„Kritik muss in beide Richtungen möglich sein“
Ich war mitten in meiner Assistenzzeit in einer großen Praxis, als ich merkte, dass ich gerne woanders arbeiten will. So wechselte ich in die Zahnarztpraxis eines Kollegen, zu dem meine Familie und ich selbst gehen. Er erzählte mir, dass er ans Aufhören denkt und eine Nachfolge sucht. Der Zeitpunkt war mir eigentlich noch früh. Ich beendete zunächst meine Assistenzzeit und lernte dabei das Team und die Praxis noch besser kennen. Das war für mich auch ausschlaggebend, um die Übernahme überhaupt zu wagen. Es gab mir ein sicheres Gefühl. Eine mir unbekannte Praxis hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht übernommen.
Nach einem Monat Renovierungsarbeiten wurde ich zum 1. Januar 2023 die neue Chefin – zum Teil auch von Mitarbeiterinnen, die mich selbst schon als junge Patientin betreut hatten. Das ist eine besondere Konstellation. Fünf der sieben Mitarbeiterinnen sind geblieben, mit den anderen hat es nicht gepasst. Drei von ihnen sind heute noch da. Zwei davon waren bereits lange in der Praxis tätig. Eine von ihnen beförderte ich zügig zur Praxismanagerin. Damit erhielt sie den offiziellen Titel, der ihrer Tätigkeit entsprach. Diese Wertschätzung hat ihr gutgetan und dabei geholfen, klare Strukturen zu schaffen. Heute entlastet sie mich im zentralen Praxisalltag.
Wir mussten uns aber auch erst einspielen. Da hat es schon manchmal geknallt. Einmal kam die Praxismanagerin mit sehr ehrlichem Feedback auf mich zu. Das war im Endeffekt zwar hart, aber auch sehr nützlich. Kritik muss schließlich in beide Richtungen möglich sein. Ich habe in dem Moment viel über mich und meine Führungsqualitäten gelernt. Dabei sind Geduld und Priorisierung mit das Wichtigste. Harmonie zählt für mich ebenfalls sehr. Doch es passt nicht mit jedem. Zu dieser Erkenntnis muss man kommen und sich gegebenenfalls auch wieder trennen. Wir müssen zwar keine Freundinnen sein, aber da man so viel Zeit miteinander verbringt, muss es sowohl fachlich als auch menschlich passen. Leider ist es hier außerhalb von Hamburg sehr schwierig, Leute zu finden, und es kostet viel Zeit.
Ein großer Schreck ereilte mich direkt zur Eröffnung: Ich hatte in neue Behandlungseinheiten investiert. Zeitgleich hat der Elektriker die Leitungen erneuert und dabei leider eine Verknüpfung falsch gesteckt. Als wir die Einheit am Freitag vor der geplanten Eröffnung in Betrieb nehmen wollten, hörten wir nur ein leises Puffen und sahen eine Rauchwolke aus dem Gerät aufsteigen. Wie im Film! Die falsch verbaute Elektrik verursachte einen Versicherungsfall in Höhe von 150.000 Euro, da die neuen Einheiten schweren Schaden genommen hatten. Es hat fünf Monate gedauert, bis der Betrieb nach dem Schadenfall wieder vollständig aufgenommen werden konnte. Das hat wahnsinnig viele Ressourcen gekostet – mental wie finanziell. Ich hatte so viel investiert und noch nicht einmal mit der Arbeit begonnen. Am Montag eröffneten wir trotzdem – mit nur einer Einheit und provisorischer Beleuchtung. Ich behandelte erst einmal nur Notfälle. Ich dachte die ganze Zeit: Wie soll ich das alles schaffen? Zwar hatte ich Unterstützung, aber ich war die einzige Zahnärztin in der Praxis. In meinem Freundeskreis ist niemand selbstständig.
Auch ohne diesen Vorfall habe ich die Arbeitslast unterschätzt. Ganz zu schweigen von der umfangreichen Dokumentation und TI-Projekten wie der ePA. Für die Neueröffnung haben wir alles auf den Kopf gestellt: Die Prozesse, die zum Teil über 35 Jahre gewachsen waren, die Hygiene, den Brandschutz und das QM. Dafür habe ich auch externe Hilfe angenommen und Experten beauftragt. Der Blick von außen ist wichtig. Man ist ja selbst irgendwo betriebsblind. Nun sind Strukturen etabliert, das QM ist neu aufgestellt und das Team steht. Es ist Ruhe eingekehrt. Und ich habe endlich auch mal ein freies Wochenende!
Das rät die Personalexpertin
Wie gelingt es, neue Mitarbeiter zu finden?
