Neue Daten aus Frankreich

Neurologische Schäden nach Konsum hoher Lachgas-Dosen

mg
Medizin
Eine Studie aus dem Großraum Paris zeigt den Anstieg schwerer Folgeerkrankungen durch den Konsum von Lachgas seit 2020. Vor allem junge Menschen sind betroffen. Jetzt soll es eine Erhebung in Deutschland geben.

Distickstoffmonoxid wird als neue Partydroge Lachgas zunehmend zu einem Gesundheitsproblem, das bei konsequentem Eingreifen der Politik lösbar wäre, teilt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit. Dabei stellt das seit mehr als 200 Jahren eingesetzte Inhalationsanästhetikum bis heute eine medizinisch sinnvolle und sichere Alternative in bestimmten Narkosesituationen dar.

Allerdings hat der Freizeitkonsum von N2O weltweit in einem besorgniserregenden Maße zugenommen – und damit auch gesundheitliche Schädigungen in Folge des Konsums, so die DGN. Denn im Gegensatz zum praktisch nebenwirkungsfreien medizinisch überwachten Kurzeinsatz kann es bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch zu Schäden am Nervensystem kommen; manchmal sind auch die Blutbildung, Lunge und Herz mit betroffen. Ursache dieser Gesundheitsprobleme ist eine Störung des Vitamin-B12-Stoffwechsels, das heißt ein funktioneller Mangel des Vitamins.

Die Schäden sind zum teil irreversibel

Vitamin B 12 ist für die Funktion der Myelinscheiden (Hüllstrukturen der peripheren Nerven und des Rückenmarks) notwendig. Die Schädigung von Rückenmark und Nerven führt zu Taubheitsgefühlen vor allem an den Füßen, Gangstörungen und in schweren Fällen auch zu Lähmungen. Die Symptome können durch parenterale Gabe von Vitamin B12 behandelt werden; nicht immer bilden sie sich jedoch vollständig zurück.

Besonders gefährdet sind demnach Menschen, deren Vitamin-B12-Versorgung aus anderen Gründen schon nicht optimal ist, zum Beispiel bei veganer oder vegetarischer Ernährung, bei Einnahme bestimmter Medikamente (wie Magensäureblockern), chronischen Magen-Darm-Entzündungen oder regelmäßigem Alkoholkonsum.

Die aktuelle retrospektive multizentrische Kohortenstudie aus Frankreich berichtet über schwere, N2O-induzierte neurologische Erkrankungen im Großraum Paris. Von 2018 bis 2021 wurden in Abteilungen für Neurologie und Innere Medizin alle Personen über 18 Jahren mit schweren Lachgas-Vergiftungen erfasst. Bis Ende 2019 wurden keine entsprechenden Fälle beobachtet. Die danach zunehmende Häufigkeit wurde ermittelt und mit der Frequenz vergleichbarer neurologischer Krankheiten anhand der Krankenversicherungsdaten von 91.000 Klinikpatienten verglichen.

Meist treten die Symptome nach einem halben Jahr auf

Ergebnis: Von 181 Patientinnen und Patienten hatten 25 Prozent eine Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie), 37 Prozent eine Schädigung peripherer Nerven (periphere Neuropathie) und 38 Prozent eine Kombination beider Schäden.

Betroffen waren vor allem junge Erwachsene mit schlechten sozioökonomischen Bedingungen: Die meisten waren 20 bis 25 Jahre alt und lebten in städtischen, sozial benachteiligten Gegenden; 37 Prozent waren arbeitslos. Der durchschnittliche tägliche N2O-Verbrauch lag bei 1.200 g; die mediane Dauer zwischen dem Beginn des N2O-Konsums und dem Auftreten der Symptome lag bei einem halben Jahr (IQR 2-12 Monate).

Die Inzidenz neurologischer Lachgas-assoziierter Erkrankungen nahm in Paris im Laufe des Jahres 2020 zu und erreichte Mitte 2021 einen Höhepunkt. Bei 20- bis 25-Jährigen lag 2021 die Inzidenz für eine N2O-Myelopathie bei 6,15/100.000 Personenjahre und für periphere N2O-Neuropathien bei 7,48/100.000 Personenjahre. Dies war signifikant häufiger als nicht-N2O-assoziierte Myelitiden (Rückenmarksentzündungen) in derselben Altersgruppe, die mit einer Inzidenz von nur 0,35/100.000 Personenjahre auftreten oder das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) mit 2,47/100.000 Personenjahre.

In den sozial am stärksten benachteiligten Regionen waren die Inzidenzen zwei- bis dreimal höher als in den anderen Regionen. Das Autorenteam fordert daher nachdrücklich, dass diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken sei.

Auf Partys inhalieren manche Menschen 50 und mehr Ballons

Für die neurologischen Folgen kann kein Schwellenwert angegeben werden; es gibt Fallberichte, wo nur vier inhalierte Luftballons nach sieben Wochen zu einem GBS-ähnlichen Krankheitsbild geführt haben [2]; auf entsprechenden Partys werden von manchen Menschen durchaus 50 und mehr Ballons inhaliert [3].

„So steigt mit jedem Atemzug am Lachgas-Ballon das Risiko für neurologische Folgekomplikationen“, betont DGN-Pressesprecher Prof. Dr. Peter Berlit. „Aber nicht nur die chronischen Folgen sind ein Problem. Sorge macht auch eine nicht zu vernachlässigende akute Gefahr – vor allem, wenn im Einzelfall zu viel Lachgas inhaliert wird."

Zu den Folgen zählen neben Übelkeit, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen Berlit zufolge auch epileptische Anfälle, Schlaganfälle und hypoxische Hirnschäden bis zum Tod („versehentliches Ersticken“) infolge des Konsums. Beschrieben werden auch Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall und Atemprobleme.

Experten fordern Verkaufeinschränkungen

Die DGN befürwortet daher eine klare Kaufeinschränkung von Lachgas außerhalb medizinischer Indikationen. Die Abgabe für gewerbliche Zwecke müsse gesetzlich geregelt werden. „Vor allem sehe ich eine Pflicht der Gesellschaft und Politik, junge Menschen über die möglichen Gefahren zu informieren. Viele halten Lachgas für ungefährlich – das ist es ganz sicher nicht.", stellt Berlit klar.

Im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führt die DGN nun eine Umfrage in Deutschland zur Prävalenz und den Folgen des Lachgasmissbrauchs durch.

[1] Dawudi Y et al., Marked  increase in severe neurological disorders after nitrous oxide abuse: a  retrospective study in the Greater Paris area. J Neurol. 2024 Jun; 271  (6): 3340-3346. doi: 10.1007/s00415-024-12264-w
[2] dgn.org/artikel/neurologische-komplikationen-nach-lachgaskonsum
[3] The European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction  (EMCDDA): Freizeitkonsum von -Distickstoffmonoxid in Europa: Situation,  Risiken, Reaktionen www.emcdda.europa.eu/publications/topic-overviews/recreational-nitrous-oxide-use-europe-situation-risks-responses_de (aufgerufen am 19.06.2024)

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