MVZ-Kette gibt Ärzteseminar zur Gewinnmaximierung
Die Augenarztkette Artemis hat auf Vorwürfe einer möglichen Anstiftung zum Abrechnungsbetrug reagiert: „Die ARTEMIS-Gruppe hat keine Kenntnis von etwaigen Unregelmäßigkeiten bei der Erbringung, Dokumentation oder Abrechnung von medizinischen Leistungen“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme. Obwohl das Unternehmen die Anschuldigungen als „unbestätigt“ zurückweist, zieht die Geschäftsführung jetzt Konsequenzen: „ARTEMIS und die betroffene Führungskraft haben sich darauf verständigt, dass diese mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben innerhalb der ARTEMIS-Gruppe entbunden ist.“ Welche Personen entlassen wurden, ließ die Geschäftsführung offen. Auf Nachfrage von Panorama teilte Artemis mit, man habe eine externe Kanzlei beauftragt, um die Vorwürfe zu untersuchen.
Hintergrund
Finanzinvestoren haben in den vergangenen Jahren Hunderte Augenarztpraxen in Deutschland gekauft. Eine der größten Ketten mit 115 Standorten in Deutschland und über 270 angestellten Ärzten ist Artemis. Die MVZ-Gruppe wurde im Jahr 2000 mit augenchirurgischen Zentren in Dillenburg und Wiesbaden gegründet.
„Panorama“ hatte am 8. Februar über ein Seminar berichtet, das der Ärztliche Direktor und Mitgründer von Artemis, Kaweh Schayan-Araghi, mit einer Abrechnungsexpertin des Unternehmens im vergangenen Herbst online gehalten hatte. Darin gaben sie angestellten Medizinern ihres Hauses Tipps, wie man bei Privatpatienten „eine Menge mehr abrechnen“ kann, wie es Schayan-Araghi während der Veranstaltung formulierte. Die Redaktion hatte anonym Ton- und Bildmaterial zu dem Vortrag erhalten.
Jurist Andreas Spickhoff, Professor für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, nannte die Schulung in der Panorama-Sendung „eine Fortbildung zur Gewinnmaximierung“ und sah in Teilen davon eine mögliche Anstiftung zu Straftaten, zu einem Abrechnungsbetrug in einem besonders schweren Fall. Es sei aufgrund der vielen beteiligten Mediziner von einem „hohen Schaden“ auszugehen.
„Steigern Sie!“, forderte Schayan-Araghi in dem Seminar
„Das ist keine Ausreizung der Gebührenordnung, sondern eine Überreizung“, sagte Spickhoff in dem TV-Bericht. Der Seminarleiter und die teilnehmenden Ärzte, die solche Anweisungen umsetzten, würden gegen die Berufsordnung verstoßen und könnten ihre Approbation verlieren. Wie aus den Videoaufnahmen hervorgeht, werden in dem Seminar konkrete Abrechnungswege vorgestellt, die die Honorare künstlich steigern: So sollten die Ärzte Operationen am Grauen Star als überdurchschnittlich schwierig oder zeitaufwendig darstellen und dafür eine entsprechende Begründung finden. Im Ergebnis fiel die Abrechnung fast 250 Euro höher aus als im Regelfall. „Steigern Sie!“, forderte Schayan-Araghi seine Mitarbeiter in dem Seminar auf. „Das ist so unser Weg, wie wir uns so ein bisschen den Inflationsausgleich holen können.“
Die Stellungnahme von Artemis im Wortlaut
„In der NDR-Sendung 'Panorama' vom 08.02.2024 wurden unbestätigte Vorwürfe gegen die ARTEMIS-Gruppe erhoben. In diesem Zusammenhang stellen wir Folgendes klar: Die ARTEMIS-Gruppe hat keine Kenntnis von etwaigen Unregelmäßigkeiten bei der Erbringung, Dokumentation oder Abrechnung von medizinischen Leistungen. Für ARTEMIS haben höchste Qualität und Patientensicherheit bei Diagnostik und Behandlung oberste Priorität. Bei der Auswahl einer Behandlungsmethodik steht die effizienteste und wirksamste Methode für eine bestmögliche Patientenversorgung an erster Stelle. Für die Auswahl einer Behandlung ist allein die medizinische Indikation maßgeblich. Die Entscheidung darüber obliegt alleinig der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt in Abstimmung mit der Patientin / dem Patienten. Wir setzen alles daran, das Vertrauen in die exzellente Arbeit unserer Ärztinnen und Ärzte zu wahren, die täglich ihr Bestes für das Wohl unserer Patientinnen und Patienten geben. Die in dem Beitrag dargestellten Anhaltspunkte für mögliches individuelles Fehlverhalten nehmen wir sehr ernst. ARTEMIS wird die im Raum stehenden Vorwürfe unverzüglich und vollumfänglich aufklären. Dazu hat das Unternehmen eine unabhängige und umfassende Untersuchung durch eine spezialisierte externe Kanzlei beauftragt. Die Kanzlei hat bereits mit der Aufarbeitung von Sachverhalten begonnen. ARTEMIS und die betroffene Führungskraft haben sich darauf verständigt, dass diese mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben innerhalb der ARTEMIS-Gruppe entbunden ist.
Unsere Ärztinnen und Ärzte sind per Berufsordnung verpflichtet, sich an die für Privatpatienten und Selbstzahler maßgebliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu halten. Die ARTEMIS-Gruppe handelt in Übereinstimmung mit geltenden Gesetzen und hat strikte Compliance-Standards, um einwandfreie Abrechnungen sicherzustellen. Alle Mitarbeitenden sind über unseren Verhaltenskodex und die Compliance-Richtlinie der Gruppe verpflichtet, die darin enthaltenen Regelungen zu befolgen. In unserer Compliance-Richtlinie ist unter anderem die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen, einwandfreien Abrechnung enthalten. ARTEMIS toleriert keine Verstöße gegen Vorgaben und gegen seine Unternehmenswerte. Sollten sich im Beitrag erhobene Vorwürfe als zutreffend erweisen, werden wir erforderliche Konsequenzen ziehen."
Artemis, 9. Februar 2024
Zudem gibt es zu Netzhaut-OPs offenbar Anweisungen, um die Versicherungen zu täuschen. Ein „Zauberwort“ müsse in dem OP-Bericht auftauchen, dann würden die Kontrolleure die 1.000 Euro, um die es geht, nicht wegstreichen, sagte demnach Schayan-Araghi. Medizinisch fragwürdig ist Experten zufolge auch ein bestimmter Sehtest, den die Artemis-Ärzte wohl bei allen Privatpatienten durchführen sollen. Ein bei Artemis angestellter Arzt, der anonym bleiben will, sagte im TV-Interview: „Das ist wie wenn Sie zum HNO-Arzt gehen, weil die Nase läuft, und der macht jedes Mal einen Hörtest.“