Grundsätzlich kann man nach wie vor Social Media nutzen, gegebenenfalls auch mit Unterstützung einer professionellen Agentur. Allerdings reicht das allein nicht immer aus, da diese Strategie von vielen Praxen genutzt wird. Ich mache aktuell gute Erfahrungen mit den kostenfreien Plattformen Indeed und dem Portal der Kammer. Das liegt möglicherweise daran, dass es fast schon antizyklisch ist, dort zu inserieren.
Wie baut man ein stabiles Team auf?
Es braucht eine klare Struktur in Form einer Übersicht zu allem, was gelernt werden soll – wie etwa eine Onboarding-Checkliste – sowie eine klare Zuständigkeit, denn zu viele Köche verderben den Brei und kosten Zeit. Einen Teil der Zeit, vor allem im Nachfassen, kann man einsparen, indem man Videos der wichtigsten, zeitaufwändigsten und fehleranfälligsten Prozesse erstellt. Zum Aufbau eines stabilen Teams arbeite ich im Coaching mit der Struktur von Prof. Dr. Wolfgang Jenewein. Sein Buch „High-Performance-Teams: Die fünf Erfolgsprinzipien für Führung und Zusammenarbeit“ kann ich jedem empfehlen.
Wie können bestehende Mitarbeiter in die neue Philosophie integriert werden?
Vorweg: Es gelingt nicht immer, aber einen motivierten Versuch ist es wert. Die Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung sind bei ZFAs stark auf der Beziehungsebene geprägt. Die Identifikation mit der Chefin oder dem Chef ist sehr relevant. Das lässt sich aber nicht immer auf die „Nachfolge“ übertragen. Diese Philosophie arbeite ich mit meinen Kunden glasklar heraus. Wir stellen sie dem Team vor, schaffen Raum für Beteiligung und die Aufnahme weiterer Impulse und begleiten diese Vision ins Leben. Dazu folgt ein Workshop, der sehr einfach strukturiert ist und auch ohne Begleitung umgesetzt werden kann. Das Team teilt sich in die Funktionsbereiche (Anmeldung, Behandlung, Prophylaxe, Labor etc.) auf und beantwortet zwei Leitfragen:
1. Wie stark lebt die Philosophie auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (vollständig)?
2. Was können wir (in unserem Bereich) tun/lassen/anders machen, um unsere Philosophie noch mehr auszustrahlen?
Die Ergebnisse werden zusammengetragen und daraus ergeben sich zwei Kategorien von Potenzialen: generelle Entscheidungen und Konzeption sowie persönliche Leitsätze, die dann als verbindlich deklariert werden.
Wilma Mildner, Mildner Consulting, Bretten
Das sagt der Praxisberater zum Schadensfall
Solch ein Fall lässt sich nicht vorhersehen. Hier heißt es, schnell zu reagieren und Schadensbegrenzung zu betreiben. Wichtig ist, den Versicherungsschutz zum Stichtag der Übernahme an die neue Situation in der Praxis anzupassen. Diese Vorkehrungen können bereits im Vorfeld getroffen werden. Insbesondere bei Umbauten vor Praxiseröffnung sollte ein entsprechender Versicherungsschutz bestehen. Somit ist der wirtschaftliche Schaden abgesichert. Mental und organisatorisch ist das eine zusätzliche Belastung, besonders am Anfang einer Gründung wie bei Dr. Lange. In dieser Situation ist es hilfreich, verlässliche Partner zu haben, die sich kümmern.
Praxisberater Robert Döringer, Bollwerk, Hamburg
Mein Fazit: Meinen Kolleginnen und Kollegen würde ich ans Herz legen, für Feedback der Mitarbeiter offen zu sein. Dabei spielt es aber schon eine Rolle, wer etwas sagt und wie es gesagt wird. Die Hierarchie darf sich in diesem Moment nicht auflösen.
Wenn man zweifelt, hilft der Austausch mit Kollegen. Das ist extrem wichtig – gerade in besonders belastenden Situationen wie meiner mit dem Schadensfall. Nicht-Selbstständige Freunde und Familie werden eure Sorgen nicht vollständig verstehen. Egal, wie viel Unterstützung ihr habt, werdet ihr euch doch zeitweilig allein fühlen. Es dauert, bis sich Prozesse als effiziente Routinen einstellen. Unterstützung von Experten, beispielsweise aus den Bereichen Finanzierung, Steuerberatung, Hygiene und Abrechnung, darf man sich gerne leisten, um auch einen externen Blick auf die Praxis zu erhalten.




