Früher Säuger mit erstaunlich präzisem Biss
Mit gerade einmal 20 Zentimetern Länge gilt das Mauswiesel als das weltweit kleinste heute lebende Raubtier. Der Säuger, den die Paläontologen der Universität Bonn jetzt untersucht haben, dürfte kaum größer gewesen sein. Allerdings ist die Art schon lange ausgestorben: Priacodon fruitaensis lebte vor knapp 150 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als die Saurier die Tierwelt beherrschten und der Siegeszug der Säugetiere noch bevorstand.
Jeder Molar war kaum größer als einen Millimeter
Die Wissenschaftler analysierten in ihrer Studie die Molaren eines fossilen Exemplars, denn diese geben nicht nur Antworten auf die Frage, wovon sich das Tier ernährte, sondern auch zu seiner Stellung im Stammbaum. Bei P. fruitaensis ist jeder Molar kaum größer als einen Millimeter.
Die Bonner nutzten eine spezielle Tomografie-Methode, um hochaufgelöste dreidimensionale Bilder der Zähne anzufertigen. Diese Micro-CT-Aufnahmen werteten sie dann mithilfe einer Spezialsoftware aus. „Bislang war unklar, auf welche Weise die Zähne in Ober- und Unterkiefer genau ineinandergreifen“, erklärt Prof. Dr. Thomas Martin, der an der Uni Bonn den Lehrstuhl für Paläontologie bekleidet. „Wir konnten diese Frage nun beantworten.“
Wie kaute man vor 150 Millionen Jahren?
Bei den Vorläufern der Säugetiere biss Molar 1 des Oberkiefers beim Kauen genau auf Molar 1 des Unterkiefers. Bei weiter entwickelten Säugern sind die Zahnreihen jedoch gegeneinander verschoben. Molar 1 oben trifft daher beim Zubeißen unten genau zwischen Molar 1 und Molar 2 auf, so dass er mit zwei statt mit einem Molaren in Kontakt gerät. Doch wie sah es bei dem frühen Säugetier P. fruitaensis aus?
„Wir haben am Rechner beide Möglichkeiten miteinander verglichen“, erklärt Kai Jäger, der in der Arbeitsgruppe von Thomas Martin seine Doktorarbeit geschrieben hat. „Dabei zeigte sich, dass das Tier wie ein moderner Säuger zugebissen hat.“
Die Wissenschaftler simulierten für beide Alternativen die gesamte Kaubewegung. Bei der ursprünglicheren Variante wäre der Kontakt zwischen Ober- und Unterkiefer zu gering gewesen, als dass die Tiere die Nahrung hätten effizient zerkleinern können. Anders bei der „moderneren“ Alternative: Bei ihr glitten die Schneidkanten der Backenzähne beim Kauen aneinander vorbei wie die Klingen einer Zackenschere, die Kinder heute zum Basteln verwenden.
Eine einmalige Kombination aus Fleisch- und Insektenfresser-Gebiss
Mit seinem Gebiss war es für P. fruitaensis daher ein Leichtes, das Fleisch seiner Beute zu zerschneiden. Ein reiner Fleischfresser war das Tier aber wohl nicht: Seine Backenzähne weisen kegelförmige Erhöhungen auf, ähnlich wie die Gipfel eines Berges. „Solche Höcker eignen sich besonders gut, um Insektenpanzer zu perforieren und zu zerquetschen“, sagt Jäger. „Sie finden sich daher auch bei heutigen Insektenfressern.“ Die Kombination aus Fleisch- und Insektenfresser-Gebiss sei in dieser Form aber wohl einmalig.
Die Höcker sind auch in anderer Hinsicht auffällig: Sie sind in allen Backenzähnen praktisch gleich groß. Dadurch war das Gebiss äußerst präzise und effizient. Diese Vorteile hatten jedoch ihren Preis: Kleine Änderungen in der Struktur der Höcker hätten die Kauleistung vermutlich dramatisch verschlechtert. „Das erschwerte möglicherweise eine Weiterentwicklung des Zahnapparats“, sagt Jäger.
Tatsächlich hat sich diese Art des Gebisses in bestimmten Linien der Evolutionsgeschichte über einen Zeitraum von 80 Millionen Jahren fast unverändert erhalten. Irgendwann sind seine Besitzer aber ausgestorben – vielleicht auch deshalb, weil sich ihre Zähne nicht an veränderte Nahrungsbedingungen anpassen konnten.
Kai R. K. Jäger, Richard L. Cifelli & Thomas Martin: Molar occlusion and jaw roll in early crown mammals; Scientific Reports, DOI: 10.1038/s41598-020-79159-4