Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg

Honorarkürzungen für Attest-Arzt sind gerechtfertigt

LL
Gesellschaft
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg stellt klar: Für einen Arzt-Patienten-Kontakt und die Abrechnung der Versichertenpauschale braucht es mehr als eine kurze Begrüßung am Empfangstresen.

Aufgefallen war der Arzt der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, weil die Anzahl der Patientenkontakte in seiner Einzelpraxis sehr hoch war, beim Nachrechnen aber zum Teil nur zweieinhalb Minuten gedauert haben können – beispielsweise am 28. April 2015 mit 171 Patienten. Die Abrechnungen über elf Quartale hatten sich im Wesentlichen auf die Versicherten- und Chronikerpauschalen beschränkt. Angesichts der abgerechneten Scheinzahl könne eine „normale“ hausärztliche Behandlung nicht stattgefunden haben, folgerte die KV. Vielmehr müsse sich die Tätigkeit des Arztes auf „Krankschreibungen am Anmeldetresen“ ohne Untersuchung und ohne Dokumentation beschränkt haben.

Wegen des Verdachts einer „nicht ordnungsgemäßen Leistungserbringung“ kürzte die KV nachträglich das Honorar aller geprüften Quartale auf den Fachgruppendurchschnitt und forderte gut 330.000 Euro an Rückzahlungen. Der Arzt wehrte sich dagegen. Nun stellte das LSG Berlin-Brandenburg jedoch in weiterführender Instanz klar: Um die Versichertenpauschale zu beanspruchen, braucht es eine Diagnose oder Behandlung.

Über 100 Patienten pro Tag im Alleingang

Der Berliner Allgemeinmediziner führte seine Praxis alleine und ausschließlich mit offener Sprechstunden ohne Vorbestellung durch. Dort stellte er überwiegend Verordnungen, Arbeitsbescheinigungen und Schulunfähigkeitsatteste aus. Die Patienten stellten sich in eine Warteschlange, die teilweise bis in den Hausflur reichte. In seiner Praxis begrüßte der Arzt die Patienten selbst am Empfangstresen in der Reihenfolge ihres Erscheinens, nahm die Versichertenkarte entgegen und befragte sie bereits dort nach dem Grund ihres Besuchs, ihrem Befinden und/oder nach der Medikamenteneinnahme. Die von den Patienten getätigten Angaben verwertete er nach seinen eigenen Angaben medizinisch.

Er selbst stellte im Anschluss Rezepte – auch im Wiederholungsfall – und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie Atteste über Schulunfähigkeit aus. Der Tätigkeitsschwerpunkt lag an Tagen mit hohem Patientenaufkommen in der Ausstellung von AU-Bescheinungen und Schulunfähigkeitsattesten aufgrund von Diagnosen wie Kopfschmerz, Erkältungsschnupfen, akute Gastritis, Lumboischialgie, akute Tonsillitis und Übelkeit und Erbrechen. In seiner Patientenkartei dokumentierte er die gestellte Diagnose, die abgerechnete Leistung (GOP), eventuell verordnete Medikamente, ausgestellte Bescheinigungen sowie die Dauer einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit.

Auch das Berliner LKA ermittelte

Im Vergleich zu den übrigen Berliner Hausärzten sei die Anzahl der abgerechneten Versichertenpauschalen erheblich ausgeweitet und zum Teil um das Vierfache überschritten worden, bemängelte die KV. Gestützt wurden diese Zweifel durch die Ermittlungen des Landeskriminalamts Berlin, das das Fehlen von Dokumentationen der erfolgten Behandlungen feststellte. Damit verstoße der Arzt gegen die Pflicht zur Dokumentation. Da in den Patientendokumentationen Eintragungen zur Anamnese, Beschwerden, Befunden und eingeleiteten Therapien fehlten, sei nicht feststellbar, aus welchem Grund die Leistungen erbracht und abgerechnet worden seien, urteilten die Richter.

Zwar schreibe die Versichertenpauschale als obligaten Leistungsinhalt nur den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt vor, allerdings ergebe sich aus den Allgemeinen Bestimmungen, Teil I, Punkt 4.1. im EBM, dass es sich um einen Kontakt im Rahmen eines kurativ-ambulanten Behandlungsfalls handeln muss, erinnerte das Gericht. Allein die Begrüßung des Patienten, die Frage nach dem Befinden oder danach, ob sich an der Medikamenteneinnahme etwas geändert habe, berechtigt nicht zur Abrechnung der Versichertenpauschale.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Az.: L 7 KA 29/20
Urteil vom 20. September 2023

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