warb dafür, Prophylaxe und Aufklärung zum Thema Mundgesundheit für Migranten zu verstärken und dafür, dass kulturspezifische Faktoren im Behandlungsalltag Beachtung finden.

###more### ###title### Die Wissenschaft sitzt nicht im Elfenbeinturm ###title### ###more###

Die Wissenschaft sitzt nicht im Elfenbeinturm

„Schon von Berufswegen sehen sich die Zahnärzte in ihrer ethischen Verpflichtung als Heilberufler in die aktuelle Herausforderung der humanen Aufnahme großer Menschenströme eingebunden, die auf ihrer Flucht nach Deutschland kommen. Die Wissenschaft möchte hier nicht aus dem Elfenbeinturm zuschauen“, versprach im Kanzleramt die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), Frau Prof. Bärbel Kahl-Nieke. „Wir werden unseren Teil dazu beisteuern, unseren neuen Mitmenschen eine angemessene zahnmedizinische Versorgung angedeihen zu lassen“, fuhr sie fort.

Versorgungskonzepte müssen frühzeitig ansetzen

Kahl-Nieke, von Hause aus Kieferorthopädin, verwies auf die Problematik des durchFrühkindliche Kariesbedingten Frontzahnverlusts mit folgenden Sprachentwicklungsstörungen und den einhergehenden Kieferfehlentwicklungen, die insbesondere auf Wachstumseinschränkungen der betroffenen Kiefer basieren. „Hier kommt eine Befund- und Kostenspirale auf uns zu“, mahnte sie.

Besonders wichtig sei aus ihrer Sicht die frühzeitige Einbindung der Kostenträger, gerade auch wenn es um Präventionsmaßnahmen für Migranten geht. Dabei müsse die Prävention integriert angelegt sein im Sinne eines medizinischen und zahnmedizinischen Zugangs und frühzeitig ansetzenden Versorgungskonzepten.

Für die zahnmedizinische Wissenschaft stelle sich die zwingende Aufgabe, einen wissenschaftlich fundierten, wenngleich auch praktischen Ansatz anzubieten. Ein erster Schwerpunkt liege hier in der Aufklärung. Es gehe um die Bedeutung von Prävention und Prophylaxe: „Dazu benötigen wir möglichst rasch einen belastbaren Status quo bei den Neuankömmlingen, denen diese Begriffe ziemlich fremd sein dürften.“

Mit Soziologen, Psychologen, Versorgungsforschern, Medizinern und Präventionsforschern will die zahnärztliche Wissenschaft hierzu einen Gedankenaustausch im Rahmen eines Workshops organisieren. Spätestens dann, wenn die altruistische Hilfsbereitschaft der zahnärztlichen Kollegen abnehme, müsse geklärt sein, welche Maßnahmen überhaupt finanziert werden können.

###more### ###title### Die nächste DMS erhebt auch Daten zur Mundgesundheit von Flüchtlingen ###title### ###more###

Die nächste DMS erhebt auch Daten zur Mundgesundheit von Flüchtlingen

In der nächsten Mundgesundheitsstudie solle der Status von Migranten miterfasst werden. Der DGZMK-Vorstand sowie der DGZMK-Beirat hatten beschlossen, ein Forschungsprojekt zur Mundgesundheit bei Flüchtlingen zu initiieren. „Erfreulicherweise scheinen sich die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung als unsere Partner anzuschließen“, sagt Kahl-Nieke abschließend im Kanzleramt in Berlin. Das sei positiv für das inhaltliche Signal, aber auch für das Forschungsvolumen. Das Forschungsvorhaben werde zeitnah ausgeschrieben.

Für die eGK für Flüchtlinge

Anlässlich der Fachveranstaltung im Bundeskanzleramt sprach sich die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) für bundesweit einheitliche Regelungen bei der zahnmedizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern aus.

„In Flüchtlingsunterkünften, Praxen, auf Ebene der KZVen sowie standespolitisch auf Bundesebene setzt sich die Vertragszahnärzteschaft für eine schnelle und umfassende Versorgung der Flüchtlinge ein. Alle nötigen Ressourcen werden dafür seit Monaten mobilisiert. Durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist die Umsetzung der Versorgung in einigen Ländern bereits erheblich erleichtert und beschleunigt worden. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass dieses Modell möglichst in allen Bundesländern Schule macht“, erklärt der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer.

Seit 2005 ist in Bremen eine solche Regelung in Kraft, Hamburg folgte  2013. Als erste Flächenländer haben Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vor wenigen Wochen die eGK für Flüchtlinge eingeführt.

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