Großes Thema: der künftige Umgang mit Gesundheits-Apps
Der vorliegende Referentenentwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz, DVG) zielt nach Einschätzung des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) grundsätzlich darauf ab, die Chancen der Digitalisierung für die Patienten besser nutzbar zu machen. "Das ist ein gutes Ansinnen", sagt SpiFa-Hauptgeschäftsführer Lars F. Lindemann. "Wir begrüßen gemeinsam mit unseren 31 Mitgliedsverbänden, dass das Bundesgesundheitsministerium die Digitalisierung auf seine Agenda setzt und diesem wichtigen Thema ein eigenes Gesetz widmet."
Einsatz von Telemedizin: SpiFa fordert Qualitätskontrollen!
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, den Einsatz telemedizinischer Methoden auszuweiten. "Dabei erfolgt jedoch keine Qualitätskontrolle, inwieweit die telemedizinische Diagnostik oder Behandlung dem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gegenüber gleichwertig ist", kritisiert Lindemann. Somit setzt sich der telemedizinisch tätige Arzt einem unbegrenzten und derzeit von seiner Berufshaftpflicht nicht abgesicherten Haftungsrisiko aus. Mögliche juristische Streitfälle wären die Folge, die wiederum könnten der Telemedizin insgesamt einen negativen Ruf bescheren. "Hier sollte unbedingt nachgebessert werden, um Rechtssicherheit zu schaffen", so Lindemann.
Positiv beurteilt der SpiFa, dass der Gesetzgeber telemedizinische Leistungen zusätzlich und damit außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung fördern will. "Noch besser wäre allerdings, die extrabudgetäre Vergütung nicht auf einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren zu begrenzen und den entsprechenden Passus im Gesetzesentwurf zu streichen", sagt Lindemann.
Förderung von Versorgungsinnovationen: Krankenkassen sollten nicht allein entscheiden dürfen!
Zudem weist der SpiFa darauf hin, dass die Aufnahme von innovativen digitalen Gesundheitsa-Apps möglichst unbürokratisch und vor allem zeitnah in das Leistungsverzeichnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgen sollte. Die Förderung von Versorgungsinnovationen durch die Krankenkassen und die damit verbundene Möglichkeit, diese Versorgungsinnovationen direkt den Versicherten anbieten zu dürfen, sieht der SpiFa außerordentlich kritisch.
"Die Krankenkassen sind innerhalb der gemeinsamen Selbstverwaltung einer von drei Partnern. Uns überzeugt deshalb nicht, dass ausschließlich die Krankenkassen darüber befinden, welche Versorgungsinnovationen gefördert werden", sagt Lindemann.
Einerseits werde ein geschlossener Markt geschaffen, andererseits werde einmal mehr in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingegriffen, weil schlussendlich der Arzt mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit der jeweiligen Versorgungsinnovation der Krankenkasse konfrontiert wird. "Weder das eine noch das andere können wir gutheißen", so Lindemann.
vdek: Apps müssen qualitätsgeprüft in die Versorgung
Der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) sieht durch eine schnellere Implementierung von Apps und der elektronischen Patientenakte (ePA) deutlich "mehr Schwung in die Versorgung kommen". Positiv sei zum Beispiel, dass die verpflichtenden Inhalte der ePA durch Daten zum Impfausweis, Zahn-Bonusheft, U-Untersuchungen und Medikationsplan bereits zum 1. März 2021 erweitert werden sollen. Zudem sollen die Versicherten einen umfassenden Anspruch auf (freiwillige) Speicherung der Daten durch Vertragsärzte, Krankenhäuser, Apotheken und Krankenkassen in der ePA haben, was die Ersatzkassen ausdrücklich begrüßen.
Nicht nachvollziehbar sei jedoch, dass mit der Entscheidung über den Zugang zum GKV- Leistungskatalog nicht der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als zuständiges Gremium der Selbstverwaltung, sondern das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beauftragt werden soll. "Damit besteht die Gefahr, dass Anforderungen an Nutzen und Wirksamkeit bei den digitalen Anwendungen nicht im gleichen Maße berücksichtigt werden wie bei den konventionellen Behandlungsmethoden", sagt die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner.
Die Ersatzkassen schlagen demgegenüber ein zweistufiges Verfahren vor, wonach das BfArM die Grundvoraussetzungen digitaler Anwendungen in Bezug auf Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität prüft. Soll die Anwendung in die Regelversorgung überführt werden, sollte der G-BA ins Spiel kommen und eine schnelle Erprobung nach einheitlichen Standards in Gang setzen.
