Runder Tisch zur Alignerbehandlung

„Mehr als ein paar Schienen reinsetzen”

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ZahnmedizinKieferorthopädie
Die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie e.V. (DGKFO) sorgt sich um die Patientensicherheit bei nichtärztlich geführten Alignerbehandlungen und sieht den Gesetzgeber in der Pflicht zum Handeln.

„Wir sehen Handlungsbedarf, um den Patientenschutz zu gewährleisten und ich bin sicher, dass wir dafür eine Mehrheit in der Koalition finden werden.“ Mit diesen klaren Worten beschrieb die parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion Christine Aschenberg-Dugnus, MdB, ihre Haltung zu Alignerbehandlungen ohne die notwendige Einbindung von Kieferorthopäden oder Zahnärzten.

Im Rahmen ihrer 94. Jahrestagung in Berlin hatte die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie e.V. (DGKFO) zu einem Runden Tisch zum Thema „Notwendigkeit einer arztgeführten Alignerbehandlung und einer verantwortungsvollen Telemedizin“ eingeladen. Hintergrund waren die bekanntgewordenen Probleme bei den Angeboten kommerzieller Aligneranbieter, die Behandlungen oft ohne ausreichende Diagnostik und Behandlungsführung durch Kieferorthopäden oder Zahnärzte anbieten.

Welche Schäden eine kieferorthopädische Behandlung ohne zahnärztliche Expertise verursachen kann, demonstrierte DGKFO-Präsident Prof. Proff, Regensburg, anhand eines dramatischen Behandlungsfalls bei einem kommerziellen Aligneranbieter. Trotz unverkennbarer Warnzeichen wurde die Behandlung einer jungen Frau ohne die unbedingt notwendigen klinischen Befunde und Röntgenbilder durchgeführt.

Erst nachdem sich die Patientin wegen starker Schmerzen nach unkontrollierter Behandlung an die Universitätsklinik Erlangen wandte, wurde das Ausmaß des Schadens erkennbar. Trotz retinierter und verlagerter Zähne, trotz Knochenabbau und Karies, ankylosierter und hypoplastischer Zähne wurde eine Alignerbehandlung geplant und durchgeführt, bei der unter anderem noch vorhandene Milchzähne gegen die im Knochen liegenden bleibenden Zähne bewegt wurden. Die kieferorthopädischen Experten des Runden Tisches kommentierten aus ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten heraus diesen Behandlungsverlauf. Ganz einhellig wurden hier schwerste Verstöße gegen den zahnmedizinischen Standard festgestellt.

„Digitalisierung ist toll“, schwärmte Prof. Jost-Brinkmann, der als Tagungspräsident die diesjährige Jahrestagung der DGKFO unter das Thema CAD/CAM in der Kieferorthopädie gestellt hatte. „Aber viele Befunde kann ich nicht telemedizinisch erheben, sondern nur direkt am Patienten.“ Digitalisierung könne den Arzt bei einer Alignerbehandlung nicht ersetzen.

„Patientin könne mit hohen Erfolgschancen gegen den Anbieter klagen”

„Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass alle, die medizinische Behandlungen anbieten, dem gleichen Standard genügen müssen“, forderte Dr. Köning, 1. Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden. Das aber sei derzeit aus seiner Sicht nicht gewährleistet.

Aus arzthaftungsrechtlicher Sicht, so Medizinrechtler Stephan Gierthmühlen, könne man wohl im vorliegenden Patientenfall bei jeder Station des Prüfungsschemas einen Haken setzen. Aufklärungs-, Befunderhebungs- und Behandlungsfehler seien durch die Einschätzungen der anwesenden Experten eindrücklich belegt – die Patientin könne mit hohen Erfolgschancen gegen den Anbieter klagen. „Schadensersatz und Schmerzensgeld helfen den Patienten aber nicht, ihre Gesundheit zurückzubekommen.“ Auch der Gesetzgeber müsse wie die Zahnmedizin präventionsorientiert agieren und sicherstellen, dass Patienten vor unseriösen Anbietern von Gesundheitsleistungen geschützt werden können.

Der Patientenschutz, so betonte Aschenberg-Dugnus, sei oberste Maxime aller gesundheitspolitischen Akteure. Wenn man – wie hier – sehe, dass ein systematisches Problem besteht, müsse man handeln. Still sei es nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zum Antrag der FDP zur Patientensicherheit bei Alignerbehandlungen gewesen, nachdem alle Experten sich in der Einschätzung der Gefährdung der Patientensicherheit in seltener Einigkeit gezeigt hätten.

„Viele Kollegen haben spätestens da erkannt, dass eine kieferorthopädische Behandlung mehr ist, sei, als ein paar Schienen reinsetzen.“ Die aktuelle Arbeit der DGKFO an den Leitlinien lobte Aschenberg-Dugnus und machte deutlich, dass auch nach ihrer Auffassung eine Therapie nur von denjenigen durchgeführt werden soll, die bereit und in der Lage sind, im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen im Fachgebiet zu handeln. Dadurch könnten Patienten auch die Behandlung bekommen, die sie benötigen.

Die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der (Fach-) Zahnärzte, die sich mit der Prophylaxe und Korrektur von Stellungsfehlern der Zähne sowie der Lage- und Formabweichungen der Kiefer befasst. Der Gesellschaft gehören über 3.700 Mitglieder an.

Die Experten des Runden Tisches

  • Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der DGKFO

  • Christine Aschenberg-Dugnus, MdB, Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion

  • Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner, Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Marburg

  • Prof. Dr. Dr. Bernd Lapatki, Direktor der Klinik für Kieferorthopädie und Orthodontie des Universitätsklinikums Ulm

  • Prof. Dr. Paul-Georg Jost-Brinkmann, Direktor der Abteilung für Kieferorthopädie und Orthodontie der Charité Berlin

  • Prof. Dr. Christopher Lux, Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Heidelberg und Leitlinienbeauftragter der DGKFO

  • Dr. Hans-Jürgen Köning, 1. Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden

  • Stephan Gierthmühlen, Geschäftsführer des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden und Fachanwalt für Medizinrecht

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