EU-Gesetz über Künstliche Intelligenz

Kippt Deutschland den AI Act?

mg
Politik
Eigentlich ist der „AI Act“ der EU auf der Zielgeraden. Doch jetzt stellen sich Deutschland, Italien und Frankreich quer: Statt strenger Regeln wollen sie für Basis-Modelle nur eine „verpflichtende Selbstregulierung“.

Die Regierungen der drei größten EU-Länder – sie stellen mit zusammen rund 210 Millionen Einwohnern nahezu die Hälfte der EU-Bevölkerung – haben sich auf eine gemeinsame Position zu sogenannten Basis-Modellen wie ChatGPT von OpenAI und Bard von Google verständigt. Das entsprechende Positionspapier hatte die belgische Wochenzeitung POLITICO veröffentlicht. Darin sprechen sich die drei Staaten dagegen aus, gesetzlichen Vorschriften für die Basis-Modelle zu erlassen.

„Wir sind gegen die Einführung von unerprobten Gesetzen und schlagen deshalb vor, zunächst auf eine verpflichtende Selbstregulierung durch einen Verhaltenskodex zu setzen“, zitiert POLITICO aus dem Papier. Das sei ausreichend, um für die notwendige Transparenz und Sicherheit der Modelle zu sorgen. Sanktionen solle es zunächst keine geben.

Selbst die wirtschaftsfreundlichen USA regulieren die Technik

Experten zeigten sich irritiert: Der Vorstoß, das finalisierte KI-Regelwerk abzuschwächen, ist nach Einschätzung des Blatts „überraschend, weil er mit der traditionellen Denkweise des Kontinents bricht, dass der Technologiesektor eine stärkere Regulierung benötigt“. Darüber hinaus komme er zu einer Zeit, in der führende Experten aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz selbst eine strenge Regulierung ihrer Technologie gefordert haben und Länder wie die USA ihre eigene Regulierungsagenda einführten. Am 30. Oktober 2023 erließ die Biden-Regierung eine umfassende Executive Order zur sicheren und vertrauenswürdigen Entwicklung und Nutzung Künstlicher Intelligenz.

Als „verrückt“ bezeichnete es etwa der KI-Experte Yoshua Bengio, Basismodelle nicht zu regulieren. „Wir könnten in einer Welt landen, in der harmlose KI-Systeme in der EU stark reguliert sind (…) und die größten Systeme, die am gefährlichsten und potenziell schädlichsten sind, nicht“, erklärte er im Interview mit der Zeitung. Das Branchenportal netzpolitik.org wertete das Ausscheren der drei Staaten zudem als „Schlappe für die Verhandlungen zu einem der derzeit wichtigsten Gesetzesvorhaben der EU“. Die geplante KI-Verordnung soll das weltweit erste Gesetz werden, das Künstliche Intelligenz umfassend reguliert.

Kippt jetzt womöglich das ganze Gesetz?

Wie POLITICO von Insidern erfahren haben will, sind die Fronten extrem verhärtet. Kommt es nun zum Stillstand der Verhandlungen, könnte dies sogar das Ende des Gesetzes für Künstliche Intelligenz bedeuten, mutmaßen verschiedene Medien. Das wäre fatal. „Auf EU-Ebene werden jetzt die Weichen gestellt, wie und nach welchen Regeln KI in den nächsten Jahrzehnten unser Leben bestimmt“, mahnte Mitte Oktober Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Die EU-Institutionen müssten „die Chance ergreifen und den AI Act im Sinne der Menschen gestalten“, forderte sie und wies darauf hin, dass generative KI wie ChatGPT zum Beispiel Kauf-Entscheidungen von Menschen beeinflussen könne.

Am 6. Dezember ist der nächste Verhandlungstermin von EU-Kommission, Rat und Parlament angesetzt. Dabei könnte die Bewertung der Basismodelle zur Zerreißprobe werden, berichtete auch der Nachrichtendienst Euractiv. Bei einem Treffen am 10. November kam es demnach wohl zu einem offenen Streit, bei dem einige Akteure demonstrativ den Saal verlassen hätten.

Experten: Die angedachte Regelung ist das „absolute Minimum“

In einem offenen Brief, der Euractiv vorliegt, verteidigen jetzt Forscher, Denkfabriken, Vertreter der Zivilgesellschaft und Ethikvertreter den von Deutschland, Italien und Frankreich abgelehnten Entwurf als „das absolute Minimum zum Schutz der EU-Bürger“. Der Vorschlag der spanischen Präsidentschaft ermögliche einen ausgewogenen Ansatz zur Regulierung von Basismodellen und präzisiere die fraktionsübergreifende Position des Europäischen Parlaments, heißt es in dem Schreiben weiter.

Das Risiko, dass Basismodelle als „Single Point of Failure“ für Tausende nachgelagerter Anwendungen fungieren könnten, die von Millionen EU-Bürgern genutzt würden, rechtfertige die geplanten Regulierungen. Diese stellten auch keine Belastung für die europäische Industrie dar, sondern böten einen wesentlichen Schutz, „der der EU-Industrie und dem entstehenden KI-Ökosystem zugute kommt“. Die Verfasser erinnern, dass in den aktuellen Entwurf seit mehr als zwei Jahren die Inputs eines breites Spektrums repräsentativer Interessengruppen eingeflossen sind – darum müsse verhindert werden, dass „die Lobbyarbeit von Big Tech und einigen großen KI-Unternehmen diesen demokratischen Prozess umgeht". Die Interessen einiger weniger dürften nicht die Fähigkeit der europäischen Regulierungsbehörden gefährden, die Gesellschaft zu schützen.

Regelung tritt frühestens 2026 in Kraft

Die Regulierung von Künstlicher Intelligenz ist in der EU seit 2018 ein Thema. Den ersten Entwurf der Verordnung veröffentlichte die EU-Kommission im April 2021. Die erste Sitzung des EU-Parlaments fand im Oktober 2022 statt. Im Juni 2023 verabschiedete das Parlament den finalen Vorschlag. Anschließend nahmen die EU-Gesetzgebungsorgane die Trilog-Verhandlungen auf. Bei einer Verabschiedung noch vor der Europawahl 2024 könnte der AI Act zwei Jahre nach der Verabschiedung der endgültigen Fassung im Jahr 2026 in Kraft treten.

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