QS: Auf der Suche nach Indikatoren
In den nächsten vier Jahren werden die Wissenschaftler anonymisierte Patientendaten aus mehreren europäischen Ländern auswerten. Dabei entwickeln sie zunächst Indikatoren, mit denen Zahnärzte und ganze Gesundheitssysteme in Bezug auf ihre Vorsorgeleistung bewertet werden können. Diese Indikatoren sollen ein Maß dafür sein, wie gut es gelingt, die Mund- und Zahngesundheit der Patienten möglichst lange zu erhalten.
"Wir hoffen, dass dies sowohl einzelnen Praxen als auch den Gesundheitssystemen der Länder einen Anreiz bietet, sich kontinuierlich zu verbessern, und eine Bewegung hin zu einer mehr präventiv ausgerichteten zahnärztlichen Versorgung in Gang setzt", sagt Privatdozent Dr. Dr. Stefan Listl, der das Projekt am Universitätsklinikum Heidelberg. leitet. Ebenfalls berücksichtigt werden Einschätzungen von Patienten zu ihrer jeweiligen Behandlung.
1. In einer Mitteilung schreiben Sie, dass "derzeit der Fokus der zahnärztlichen Versorgung vor allem darauf (liegt), geschädigte Zähne zu reparieren oder die Patienten mit entsprechendem Zahnersatz zu versorgen". Ziel des Projekts sei daher, "neue Konzepte der zahnärztlichen Versorgung (zu) entwickeln, die in erster Linie den Erhalt der Mundgesundheit durch Prävention zum Ziel haben". Doch ist dieser Paradigmenwechsel weg von der Reparaturzahnmedizin hin zur Prävention nicht längst vollzogen?
Stefan Listl:In der Tat gibt es schon länger eine Tendenz hin zu mehr Prävention. Vor diesem Hintergrund hat unser Verbundprojekt ADVOCATE zum Ziel, die Prävention in der zahnärztlichen Praxis zusätzlich zu fördern und so die Mundgesundheit in Europa nachweislich zu verbessern.
Die zahnärztliche Versorgung in Europa ist hervorragend, aber es gibt noch Verbesserungspotenziale im Bereich von Gesundheitsförderung und Prävention. Zu nennen wären hier beispielsweise die Vermeidung frühkindlicher Karies, die Vermeidung von Erkrankungen des Zahnhalteapparats und die Früherkennung von Mundhöhlenkarzinomen.
###more### ###title### Eine Herausforderung: die sozialen Gradienten in der Mundgesundheit ###title### ###more###
Eine Herausforderung: die sozialen Gradienten in der Mundgesundheit
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels stellen sich zudem neue Herausforderungen hinsichtlich Prävention und Gesundheitsförderung im höheren Erwachsenenalter. Internationale Organisationen - zum Beispiel WHO, IADR - thematisieren zunehmend auch soziale Gradienten in der (Mund-)Gesundheit als wichtige gesellschaftliche Herausforderung.
Hinzu kommen mehrere Partner aus gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Auf deutscher Seite werden Routinedaten der Betriebskrankenkassen analysiert. Gemeinsames Interesse der Projektpartner ist, bestmögliche Anreize für Patient und Zahnarzt zu entwickeln, die eine nachhaltig hohe Mundgesundheit in der Bevölkerung ermöglichen.
Einerseits soll der Einsatz eines Informationssystems getestet werden, das dem Behandlungsteam Feedback über Behandlungsumfang und -qualität geben soll. Gemeinsam mit Zahnärzten und Patienten soll ein neuer Index entwickelt werden, der Auskunft über Art, Umfang und zeitliche Tendenzen in der zahnmedizinischen Versorgung gibt. Im Rahmen des EU-Projekts soll die Praxistauglichkeit des Informationssystems getestet werden. Die Nutzung ist dabei freiwillig und soll der intrinsischen Motivation des Behandlungsteams dienen. Andererseits soll zusätzlich auch der Einfluss finanzieller Anreizmechanismen untersucht werden, um Gesundheitsförderung und Prävention weiter zu stärken.
Beispielsweise orientiert sich die Vergütung für zahnmedizinische Leistungen in vielen europäischen Ländern immer noch an einer Einzelleistungsvergütung, die umfangreiche invasive Therapien stärker gewichtet als Maßnahmen zur Vermeidung von Erkrankungen. Im Rahmen des EU-Projekts werden mögliche Alternativen der Ärztevergütung untersucht, die stärkere Anreize zur Vermeidung von Erkrankungen setzen sollen.
2. Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Irland, Dänemark und Ungarn mit sechs Universitäten und neun Versicherungen beteiligen sich an diesem Projekt. Wie kam es zu dieser Länderauswahl und welche Unis und Versicherungen wirken in welcher Form unterstützend?
Akademische Projektpartner sind die University of Leeds (Großbitannien), das Akademische Zentrum für Zahnheilkunde Amsterdam (ACTA, Niederlande), das University College Cork (Irland), die University of Kopenhagen (Dänemark), die Semmelweis Universität (Ungarn) und die Universität Heidelberg (Deutschland). Hinzu kommen mehrere Partner aus gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Weiterer Partner aus der Industrie ist ein IT-Unternehmen aus Schottland (Aridhia). Die Zusammensetzung des Konsortiums ergab sich auf Grundlage gemeinsamer wissenschaftlicher Interessen.
###more### ###title### Feedback für das Team zur Behandlungsqualität ###title### ###more###
Feedback für das Team zur Behandlungsqualität
3. Wie könnten diese neuen Präventionskonzepte inhaltlich aussehen?
Zentrales Thema in diesem Projekt ist die Identifikation von Anreizmechanismen, die den Einsatz gesundheitsfördernder und präventiver Maßnahmen durch das zahnmedizinische Behandlungsteam betonen. Einerseits soll der Einsatz eines Informationssystems getestet werden, das dem Behandlungsteam Feedback über Behandlungsumfang und -qualität geben soll. Andererseits soll zusätzlich auch der Einfluss finanzieller Anreizechanismen untersucht werden, um Gesundheitsförderung und Prävention weiter zu stärken.
Die Fragen stellte Claudia Kluckhuhn.
Mit dem EU-Projekt ADVOCATE (Added Value for Oral Care), das vier Jahre lang mit insgesamt sechs Millionen Euro gefördert wird, sollen neue Konzepte der zahnärztlichen Versorgung entwickelt werden, die in erster Linie den Erhalt der Mundgesundheit durch Prävention zum Ziel haben. Wissenschaftler der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde des Universitätsklinikums Heidelberg werten dazu Routinedaten der zahnärztlichen Versorgung aus sechs europäischen Ländern dahingehend aus, wie effektiv die zahnärztliche Versorgung in Europa momentan ist, welche Ansätze zu mehr Prävention es gibt, wie sie sich bewähren und anhand welcher Indikatoren sich die Qualität der zahnärztlichen Versorgung beurteilen lässt. Insgesamt beteiligen sich elf Kooperationspartner aus sechs europäischen Ländern.