"Israel war entschlussfreudiger als Europa"
Israel steht derzeit weltweit an der Spitze, was die Impfrate in der Bevölkerung angeht: Wie sieht die Situation im Land jetzt aus?
Daniela Oliel:
Mittlerweile sind in Israel nahezu 35 Prozent der Menschen mit der ersten Dosis geimpft, mit der zweiten Dosis geimpft sind fast 20 Prozent der Bevölkerung (Anmerkung der Redaktion: Stand: Anfang der Woche. Diese Zahlen verändern sich täglich und werden jeweils aktuell in großen israelischen Tageszeitungen wie Haaretz oder ynet publiziert). Das betrifft auch einen Großteil der älteren Menschen. Auch in Israel gibt es eine Priorisierung: Zunächst wurden alle über 65 Jahre geimpft, dann alle über 40 Jahre. Inzwischen sind auch junge Menschen an der Reihe – sowie Schwangere. Seit dem 8. Februar gibt es keinen Lockdown mehr. Dank der Impfungen ist die Anzahl von Hospitalisierungen und schweren Verläufe gesunken.
Warum gibt es in Israel genügend Impfstoff – in anderen Ländern in Europa hingegen nicht?
Israel hat früh genug erkannt, dass die Impfung der einzige Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie und damit eine kluge Investition sein würde. Die israelische Regierung hat auch sehr früh einen direkten Kontakt mit BioNTech/Pfizer aufgebaut und war bereit, einen doppelten Preis (30 US-Dollar) im Vergleich zur EU (etwa 15 US-Dollar) für eine Impfdosis zu zahlen. So haben die Israelis es geschafft, sich sehr schnell eine ausreichende Menge zu sichern.
Vor allem der Impfstoff von BioNTech/Pfizer ist in genügender Anzahl verfügbar – was lief in Israel anders als in anderen Ländern
Der erste Kontakt Israels mit BioNTech/Pfizer fand Anfang November statt, etwa zur gleichen Zeit, in der die EU Kontakt zu dem Hersteller aufnahm. Israel war mit seiner Bereitschaft, einen Vertrag mit dem Unternehmen abzuschließen, offensichtlich entschlussfreudiger als Europa.
Blickt man im Vergleich zu Deutschland auf das israelische Gesundheitswesen – warum funktioniert das Impfen dort besser?
In Israel gibt es vier große gesetzliche Krankenkassen, bei denen sich jeder Bürger, je nach eigener Wahl, versichern muss. Das Konzept der Krankenkassen stammt aus dem Jahr 1911 und wurde durch die Sozialpolitik des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck beeinflusst. Die Krankenkassen verfügen über eigene und über das ganze Land verteilte Kliniken und Krankenhäuser und versorgen ihre Versicherten vor Ort. Das heißt, sie haben den Zugang zum Impfstoff, das Pflegepersonal und die gesamte Logistik. Und niedergelassene Ärzte impfen im Auftrag der Kliniken in den Impfzentren.
Darüber hinaus halten alle Krankenkassen eigene, sehr aktuelle digitale Daten über ihre Versicherten vor. Daher sind die Kommunikationswege kurz, präzise und direkt. Es gibt keine Probleme mit dem Datenschutz. Versichertengruppen (etwa nach Alter, Vorerkrankung) können schnell herausgefiltert werden. Sie können dann einfach per SMS, E-Mail oder Telefon kontaktiert und aufgefordert werden, über die Zentrale in ihrer Stadt, die Krankenkassen-Website oder eine App Kontakt mit der Kasse aufzunehmen, um den Impf-Termin selbst zu auszumachen. Termine werden im Minutentakt vergeben, 24 Stunden an sieben Tagen die Woche.
In Israel wird eine große Impfkampagne gefahren – wie sieht die aus?
Seit Mitte Dezember wurde eine staatliche umfangreiche Impfkampagne durchgeführt. Der Premierminister, der Gesundheitsminister und andere Würdenträger wurden live im Fernsehen geimpft. Diverse VIPs aus allen Ecken der Gesellschaft haben sich auf verschiedenen Medienkanälen für die Impfkampagne engagiert - über TV, Radio, Straßenplakate oder Social-Media-Kanäle. TV-Satire-Shows, die im israelischen Alltag extrem beliebt sind, haben die Impfthemen intensiv aufgegriffen. Es gibt sogar ein spezielles Maskottchen! So hat sich sehr schnell ein allgemeiner Konsens in der Bevölkerung herausgebildet.
Welche Möglichkeiten gibt es – auch jenseits der großen Impfzentren – sich impfen zu lassen?
Man kann nur in den Impfzentren und Krankenhäusern geimpft werden. Aber die Impfzentren wurden flächendeckend im ganzen Land errichtet – angefangen von Polikliniken, Krankenhäusern, über Sporthallen, Zelte in Stadtzentren und Außenbezirken - bis hin zu Drive-Ins im ganzen Land. Jeder Bürger hat also die Möglichkeit, ein Impfzentrum in der Nähe zu erreichen.
In Israel wird für Geimpfte ein sogenannter Grüner Pass ausgegeben – was genau sind die Vorteile?
Das Gesundheitsministerium hat ein App herausgegeben, die einen sogenannten „Grünen Pass“ (Impfstoffzertifikat) enthält. Der Pass steht auch als gedrucktes Zertifikat zur Verfügung. Mit ihm soll es möglich werden, Veranstaltungen aus Kultur und Sport, Konferenzen oder Museen zu besuchen. Sektoren, die von einem „Grünen Pass“ ausgenommen werden, sind das Bildungssystem, Arbeitsplätze, Straßenläden, öffentliche Verkehrsmittel und Gotteshäuser. Für den Besuch von Restaurants und Cafés, Einkaufszentren, Hotels, Fitnessstudios oder Schwimmbädern ist der Einsatz noch in der Diskussion.
Der Pass ist ab dem Datum der zweiten Impfdosis sechs Monate gültig und gewährt der Person eine Befreiung von der Quarantänepflicht. Und dennoch: Ob der Pass geeignet ist, Menschen von den Corona-Beschränkungen zu befreien, ist noch fraglich und hängt von der weiteren Morbidität in der Bevölkerung ab. Nichtsdestotrotz: Bislang ist immer noch nicht geklärt, ob Geimpfte ansteckend sind oder nicht. Deshalb dürfte der Pass derzeit eher unattraktiv sein.
Und wird dazu im Land -wie in Deutschland - eine ethische Debatte über Sonderrechte für Geimpfte geführt?
In großen und ganzen, nein. Und es gibt nur Randgruppen, die sich gegen das Impfen aussprechen. Aber inzwischen gibt es Anzeichen, dass die Impfmotivation in der Bevölkerung allmählich sinkt. Am vergangenen Montag (1. Februar) wurden nur 87.000 Menschen geimpft, im Vergleich zu jeweils rund 150.000 an den Montagen zuvor. Der tägliche Durchschnitt seit Anfang der Kampagne lag bisher bei 200.000 am Tag. Möglich ist, dass der anfängliche Hype um das Impfen gesunken ist, weil wegen der erfolgreichen Impfaktion die Anzahl schwerwiegender Infektionen gesunken ist. Das müsste man weiter beobachten.