Problematisch sei laut vdek ferner, dass ein Hersteller den Preis für sein Produkt ein Jahr lang beliebig festlegen kann - erst danach soll es zu Vergütungsverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Produktanbieter kommen. "Diese Verhandlungen sollten daher frühzeitiger geführt werden und der verhandelte Preis bereits mit Beginn der Aufnahme in die Regelversorgung oder der Erprobung gelten", so Elsner.
Hausärzteverband warnt vor Chaos in den Praxen
Was unter allen Umständen vermieden werden müsse, seien Ansätze, die einer strukturierten, hausarztbasierten Versorgung zuwiderlaufen, fordert der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt. "Dieses wäre beispielsweise der Fall, wenn Gesundheits-Apps unseren Patientinnen und Patienten vorschreiben würden, welchen Arzt sie wann besuchen sollen. Das würde zu deutlich mehr Chaos in unserem jetzt schon komplexen Gesundheitssystem führen. Vor allem würde es aber ein erhöhtes Risiko für unsere Patientinnen und Patienten bedeuten, wenn sie in einer vermeidbaren Odyssee von Arzt zu Arzt gelotst werden. Hier gibt es noch deutlichen Nachbesserungsbedarf – vor allem bei digitalen Gesundheitsanwendungen, die die Patienten ohne Einbindung ihres Hausarztes nutzen."
Klar sei, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens "gegen die Wand fahren" werde, wenn die Versorgungsrealitäten nicht ausreichend berücksichtigt werden. "Daher müssen die Ärztinnen und Ärzte respektive ihre Fachverbände unbedingt in die Prozesse mit einbezogen werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass Lösungen etabliert werden, die den Anforderungen in der Praxis entsprechen. Das gilt für die Festlegung der Richtlinie zur Gewährleistung der IT-Sicherheit genauso wie für die Entwicklung von Standards und Anwendungen der elektronischen Patientenakte", so Weigeldt.
TI-Anbindung: Sanktionsregelung sollte laut SpiFa ersatzlos gestrichen werden
Kritisch sieht der SpiFa außerdem die zwangsweise Verpflichtung der Ärzte zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI). "Insbesondere für die niedergelassenen Ärzte ist die Frage der Haftung bei einer Anbindung an die TI weiterhin nicht ausreichend geklärt. Sie sind den Angebotskartellen von PVS- und AIS-Hersteller ausgeliefert und müssen darauf vertrauen, dass diese eine korrekte Anbindung vornehmen und weder die Daten der Patienten noch die Daten der jeweiligen Gesundheitseinrichtung und der darin tätigen Menschen gefährdet werden", so Lindemann.
Erlebte Realität sei, dass die im Auftrag des Arztes tätigen Unternehmen nicht bereit sind zu erklären, dass die Installation vollumfänglich und nach vorgegebenen Standards der gematik korrekt ausgeführt worden, und der Arzt damit nicht mehr in der Haftung ist. "Wenn dies flächendeckend der Fall ist, dann ist es nicht verwunderlich, dass bei vielen Ärzten weiterhin eine Zurückhaltung existiert. Dies kann nur durch vertrauensbildende Maßnahmen der gematik und nicht durch Sanktionen überwunden werden." Die angedrohten Honorarkürzungen aus dem BMG "werden den gegenteiligen Effekt fördern, als den, den der Gesetzesentwurf eigentlich intendiert", so Lindemann. Er fordert, die Sanktionsregelung ersatzlos zu streichen.
Der vdek begrüßt dagegen, dass die digitale Infrastruktur durch die Anbindung weiterer Leistungserbringer deutlich ausgebaut wird. Die Apotheken werden verpflichtet, sich bis 31. März 2020 an die TI anzubinden, Krankenhäuser müssen bis 2021 angeschlossen sein. Für Pflege- und Rehaeinrichtungen sowie Hebammen und Physiotherapeuten ist die Anbindung an die Telematikinfrastruktur freiwillig. "Damit die ePA und die weiteren medizinischen Anwendungen wie elektronische Verordnungen im Versorgungsgeschehen flächendeckend ankommen, sollten jedoch auch weitere Leistungserbringer wie Logopäden und Ergotherapeuten zügig einbezogen und an die Telematikinfrastruktur angebunden werden", sagt Elsner.