Studie der Goethe-Universität Frankfurt

Frühmenschen: Retzius-Streifen geben Einblicke in Lebensgeschichten

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Allgemeine Zahnheilkunde
Forschende konnten anhand der Analyse der Retzius-Streifen im Zahnschmelz die Ernährungsgewohnheiten unserer Vorfahren rekonstruieren.

Wie sich unsere Vorfahren der Art Homo erectus vor Hundertausenden von Jahren auf der Insel Java in Südostasien ernährt haben, konnte jetzt ein interdisziplinäres Team von WissenschaftlerInnen anhand von Zahnschmelz-Analysen herausfinden: Im Laufe eines Jahres wechselten die Frühmenschen von pflanzlicher Nahrung zu Mischkost, waren dabei aber weit weniger vom saisonalen Nahrungsangebot abhängig als zum Beispiel Orang-Utans, die ebenfalls die Insel bewohnten.

Retzius-Streifen spiegeln Ernährungswechsel

Retzius-Streifen markieren das Wachstum unseres Zahnschmelzes. Wie bei allen landlebenden Wirbeltieren wird auch beim Menschen der Zahnschmelz in mikroskopisch kleinen Schichten schubweise angelagert, was die Retzius-Streifen formt. Am Abstand dieser Streifen zueinander ist die Entwicklungsgeschwindigkeit eines Menschen ablesbar. Physiologische Wechsel wie zum Beispiel die Geburt, das Abstillen oder Krankheiten hinterlassen markante Spuren. Die Retzius-Streifen bilden auch den chronologischen Rahmen für die zeitlich-variierende chemische Zusammensetzung des Zahnschmelzes, die wiederum den Wechsel in der Ernährung widerspiegelt.

Strontium-Kalzium-Verhältnis

Zur Analyse des Zahnschmelzes betteten die WissenschaftlerInnen die Zähne in ein Harz ein und schnitten sie dann in hauchdünne Scheiben von 150 Mikrometern Dicke. Anschließend trug ein spezieller Laser Zahnmaterial ab, das mittels laserbasierter Plasmamassenspektrometrie unter anderem auf den Gehalt der Elemente Strontium und Kalzium untersucht wurde, die beide in Zähnen und Knochen enthalten sind. Das Verhältnis von Strontium zu Kalzium (Sr/Ca) ist von der Nahrung abhängig, erklärt Wolfgang Müller, einer der Studienautoren: „Strontium wird – quasi als Verunreinigung des essentiellen Kalziums - vom Körper nach und nach ausgeschieden. In der Nahrungskette führt das dazu, dass das Strontium-Kalzium-Verhältnis von Pflanzenessern über Allesesser bis hin zu Fleischessern kontinuierlich abnimmt.“ Dies konnte das Wissenschaftsteam mit dem Vergleich verschiedener pleistozäner Tierzähne aus Java bestätigen. Bei dem Hominiden Orang-Utan und Homo erectus entdeckten die ForscherInnen im Zeitverlauf Jahreszyklen, in denen sich die Nahrungszusammensetzung änderte: Beide zeigten im Jahresrhythmus Variationen, wobei die regelmäßigen Sr/Ca-„Spitzen“ beim Orang-Utan viel deutlicher ausgeprägt waren als bei Homo erectus.

Jülide Kubat, Erstautorin der Publikation, erklärt: „Diese Peaks deuten auf ein reichhaltiges pflanzliches Nahrungsangebot in der Regenzeit hin, während der im Regenwald zum Beispiel viele Früchte gebildet wurden. In der Trockenzeit mussten vor allem Orang-Utans auf andere Nahrungsquellen umsteigen, die vielleicht Insekten oder Eier einschlossen. Homo erectus dagegen war – so zeigen die weniger ausgeprägten Peaks und niedrigeren Sr/Ca-Werte – als Allesesser und zeitweise Fleischkonsument weniger vom saisonalen Nahrungsangebot abhängig.“ Insgesamt zeige die Analyse, dass die räumlich hochaufgelöste Laser-Analyse von Spurenelementen zusammen mit der Zahnschmelzchronologie einen zeitlich bemerkenswert detaillierten Einblick in die Lebensgeschichte unserer Vorfahren geben kann, erklärt Müller.

Jülide Kubat, Alessia Nava, Luca Bondioli et al., Dietary strategies of Pleistocene Pongo sp. and Homo erectus on Java (Indonesia). Nature Ecology and Evolution (2023) DOI: 10.1038/s41559-022-01947-0

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