Expertenpapier übt starke Kritik an Corona-Impfstrategie

"Gravierende politische Fehlentscheidungen"

pr
Gesellschaft
Kritik an der deutschen Corona-Impfstrategie übt ein Expertenkreis um den Gesundheitswissenschaftler Matthias Schrappe. Ihr Vorwurf: Die Konsequenzen gravierender politischer Fehlentscheidungen werden jetzt offenbar.

Eine sich perpetuierenden Aneinanderreihung von Lockdowns

19 Thesen auf100 Seiten

Auf mehr als 100 Seiten und in 19 Thesen breiten die neun Autoren, zu denen auch der Chef des BKK-Bundesverbandes Franz Knieps, der Hamburger Versorgungsforscher Holger Pfaff und der Bremer Arzneimittelversorgungs-Forscher Gerd Glaeske gehören, ihre Empfehlungen aus.

Der Unterscjhied zwischen konkreter Impfung und Impfkampagne

Ihr Ansatz: Weg von der aktuellen Impfdebatte und hin zu einer übergeordneten Betrachtungsweise. Die konkrete Impfung (das heißt, die Entwicklung, Prüfung und Applikation eines oder mehrerer Impfstoffe) ist nach Meinung der Experten klar von einer übergeordneten Impfkampagne zu trennen. Die Kampagne bezieht sich auf die gesamte Umsetzung im Versorgungsalltag und in der Gesellschaft.

Zur der Bewältigung der Impfkampagne (die Autoren sprechen von einer der gewaltigsten Unternehmungen, der sich eine Gesellschaft stellen kann) reiche es nicht bloß aus, einen Impfstoff zur Verfügung zu haben. Man müsse vielmehr die vielfältigen, grundrechtsbezogenen und ethischen Konflikte in der Organisation, Vermittlung, Erfolgskontrolle und Zieldefinition einer solchen Kampagne zum Gegenstand der Überlegungen machen.

Die wichtigsten Thesen der Autoren (in Auswahl):

  • Die Impfung sollte in ein umfassendes Präventionskonzept integriert werden: Impfung und Impfkampagne sollen eine untrennbare Einheit mit allgemeinen Kontaktbeschränkungen und dem Schutz vulnerabler Gruppen bilden.

  • Zu Beginn der Impfkampagne greift die Impfung auf der Ebene der zielgruppenorientierten Prävention ein: Nach schrittweiser Einbeziehung der ganzen Bevölkerung geht die Impfung dann in eine Strategie der allgemeinen Prävention über.

  • Die Lockdown-Politik ist gerade für die vulnerablen Gruppen wirkungslos: Es besteht die paradoxe Situation, dass eine mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbundene Lockdown-Politik durchgesetzt wird, ohne andere Optionen in Betracht zu ziehen und über einen Strategiewechsel nachzudenken. Und das, obwohl die am stärksten Betroffenen - die höheren Altersgruppen und Pflegeheimbewohner - durch einen Lockdown nicht geschützt werden.

  • Die Defizite in der spezifischen Prävention haben sich bisher vor allem im Bereich der Pflegeheime bemerkbar gemacht: Auch mit Start der Impfungen sollten alle präventiven Maßnahmen in Pflege- und Behinderteneinrichtungen, in Kliniken und im ambulanten Versorgungssetting weiter durchgeführt werden (AHA Regeln, das Tragen von FFP2-Masken, das regelhafte Testen vor allem von eintreffenden Besuchern, Beschäftigten und Leistungserbringern).

  • Auch eine wirksame Impfung muss im Alltag einer Impfkampagne bestehen und umgesetzt werden: Gerade die erste Phase der Impfkampagne, nämlich die anspruchsvolle Organisation der Impfung von Hochaltrigen, wird prägend für den weiteren Verlauf der Kampagne sein.

  •   Gefahr durch Gruppendenken in geschlossenen Gemeinschaften: Statt auf den Wettstreit der Argumente und Problemlösungen zu setzen, werden zurzeit – oft unbewusst - archaische Mechanismen aktiviert. Es kommt zur Gruppenbildung und zum Gruppendenken. Dadurch sehen die Autoren die Gefahr, dass relativ geschlossene Gemeinschaften (Clans) entstehen, die sich voneinander abgrenzen und sich polar gegenüberstehen. Diese Tendenz zur Polarisierung erschwere aber den dringend notwendigen Diskurs über gute Lösungen des Corona-Problems, sei fehleranfällig und schade der Idee der offenen Gesellschaft

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