Geflüchtete sollen in GKV mit einbezogen werden
Amnesty International und weitere 61 Organisationen haben gestern für alle in Deutschland lebenden Menschen ein Recht auf gleiche Sozialleistungen gefordert. Vor allem sollen Geflüchtete in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung miteinbezogen werden. Außerdem sollten sie ähnliche hohe Leistungen wie das gerade eingeführte Bürgergeld erhalten. Den Appell haben Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Anwaltsverbände unterzeichnet. Das Bürgergeld ersetzt Hartz-IV-Leistungen und wurde zum 1. Januar eingeführt.
Viele Geflüchtete erhielten zum Leben lediglich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – und damit weniger als das neue Bürgergeld, das laut Gesetz das menschenwürdige Existenzminimum sicherstellen solle, argumentieren die Organisationen weiter und fordern gleiche Standards für alle. Das Asylbewerberleistungsgesetz müsse abgeschafft und die Betroffenen in das reguläre Sozialleistungssystem (Bürgergeld beziehungsweise Sozialhilfe) eingegliedert werden.
Auf Kürzungen und Sanktionen soll verzichtet werden
Zu den Forderungen der Organisationen gehört die Einbeziehung geflüchteter Menschen in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei müsse sichergestellt sein, dass auch Menschen ohne Papiere jederzeit ohne Angst vor Abschiebung Zugang zum Gesundheitssystem haben können, sagen sie. Insbesondere müsse ein Anspruch auf Sprachmittlung bei Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen verankert werden. Auf migrationspolitisch motivierte Kürzungen und Sanktionen sollte ausnahmslos verzichtet werden, fordern die Organisationen mit Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2012.
Von Krankheit, Traumatisierung, Behinderung und Pflegebedürftigkeit Betroffene sowie schwangere, alleinerziehende und ältere Menschen und geflüchtete Kinder müssten – entsprechend ihrem Recht aus der EU-Aufnahmerichtlinie – einen Anspruch auf alle aufgrund ihrer besonderen Situation erforderlichen zusätzlichen Leistungen erhalten, heißt es weiter. Ferner fordern die Organisationen die Einbeziehung aller Geflüchteten in die Sprach-, Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsinstrumente des SGB II.
"Asylbewerberleistungsgesetz diskriminiert"
Nach Auffassung der Organisationen unterschreitet das Leistungsniveau des Asylbewerberleistungsgesetzes das sozialrechtliche Existenzminimum erheblich. Die Regelsätze seien niedriger, oft würden Geldleistungen durch Sachleistungen ersetzt, was zu Diskriminierungen führe. Weil Sachleistungen den individuellen Bedarf nie wirklich decken könnten, stellten sie eine drastische Leistungskürzung dar, führen sie weiter an. In der Folge führe die Einschränkung der Gesundheitsversorgung oft zu verschleppter, verspäteter und unzureichender Behandlung, sagen sie.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 geurteilt, dass die Höhe der Asylbewerberleistungen unzureichend war. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stehe deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Jedoch kürzte die Große Koalition (CDU/CSU und SPD) die Leistungen in mehreren Schritten in den Jahren 2014 bis 2019. Die Frist für den Zugang Geflüchteter zu allen GKV-Leistungen wurde von 15 auf 18 Monate verlängert. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2022, dass bestimmte Leistungskürzungen und Sanktionen verfassungswidrig seien. Laut Koalitionsvertrag will die jetzige Ampel-Bundesregierung das Asylbewerberleistungsgesetz überarbeiten.
Zum Hintergrund: Laut Asylbewerberleistungsgesetz ist der Anspruch Geflüchteter zu medizinischen Leistungen (außer bei Menschen aus der Ukraine) eingeschränkt. Danach ist eine medizinische Versorgung im Krankheitsfall (bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen) mit ärztlicher und zahnärztlicher Versorgung zu gewährleisten. Dazu gehört die Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln, sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen. Außerdem sind die amtlich empfohlenen Schutzimpfungen mit enthalten, ebenso wie alle Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt. Nach 18 Monaten haben Asylbewerber den gleichen Anspruch auf medizinische Versorgung wie Sozialhilfeempfänger, so dass faktisch kein Unterschied mehr zu gesetzlich Versicherten besteht. Die Asylbewerber bekommen dann auch eine elektronische Gesundheitskarte.