Kariestherapie heute
Der Schutz des Pulpa-Dentin-Komplexes ist nur mit einer dichten Restauration möglich. Deshalb sind sich Zahnmediziner einig, stellen Prof. RoswithaHeinrich-Welzien(Jena) und Dr. JanKühnisch(München) fest. Mit dem selektiven Vorgehen, die Kavitätenperipherie kariesfrei zu gestalten, habe sich in den vergangenen Jahren ein praxisnaher Kompromiss herauskristallisiert. Während in der Kavitätenperipherie eine Kariesfreieheit hergestellt wird, wird die Karies in Pulpanähe restriktiv exkaviert.
Die Gefahr der Pulpafreilegung sinkt
Das Belassen von weitgehend trockenem, verfärbtem und/ oder ledrigem Dentin über der symptomlosen vitalen, nicht-exponierten Pulpa werde heute mehrheitlich befürwortet, da das Vorgehen mit einer Arretierung, beziehungsweise Chronifizierung des kariösen Prozesses einhergeht und zudem die Gefahr einer Pulpafreilegung reduziert.
Mit der Rückbesinnung auf ein restriktives Kariesmanagement folgt die Wissenschaft den Autoren zufolge nach mehr als 280 Jahren erneut den Empfehlungen von Fauchard. Der wesentliche Unterschied bestehe jedoch darin, dass die heute zur Verfügung stehenden Materialien jenen dichten Kavitätenschluss ermöglichen, der bei diesem Therapieansatz unabdingbare Voraussetzung ist.
Die Hall-Technik
Ein Beispiel für eine abweichende Vorgehensweise ist demzufolge die Hall-Technik. Die von Nora Hall eingeführte Technik für Milchmolaren mit einer Dentinkaries zielt auf die Inaktivierung einer Dentinkaries ohne Kariesexkavation durch Eingliederung einer konfektionierten Stahlkrone ab und wird in Deutschland vor allem von dem Greifswalder Professor ChristianSpliethuntersucht. Seine Ergebnisse nach einer einjährigen Beobachtungsdauer zeigen eine signifikant höhere Erfolgsrate für Milchmolaren, die nach konventioneller vollständiger Kariesexkavation mit einem Kompomer restauriert wurden, und für Milchmolaren, die non-restaurativ versorgt wurden.
Vergleichbare klinische Erfolgsraten von etwa 90 Prozent wurden demzufolge ebenfalls nach einer konservativen beziehungsweise ultra-konservativen Kariesexkavation bei tiefen Milchzahnläsionen ddokumentiert. Laut Autoren stellte sich die Hall-Technik in einer Kosteneffizienzanalyse im Vergleich zur konventionellen Kariesexkavation als kostengünstiger heraus - letztere soll zudem weniger erfolgreich gewesen sein.
Ausblick
Um den Endpunkt der Kariesexkavation objektivieren zu können, wird der Einsatz von sich selbstlimitierenden oder fluoreszenzunterstützenden Instrumenten diskutiert. Dazu zählten etwa Polymerbohrer, deren Härte sich am erweichten nicht infizierten, aber remineralisierbaren Dentin orientiert. Für das Vorgehen der fluoreszenzunterstützten Karieserkennung und -entfernung sind ebenfalls entsprechende Systeme auf dem Dentalmarkt verfügbar. Die Verwendung von Handexkavatoren erlaubt demnach gerade im Milchgebiss eine substanz- und pulpaschonende Exkavation.
Für die definitive Restauration und Inaktivierung des kariösen Prozesses ist den Autoren zufolge entscheidend, dass der Kavitätenrand zirkulär eine adhäsive Versiegelung erlaubt. Dabei stellt die selektive Kariesexkavation (siehe Bilderstrecke) die Therapie der Wahl dar.
Literatur: Heinrich-Weltzien R, Kühnisch J: Endodontische Behandlungsmaßnahmen im Milchgebiss - Aktuelle Sichtweisen und Konsequenzen für die klinische Praxis. Oralprophylaxe Kinderzahnheilk 2016;38: 14-22, DOI 10.3238/OPKZH.2016.0014-0022