Rentenversicherung benachteiligt Familien
Zwar haben sie mit der Gründung einer Familie und ihrer Erziehungsleistung der Rentenkasse diesen Überschuss erst ermöglicht. Aber weder erhöht sich dadurch ihre eigene Rente wesentlich, noch zahlen sie weniger Beiträge als Kinderlose, bilanziert eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Autoren bezeichnen die heutige gesetzliche Rentenversicherung als "nicht familiengerecht" und sehen deshalb dringenden Reformbedarf.
Kinderlose werden mitfinanziert
"Unser Rentensystem benachteiligt Familien - ausgerechnet diejenigen, die das System am Leben erhalten", sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Kinder finanzieren in ihrem späteren Erwerbsleben mit ihren Einzahlungen in die Rentenkasse nicht nur die Altersversorgung ihrer eigenen Eltern, sondern auch die der Kinderlosen aus ihrer Elterngeneration.
Weil die Menschen immer älter werden und zugleich immer weniger Kinder geboren werden, überschreiten die Rentenbeiträgebereits ab 2030 ihre gesetzliche Obergrenze von dann 22 Prozent, und auch das Rentenniveau fällt unter die gesetzliche Untergrenze, errechnete Martin Werding, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bochum. "Die Politik muss jetzt handeln und unser System nicht nur familiengerecht, sondern auch langfristig demografiefest machen", kommentiert Dräger.
Doppelbelastung für Eltern
Obwohl sie das Rentensystem aufrechterhalten, tragen Familien in Deutschland höhere Belastungen als Kinderlose, heißt es in der Studie. Denn Eltern kämen in der Familienphase neben ihrem eigenen Lebensunterhalt für zwei weitere Generationen auf: Sie finanzierten über ihre Rentenbeiträge die Generation ihrer eigenen Eltern, und zusätzlich investierten sie Geld, Zeit und Energie in ihre Kinder.
Gerade wenn die Kinder klein sind, schränken Mütter und Väter zudem demnach oftmals ihre Berufstätigkeit ein, so dass Einkommen und Rentenansprüche sinken. Die durchschnittlich 8.300 Euro hohe Mütterrente, mit denen das Rentensystem die Erziehungsleistung von Eltern honoriert, mache nur einen kleinen Teil der 77.000 Euro aus, die es durch jedes Kind an Überschuss erhält.
Unzulängliche Maßnahmen
Auch die derzeit 156 familienpolitischen Maßnahmen und die staatlichen Bildungsangebote wiegen die Investitionen von Familien in Kinder nicht annähernd auf, rügen die Autoren. Zwar komme die Allgemeinheit, darunter auch die Kinderlosen, für die Kosten von Kitas, Schulen, Kindergeld und Elterngeld auf. Nach Berechnungen der Studie zahlt ein durchschnittliches Kind im Laufe seines Lebens trotzdem 50.500 Euro mehr in die Sozialkassen und ins Steuersystem ein als es an staatlichen Zuschüssen für Betreuung und Bildung erhält.
"Angesichts der Leistung von Eltern und der positiven Effekte, die ein Kind im weiteren Leben für die Gesellschaft erzielt, sollten Familien in der Erziehungsphase finanziell entlastet werden", sagte Dräger. Denn die hohe Belastung von Familien durch Rentenversicherungsbeiträge erhöhe das Risiko, dass Kinder in Armut aufwachsen.
Autoren setzen auf Kinderfreibeträge und solide Alterssicherung
Werding stellt in seiner Studie zwei mögliche Reformmodelle vor, die Eltern in der aktiven Familienphase besserstellen würden und Fehlanreize gegen eine Familiengründung korrigieren könnten. Das eine Modell sieht vor, Kinderfreibeträge ins gesetzliche Rentensystem einzuführen, wie es sie im Steuersystem bereits gibt. Dadurch zahlten Eltern in der aktiven Familienphase weniger Beiträge in die Rentenversicherung einn. Das zweite Modell einer "Kinderrente" bedeute einen umfassenderen Umbau des Rentensystems. Es versucht, neben einer Entlastung von Familien die Alterssicherung demografiefest zu machen.
"In beiden Fällen bessern sich die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen", sagte Werding. "Die Politik ist in jedem Fall gefordert, das Rentensystem so umzugestalten, dass es nach 2030 noch von unseren Kindern finanziert werden kann."